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KRIEG/1364: Iran am Pranger ... Bundesregierung schürt Kriegsgefahr (SB)



Laut aktuellen Berichten gibt es unter den westlichen Mitgliedern der Sechsergruppe, die den Iran zur Aufgabe der Urananreicherung nötigen will, sowie Israel Meinungsverschiedenheiten über den Stand der angeblichen Atomrüstung des Irans. So ist der New York Times (29.09.2009) zu entnehmen, daß die Geheimdienste Israels der Ansicht sind, der Iran habe die Militarisierung seines zivilen Atomprogramms wiederaufgenommen, während der deutsche Auslandsgeheimdienst davon ausgehe, daß der Iran die Arbeit daran niemals eingestellt habe. Frankreichs Dienste wiederum unterstellten, daß die Inspekteure der Internationalen Atomagentur (IAEA) mehr wüßten, als sie offiziell zugeben. Die US-Nachrichtendienste stünden zu der erstmals 2007 im Geheimdienstreport National Intelligence Estimate Erkenntnis, daß der Iran die Arbeit an Atomwaffen 2003 eingestellt und seitdem nicht wieder aufgenommen habe.

Auch die Financial Times (29.09.2009) berichtet, daß es unter westlichen Regierungen grundlegende Unterschiede in der Einschätzung darüber gebe, ob der Iran versucht, Atomwaffen herzustellen. So seien die britischen Nachrichtendienste der Ansicht, daß die 2003 ergangene Anordnung des obersten Rechtsgelehrten Ayatollah Ali Chamenei, die Arbeit an der militärischen Nuklearforschung einzustellen, Ende 2004 oder Anfang 2005 wieder aufgehoben worden sei. Tatsächlich hatte Chamenei nicht, wie mit dieser Aussage suggeriert, die Existenz eines militärischen Atomprogramms eingestanden, sondern mehrfach unter Verweis auf die religiösen Grundlagen des Islam die Entwicklung und den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen untersagt.

Beide Zeitungen heben hervor, daß die US-Regierung in der Einschätzung der vom Iran ausgehenden atomaren Bedrohung zurückhaltender seien als die europäischen Verbündeten. In der New York Times wird zudem betont, daß die US-Geheimdienstler die Einschätzung ihrer israelischen Kollegen als undokumentiert, unsolide und auf bloßen Indizien beruhend kritisieren. Vor allem jedoch wird dort behauptet, daß deutsche Nachrichtendienstler eine noch härtere Gangart gegenüber dem Iran einschlügen als ihre israelischen Verbündeten.

Wenn diese Information zutrifft, dann versucht die Bundesrepublik, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und das Heft des Handelns an sich zu reißen. Ihre Stellung in der mit dem Atomstreit befaßten Sechsergruppe, in dem sie auf einer Ebene mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates agiert, wird von der Bundesregierung zweifellos als wichtiger Schritt in Richtung auf die angestrebte Aufnahme in diesen Klub betrachtet. Je unentbehrlicher man sich dort macht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Wunsch eines Tages erfüllt wird.

Zudem könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die von ihr zweifellos als Schmach empfundene Weigerung der rot-grünen Bundesregierung, sich mit eigenen Truppen am Irakkrieg zu beteiligen, in den Knochen stecken. Dies hat im Ergebnis dazu geführt, daß deutsche Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen für den Wiederaufbau des Landes kaum zum Zuge kamen und auch alle weiteren wirtschaftlichen Interessen, die sie im Irak verfolgen, von der US-amerikanischen Konkurrenz unterminiert werden können.

Die EU-Staaten haben es insbesondere auf die Nutzung der irakischen Gas- und Ölbestände abgesehen. Wenn sie diese nicht für sich erschließen können, ist das für die westeuropäische Energieversorgung so wichtige Projekt der Nabucco-Pipeline praktisch zum Scheitern verdammt. Wenn die EU den USA im sogenannten Atomstreit, bei dem es vor allem um die geostrategischen Interessen des Westens in der Region des Persischen Golfs und Mittleren Ostens geht, die Initiative überlassen, droht deren Vormachtstellung in einem Gebiet, das von den Europäern als Expansionsraum beansprucht wird, noch unwiderufbarer zu werden.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen israelischen, EU-europäischen und US-amerikanischen Nachrichtendiensten lassen ahnen, daß man sich in einem Rennen um die aggressivste Position gegenüber dem Iran befindet, der unwiderlegt bestreitet, überhaupt über ein militärisches Atomprogramm zu verfügen. Die von dieser Entwicklung ausgehende Kriegsgefahr wird der deutschen Bevölkerung vorenthalten. Sie wird statt dessen durch ein massives Medienbombardement, mit dem der Iran zur Bedrohung Israels wie der EU aufgeblasen und seine Regierung als ein Verein irrational agierender Fanatiker stigmatisiert wird, potentiell kriegsbereit gemacht. Die von Deutschland unterstützte Forderung nach dem Verhängen schärferer Sanktionen über den Iran weist den Weg in eine Eskalation, die mit großer Wahrscheinlichkeit in einen Waffengang münden wird, dem die Bundeswehr nach dem Vorpreschen der Bundesregierung keinesfalls fernbleiben kann.

30. September 2009