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KRIEG/1361: Endloser Terrorkrieg gegen soziale Emanzipation (SB)



Diese Woche hat der Ausschuß des US-Senats für Verteidigungsausgaben das beantragte Militärbudget des Pentagon in Höhe von 636 Milliarden Dollar ohne größere Beratungen gebilligt. In dem Betrag sind zwar 128 Milliarden Dollar für die Kriege im Irak und in Afghanistan enthalten, doch hier ist durchaus mit Nachtragshaushalten zu rechnen, die in der Regel gebilligt werden. Kein Verständnis indes haben die Senatoren für das Vorhaben des US-Präsidenten, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen, könnten die dort seit vielen Jahren eingesperrten Menschen doch eine Gefahr für die Bevölkerung der USA darstellen. Zwar wurde ihnen niemals die Absicht nachgewiesen, Anschläge gegen US-Amerikaner zu begehen, und es wird ihnen auch nicht die Chance eingeräumt, den gegen sie erhobenen Terrorverdacht vor Gericht auszuräumen. Die damit einhergehende Zerstörung des US-Rechtssystems ist durchaus beabsichtigt, erzeugt die Willkür, unter unkalkulierbaren Bedingungen seine Freiheit zu verlieren und sie vielleicht niemals wiederzuerlangen, weil irgendeiner der zahlreichen Geheimdienste einen Menschen mit dem Stigma des Terrorverdachts gebrandmarkt hat, doch auch bei den rechtlich privilegierten US-Bürgern die Wirkung, im Zweifelsfall lieber vorsichtig zu sein und nicht gegen dieses Unrechtsregime zu unternehmen.

Der autokratische Charakter einer Politik, die derartige Maßnahmen verfügt, ist dem Argwohn geschuldet, daß der Terror immer und überall droht. Es muß mit dem schlimmsten gerechnet werden, weil man zu den grausamsten Mitteln greift, so die vom Kopf auf die Füße gestellte Logik einer Elitenherrschaft, die kein Problem damit hat, das Leben anderer Bevölkerungen wie der eigenen subalternen Klasse massiv zu verschlechtern und zu zerstören. Der in aller Welt mit militärischen Mitteln geführte Krieg findet im sozialchauvinistischen und rassistischen Umgang mit Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe von vornherein ausgegrenzt werden, seine Entsprechung im eigenen Land.

So weiten gerade jene Politiker, die eine allgemeine Krankenversicherung für einen Angriff auf die Freiheit der US-Bürger durch zu viel staatliche Einmischung halten, den Einfluß des Staates auf Kosten des Steuerzahlers über die Maßen aus, wenn es darum geht, Tod und Zerstörung über andere Bevölkerungen - und im Rahmen der Militarisierung der inneren Sicherheit - auch über die eigene zu bringen. Millionen Menschen in den USA erleiden Schmerzen und einen vorzeitigen Tod, weil sie sich keinen Besuch beim Arzt leisten können. Für die neokonservativen Welteroberer ist es eine Zumutung, Menschen, die erwerbslos oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, sich eine Krankenversicherung zu leisten, zu physischer Entlastung durch öffentliche Mittel zu verhelfen, die nicht für Bomben oder Raketen ausgegeben werden können, welche eine halbe Million Dollar das Stück kosten und dafür eingesetzt werden, das Leben ganzer Familien in Pakistan und Afghanistan auszulöschen.

Es wäre ein Fehler, pauschal zu behaupten, daß diese Haushaltslogik keinen Sinn machte. Sie macht aus der Sicht einer Klasse, die ihre Vorteile durch die Maximierung von Mangel und Zerstörung sichert, so viel Sinn, wie sie in den Augen der davon betroffenen Menschen sinnlos ist. Wenn es um Machtfragen geht, verbietet sich jede Wahrheitsdiskussion, ist ihr Ausgang doch davon abhängig, wer die eigenen Interessen durchzusetzen versteht. Die politische Elite Washingtons will den Terrorkrieg in dem nach dem 11. September 2001 von US-Regierungspolitikern gesetzten Zeitrahmen von mehreren Jahrzehnten fortsetzen, weil sich mit ihm geostrategische Ziele erreichen lassen, die das eigene Überleben ressourcentechnisch und globalhegemonial sichern. Sie tut dies mit um so größerem Nachdruck, als die Wirtschaftskrise die Basis des eigenen Verwertungssystems, die Vormachtstellung des Dollar als globale Leitwährung, erheblich gefährdet. Die US-Zentralbank mag als Lender of last resort gelten, tatsächlich jedoch ist die militärische Übermacht der USA der letztinstanzliche Garant für das ökonomische Überleben ihrer Volkswirtschaft.

Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs selbstverständlich, daß die Bundesrepublik an der Seite der USA in neue Kriege zieht. Wenn die Bundesregierung behauptet, die Befriedung entlegener Konflikte diene der Abwehr des von dort ausgehenden Terrorismus, dann hat man es mit einer hypothetischen Anleihe an die US-amerikanische Geopolitik zu tun. Zweifellos hat die Bundesrepublik eigene geostrategische Interessen in aller Welt, sie wäre jedoch nicht in der Lage, diese militärisch zu untermauern, wenn die Bundeswehr nicht in von US-Bombern und -Panzern geschlagenen Schneisen der Zerstörung aufmarschieren könnte. Es gäbe aufgrund anderer, militärisch gleichrangiger oder stärkerer Akteure kaum ein erfolgversprechendes Szenario, der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik mit offener Kriegführung Vorteile zu verschaffen. Das ist ein Grund, warum die Bundesregierung so vehement für den Lissabon-Vertrag und die damit verbundene Aufrüstung der EU zu einer eigenständigen Großmacht eintritt.

Angela Merkel hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2004 eine Aussage der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright zitiert und damit eine wichtige Quelle ihrer politischen Inspiration offengelegt: "Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern." Die damalige Oppositionsführerin stellte sich zu dieser Aussage, indem sie erkärte, daß diese Definition "nicht nur für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik Gültigkeit haben muss, sondern auch Maßstab einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein" müsse.

Fünf Jahre nach dieser kategorischen Feststellung, die in der immer weitreichenderen Beteiligung der Bundeswehr an der offenen Kriegführung in Afghanistan und an der maßgeblich von der Bundeskanzlerin mitinitiierten Militarisierung der EU konkrete politische Folgen zeitigt, fordert Bundespräsident Horst Köhler anläßlich der Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr in Berlin die Bundesbürger zu einer neuen Ethik der Opferbereitschaft im Dienste der Nation auf: "Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit dem Gedanken an den Tod. Sie tut sich auch schwer mit Begriffen wie 'Dienen' und 'Hingabe'. Sie tut sich schwer mit der Vorstellung, Opfer zu bringen oder anderen für ihr Opfer zu danken. Darum mutet dieses Denkmal uns etwas zu. Es mutet uns zu, über den Tod nachzudenken und darüber, welchen Preis wir zu zahlen bereit sind für ein Leben in Freiheit und Sicherheit" (www.bundespraesident.de, 08.09.2009).

Der sozialen Verelendung, die die kapitalistischen Eliten bewirken, indem sie nicht nur Menschen in anderen Weltregionen, sondern auch in den eigenen Ländern die Lebensgrundlagen entziehen, gemäß sind aggressive, expansive, interventionistische Militäreinsätze immer auch soziale Kriege. Der imperialistische Charakter dieser Politik gibt Aufschluß über die Bedeutung, die sie für jeden Menschen hat, der in der Bundesrepublik oder der EU lebt, auch wenn er sich nicht direkt von ihr betroffen fühlt.

12. September 2009