Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1363: Treuherzig glaubt Karzai fest an die Integrität der Wahl (SB)



Da niemand mehr ernsthaft behaupten kann, bei der Wahl in Afghanistan sei alles mit rechten Dingen zugegangen, hält Präsident Hamid Karzai kurzerhand selbst die Fahne guten Glaubens hoch: Er glaube fest an die Integrität der Wahl, an die Integrität des afghanischen Volkes und an die Integrität der Regierung in diesem Prozeß, versicherte er treuherzig in Kabul, als wüßte er nicht am besten, woher die vielen Stimmen für ihn gekommen sind. Bei jeder Wahl gebe es Probleme, doch sollte tatsächlich Betrug im Spiel gewesen sein, handle es sich um ein begrenztes Phänomen, behauptete der Statthalter Washingtons im Marionettenregime, das eine demokratisch legitimierte Führung simulieren soll. [1]

Karzais Kalkül liegt auf der Hand: Hatten ihn zwischenzeitlich die Amerikaner gedrängt, die Farce nicht zu übertreiben und wenigstens eine Stichwahl zuzulassen, so kann sich das Besatzungsregime angesichts des bekanntgewordenen Umfangs des Wahlbetrugs inzwischen einen zweiten Wahlgang kaum noch leisten. Zwar gilt der zweitplazierte Abdullah Abdullah nicht minder als großer Freund der USA, doch würde ein Scheitern Karzais in einer Stichwahl den Urnengang noch lächerlicher machen, als er ohnehin schon ist. Da dieser nun einmal als zentraler Baustein in der vorgeblichen Befriedung und Demokratisierung vorgehalten wird, muß man vollendete Tatsachen schaffen. Dem hat Karzai mit massivem Stimmenkauf vorgegriffen, um seine Haut zu retten und sich unentbehrlich zu machen.

Nicht daß er Macht im Angesicht der Amerikaner besäße, die man als die Herren Aghanistans bezeichnen muß, bis der Widerstand sie aus dem Land gejagt hat. Karzais politisches Geschick besteht jedoch vor allem darin, sich in der Inszenierung des Transformationsprozesses dauerhaft die Rolle des lokalen Hauptdarstellers zuzuschanzen, den man nicht ohne weiteres auswechseln kann, ohne das ganze Theater auffliegen zu lassen. Daß die Afghanen in ihrer Mehrheit die Aufführung für bare Münze nehmen, ist angesichts des um sich greifenden Widerstands gegen die Besatzungstruppen nicht anzunehmen. Zielgruppe der Schmierenkommödie sind vor allem die Menschen an der Heimatfront der Besatzungsmächte, die mit einer Mißbilligung des Kriegs am Hindukusch den Truppenabzug herbeiführen könnten, wenn sie diese in Wahlentscheidungen umsetzen würden.

Zu welchem Eiertanz Karzai in Verfolgung seiner Interessen fähig ist, unterstrich jüngst seine Reaktion auf das von der Bundeswehr angeordnete Massaker in Kundus. Weder konnte er die Tötung so vieler Afghanen rechtfertigen, noch das Besatzungsregime offen beim Namen nennen. Daher bezeichnete er den Angriff auf die beiden Lastwagen als Fehler, nahm aber Deutschland zugleich in Schutz. Er griff tief in die Mottenkiste traditioneller Freundschaft zwischen beiden Ländern, die auf eine deutsche Delegation zurückgeht, die 1914/15 vor Ort Optionen des Kriegs gegen Britisch-Indien erkundete. Deutschland, so behauptete Karzai, habe keinesfalls die Absicht, Schaden zu verursachen, sondern sei hier, um die afghanische Bevölkerung zu schützen. Daß die Afghanen derart dreisten Lügen Glauben schenken, darf spätestens seit dem Blutbad im Norden des Landes bezweifelt werden.

Die von Karzai eingesetzte Untersuchungskommission lastete pflichtschuldig den Taliban die Verantwortung für die Bombardierung an, schließlich sei das Kapern der beiden Tanklastwagen "inhuman" gewesen. Wer diese Begründung für aberwitzig hält, möge den Worten des Präsidenten aufmerksam lauschen: "Der Vorfall ist sehr bedauerlich, denn wir haben zu viele Zivilisten verloren", räsonierte Karzai, womit er bei den Alliierten ein weniger auffälliges Besatzungsregime anmahnte. Wer es als höchster politischer Repräsentant seines Landes allenfalls für "sehr bedauerlich" hält, wenn "zu viele" Landsleute ins Gras beißen müssen, muß allerdings einen regulären Wahlgang fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Anmerkungen:

[1] Karsai lobt umstrittene Afghanistan-Wahl (17.09.09)
http://www.zeit.de/newsticker/2009/9/17/iptc-bdt-20090917-315- 22420090xml

18. September 2009