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KRIEG/1333: Tote Soldaten stören den Wahlkampf der Kriegsparteien (SB)



Wer mit einem Angriffskrieg seines Landes erst dann Probleme bekommt, wenn sich die heimkehrenden Leichensäcke häufen und ein Debakel absehbar ist, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht am Ende eine Friedenstaube mit den gestutzten Schwingen opportunistischen Kalküls ist. Was aber soll man von einer Bundesregierung halten, die noch nicht einmal zugeben will, daß sie am Hindukusch Krieg führt, und statt dessen von einer Friedens- und Stabilisierungsmission fabuliert? Bekanntlich sieht das Grundgesetz vor, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Nach der Beteiligung an den Feldzügen der USA samt Verbündeten, nach dem Balkan, dem Horn von Afrika und der libanesischen Küste ist die Gemengelage mittelbarer und unmittelbarer Kriegseinsätze inzwischen so weit gediehen, daß Afghanistan nur als ein weiteres Glied in der Kette deutscher Teilhaberschaft an den weltherrschaftlichen Ambitionen der USA, der NATO und der EU definiert werden kann, das wie seine Vorläufer uneingeschränkt zurückgewiesen werden muß.

Wenngleich absehbar und einkalkuliert war, daß weitere Bundeswehrsoldaten ihren lukrativen Auslandsdienst mit dem Leben bezahlen müssen, kommt es der Koalition doch höchst ungelegen, daß die drei Toten wenige Tage vor der Bundestagsdebatte über ein weiteres Afghanistan-Mandat, bei dem es um die Beteiligung an AWACS-Aufklärungsflügen der NATO geht, für Schlagzeilen sorgen. Hatte man offensichtlich gehofft, den Parlamentarismus vollends ad absurdum zu führen, indem man in der letzten Plenarwoche vor der Sommerpause und damit der Bundestagswahl im Herbst im brachialen Hauruckverfahren vollendete Tatsachen schafft, so ist jetzt nicht mehr völlig ausgeschlossen, daß die Bürger neben ihrer Verelendung und Krisenangst auch noch den Kriegseinsatz als eine Bedrohung realisieren und ablehnen.

Was tun, wenn man die Schizophrenie forscher Machtpolitik im Gewand friedensregulierender Mandate bis zum Exzeß ausreizen will? Verteidigungsminister Jung erklärte eingedenk seines Amtes, daß die Bundeswehr unmittelbar für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung sorge. Nun sind die Taliban zwar noch ziemlich weit von Deutschland entfernt, doch sobald Afghanistan an sie zurückfalle, habe das auch Terror für die Welt zur Folge, bediente Jung die abgehalfterte Klaviatur des sogenannten Antiterrorkriegs. Und da er so kurz vor der Wahl nicht gern als Falke wahrgenommen werden möchte, fügte er eilends hinzu, daß "wir" schon viel erreicht hätten, die Afghanen deutliche Fortschritte bemerkten und für das Land die Chance auf Wohlstand und Frieden bestehe.

SPD-Fraktionschef Struck stieß ins selbe Horn: Er sehe keinen Grund, jetzt aufzugeben und zu sagen, die mehr als 30 deutschen Soldaten seien umsonst gestorben. Er befürchte, daß es bis zum Abzug der Bundeswehr noch zehn Jahre dauern könne. Mit wieviel toten Soldaten er bis dahin rechnet, ließ er natürlich unerwähnt. Um sich vom Koalitionspartner und Wahlkampfgegner abzugrenzen, hielt der frühere Verteidigungsminister seinem Nachfolger Defizite vor und schlug Verhandlungen mit den gemäßigten Taliban vor, mit denen er seinerzeit in Kundus gesprochen haben will. Das gelte aber nicht für Leute wie den untergetauchten Taliban-Führer Mullah Omar, der ein "Massenmörder" sei, fügte Struck hinzu, damit ihn die CDU nicht am Ende noch als Taliban-Freund hinstellt.

CSU-Landesgruppenchef Ramsauer forderte eine "Exit-Strategie", was man allerdings nicht mit der Forderung nach einem Abzug verwechseln darf. Die Soldaten sollten nicht einen Tag länger in Afghanistan bleiben, als unbedingt nötig, erklärte Ramsauer, womit er die Dauer des Besatzungsregimes natürlich völlig offengelassen hat. Indem er saubere Kriterien fordert, wann der jeweilige Einsatz erfüllt ist und stufenweise beendet werden kann, bedient er die Propaganda der Aufbaumission und gaukelt die Absurdität eines möglichen Endes des Widerstands gegen die ausländischen Truppen vor, bevor diese abgezogen sind.

Während die Koalition ackert, um die gelockerten Reihen der Heimatfront wieder dicht zu schließen, reden die Militärs am Hindukusch Klartext. Nach den Anschlägen auf deutsche Soldaten werde man gegen die "Drahtzieher" vorgehen, kündigte der Kommandeur des Regionalkommandos Nord, Brigadegeneral Jörg Vollmer, in Kundus an. Rückendeckung erhielt er von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, der in interner Runde gefordert hat, die Einsatzbeschränkungen für deutsche Soldaten in Afghanistan zu lockern. Diese sollten nicht nur in Notwehr schießen, sondern auch aktiv gegen erkannte Aufständische vorgehen können. Wie jeder derartige Krieg durch eine Besatzungsmacht läuft auch die Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan darauf hinaus, zuerst zu schießen und dies mit einer akuten Gefahrenlage zu rechtfertigen.

Grünen-Fraktionsvize Ströbele plädierte für ein baldiges Ende des Einsatzes. Statt einer Leugnung des Krieges oder gar Durchhalteparolen brauche man eine Ausstiegsstrategie und dürfe mit dem Abzug aus einem immer sinnloseren Abnutzungskrieg nicht bis irgendwann in vielen Jahren warten. Nun weiß man natürlich, daß Ströbele auf dem linken Flügel seiner Partei eine Fahne hochhält, die keineswegs deren Mehrheitsmeinung entspricht. Wer sich wie die Grünen als Kriegstreiber profiliert hat, kann das nicht vergessen machen, indem er für alle Fälle ein wenig Kreide frißt und plötzlich zwischen guten und bösen deutschen Angriffskriegen unterscheiden will.

Als parteipolitische Kraft gegen den Krieg tritt im Bundestag allein DIE LINKE auf den Plan, deren außenpolitischer Sprecher Norman Paech in einer Pressemitteilung vom 25.06.2009 den Abzug der Truppen aus Afghanistan fordert. Er verurteilt die Ungeheuerlichkeit der Durchhalteparolen, nennt den Krieg beim Namen und verweist darauf, daß die ausländischen Truppen als Besatzung angesehen und bekämpft werden. Dieser Krieg sei nicht zu gewinnen und drohe alle Ansätze eines zivilen Aufbaus unter sich zu begraben. Die Aufstockung und Aufrüstung des deutschen Kontingents werde die Leiden der Bevölkerung und die Verluste auf allen Seiten vergrößern. Obgleich diese Position in der über Jahre hinweg auf die Akzeptanz wachsender Kriegsbeteiligung zugerichtete bundesdeutsche Bevölkerung derzeit nicht mehrheitsfähig ist, könnte sie doch geeignet sein, überall dort Sand ins Getriebe der Wahlkampfmaschinerie zu streuen, wo diese den Afghanistankrieg zu leugnen, zu verschleiern oder zu rechtfertigen trachtet.

29. Juni 2009