Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1370: Nobelpreis verpflichtet - Obama zeigt es den Afghanen (SB)



Wer mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, führt die richtigen Kriege. Teddy Roosevelt hat es 1906 nach dem spanisch-amerikanischen Krieg und dem Blutbad auf den Philippinen vorgemacht. Woodrow Wilson steigerte es mit dem Eintritt seines Landes in den Ersten Weltkrieg, wofür man ihn 1919 ehrte. Und natürlich durfte Henry Kissinger in der Reihe der Preisträger nicht fehlen, der zwar kein US-Präsident war, aber mit dem Vietnamkrieg Zeichen bellizistischer Extreme gesetzt hat, die bis heute als beispielhaft gelten. Nun setzt Barack Obama diese Tradition fort, der freilich noch kein Quentchen zur Beendigung eines Krieges beigesteuert hat, aber für die Fortsetzung des globalen Feldzugs gegen immer neue Opfer angesichts dessen unabsehbaren Endes eben präventiv belobigt wird.

Natürlich möchte man sich gern der Hoffnung Fidel Castros anschließen, der Friedensnobelpreis sei an Obama vergeben worden, um die völkermörderischen Kriege des unsäglichen Vorgängers George W. Bush abzustrafen. Diese Interpretation hat zweifellos ihren Reiz, zumal sie den Hoffnungsträger im Weißen Haus anmahnt, über seinen Schatten zu springen und tatsächlich umzusetzen, worüber er so ausgezeichnet zu reden versteht. Sollte Obama dergleichen vorhaben, ist er allerdings ein Geheimnisträger erster Güte, da er bislang ausschließlich darüber zu brüten scheint, wie man den Krieg gewinnt.

Das schafft unweigerlich Verlierer, die allerdings auf der Habenseite verbucht werden können, wenn es sich um so unbedeutende oder gar widerspenstige Völkerschaften wie Philippiner, Vietnamesen oder eben Afghanen handelt, mit denen aufzuräumen einem Präsidenten oder hochrangigen Strategen der Vereinigten Staaten allemal gut zu Gesicht steht. Geht es um die eigenen Fleischtöpfe, darf man nicht zimperlich mit den Hindernissen sein, die sich einem in den unwirtlichsten Winkeln der Welt in den Weg stellen, als hätten sie irgendeinen Anspruch, der sich mit dem der Herren vergleichen ließe, zu denen man sich mit Vorliebe, wenn auch in der Regel irrtümlich zählt. Letzteres nicht zuletzt deshalb, weil die mörderischen Umtriebe der Besatzer am Hindukusch untrennbar mit der vielzitierten inneren Sicherheit hierzulande verknüpft sind. Eines gebiert das andere, könnte man sagen.

Was nun Barack Obama betrifft, so dürfte er dereinst als erster US-Präsident in die Geschichte eingehen, den das Ende seiner Amtszeit bei der Ausarbeitung der Strategie überrascht hat, mit deren Hilfe er alles anders machen wollte. Aber im Ernst: Wir wissen ja schon, wie das in Afghanistan weitergehen soll. Wer derart massive Stützpunkte baut und Geheimdienstzentralen anlegt, hat nicht vor, dort wegzugehen. Es würde ja auch keinen Sinn machen, erst dazwischenzuhauen und sich dann einzunisten, nur um später wieder abzuhauen und den Russen oder Chinesen das Feld zu überlassen.

Allerdings gibt es dabei ein Problem: Die Afghanen. Da man das beliebte Nation Building nur betreiben kann, wo man vorher Kleinholz gemacht hat, sollte man nicht zwangsläufig und dauerhaft mit Sympathien der Einheimischen rechnen. Die merken früher oder später, worauf die Sache hinausläuft, und beschließen, daß man ohne die Fremden allemal besser dran wäre. Das faßt man dann unzulässig, aber praktisch unter Taliban, Al Qaida oder allgemein Insurgenten zusammen, weil diese Subsumierung erlaubt, schweres Geschütz aufzufahren und draufzuhalten, ohne lange nach Unterschieden zu fragen.

Das, jedenfalls, hat Obama vor, der seit seinem Amtsantritt rund 34.000 zusätzliche Soldaten an den Hindukusch entsandt hat, wo bis Ende des Jahres 68.000 US-Soldaten und damit doppelt so viele wie zuletzt in der Bush-Ära stationiert sein sollen. Zusammen mit den Truppen der Verbündeten wird man dann 100.000 Soldaten im Land stehen haben, die bei weitem nicht ausreichen, um welche Kriegsziele auch immer zu erreichen. Das schreit nach mehr, sofern man sich der Logik dieser Kampagne anschließt, wozu freilich nicht der geringste Grund besteht.

Nachdem Obama bereits versichert hatte, daß er auf keinen Fall Truppen abziehen werde, war der Fall klar. Nun ist durchgesickert, daß er neben der bereits im März angekündigten Aufstockung um 21.000 Soldaten weitere 13.000 Mann autorisiert hat, von denen bislang öffentlich nie die Rede war. Wer laienhaft nachfragt, wie so etwas möglich ist, bekommt von den Experten die Antwort, die er verdient: Die Anforderung von weiteren 21.000 Soldaten führe automatisch zur Autorisierung zusätzlicher Kräfte, hieß es lapidar im Pentagon. Dabei handle es sich um Unterstützungstruppen, zu denen Ingenieure, medizinisches Personal, Militärpolizisten und Geheimdienstexperten zählen, die nicht zu den Kampftruppen gehören. Neu ist diese Praxis nicht, da schon Vorgänger George W. Bush bei einer Truppenaufstockung im Irak nur die 20.000 Kampfsoldaten erwähnte, aber rund 8.000 Mann unterstützende Einheiten verschwieg.

Abgesehen davon hat ja der US-Oberbefehlshaber in Afghanistan, General Stanley McChrystal, dankenswerterweise unter Mißachtung der Befehlshierarchie in aller Öffentlichkeit die Entsendung von bis zu 40.000 zusätzlichen Soldaten verlangt, da andernfalls eine Niederlage gegen die Taliban drohe. Das schafft Obama beträchtlichen Spielraum, nach demonstrativen Gewissensqualen eine Menge weiterer Soldaten nach Afghanistan zu schicken, ohne deshalb gleich als maßloser Kriegstreiber dazustehen. Sieht man Bush und Obama als Glieder einer Kette der Herrschaftssicherung, die wahlweise mit Brachialgewalt durchgedrückt oder mit Samthandschuhen serviert werden muß, da man die Opfer andernfalls nie unter Kontrolle bekommt, erschließen sich die Turbulenzen um die aktuelle Afghanistan-Strategie als unvermeidliche Verwerfungen auf der Oberfläche, doch keinesfalls als eine grundsätzliche Kursänderung.

14. Oktober 2009