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KRIEG/1371: Im Krieg der Lügen hat die Intrige gegen Verbündete Konjunktur (SB)



Die Doktrin, Angriffskrieg und Besatzungsregime der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan im Dienst der geostrategischen Offensive wahlweise als Antiterrorkampf, Demokratisierung, Aufbauhilfe oder Eindämmung des Drogengeschäfts zu verkaufen, um nur die gebräuchlichsten Propagandalügen zu nennen, entspringt dem Kalkül systematischer Verwirrung, die offenbar selbst vor den Reihen der Alliierten nicht haltmacht. Darf die linke Hand an der Heimatfront nicht wissen, was die rechte am Hindukusch treibt, löst das gewisse schizophrene Schübe aus, die für böses Blut unter den kriegstreibenden Nationen sorgen.

Vielleicht haben sich die Italiener aber auch nur die immer wieder gern gepredigte Allerweltsweisheit über Gebühr zu Herzen genommen, daß man in Afghanistan auf verlorenem Posten stehe, wenn man die Sitten und Gebräuche des Landes ignoriert. Jedenfalls behauptet die britische "Times", der italienische Geheimdienst habe die Taliban bestochen, um den Widerstand im Bezirk Surobi östlich von Kabul ruhigzuhalten. Nachdem die regionalen Kommandeure der Miliz und Warlords mehrere zehntausend Dollar erhalten hätten, scheine der Plan recht gut aufgegangen zu sein. Das hört sich doch gar nicht so schlecht an, wenn man bedenkt, welche Unsummen die Kampfhandlungen für gewöhnlich verschlingen, ohne auch nur annähernd das Resultat der Italiener zu erzielen. Deren Kriegsführung war demnach unter dem Strich billiger und vor allem in der Heimat wesentlich verdaulicher, wo man mit wachsendem Unmut die eintreffenden Leichensäcke zählt.

Allerdings hatte die Sache einen Pferdefuß: Als die Italiener das Mandat im Sommer 2008 an ihre französischen Nachfolger übergaben, vergaßen sie aus naheliegenden Gründen, ihr Geschäft mit dem Widerstand zu erwähnen. Die Freude der Franzosen über die friedliche Lage in ihrem Einsatzgebiet währte daher nicht lange, da die einheimischen Geschäftspartner mangels weiterer Zahlungen davon ausgehen mußten, daß sich die Konditionen geändert hatten. Sie legten den Besatzern einen gut geplanten Hinterhalt, dem zehn Soldaten zum Opfer fielen. Es war der bislang folgenschwerste Angriff auf die französische Armee in Afghanistan.

In Frankreich fiel die erste Reaktion auf den Bericht der "Times" erstaunlich verhalten aus. Möglicherweise will man zuerst weit ausholen, um dann um so kräftiger zuzuschlagen. Andererseits ist natürlich nicht auszuschließen, daß die militärische Führung längst von den Vorfällen Kenntnis hat, aber den Ball flach halten möchte, weil sie gar nicht erst anfangen will, den Bürgern auf die Nase zu binden, was an der afghanischen Front gang und gäbe ist. Der sozialistische Fraktionschef Jean-Marc Ayrault forderte jedenfalls Verteidigungsminister Hervé Morin zu einer Offenlegung seiner Informationen auf. Sollten die Italiener tatsächlich Taliban-Kämpfer bestochen haben, wäre dies "sehr schlimm" und würde ein "generelles Problem" ans Licht bringen.

Hatten die Italiener im Feindesland womöglich darauf gesetzt, daß Geschäftstüchtigkeit allemal zielführender als martialischer Impetus sei, so eröffneten sie angesichts der jüngsten Vorwurfslage unverzüglich ein Trommelfeuer wenngleich verbaler Art. In Rom wies man den Bericht als "völlig unbegründet" zurück, und Verteidigungsminister Ignazio La Russa bezeichnete ihn kurzerhand als "Müll" und eine Beleidigung für die italienischen Opfer. Die Regierung habe solche Zahlungen "weder gebilligt noch gewährt" und wisse auch nichts von einem anderen Vorgehen der Vorgängerregierung, hieß es in einer Erklärung. "Es reicht, daran zu erinnern, daß das in Afghanistan stationierte italienische Kontingent in der ersten Jahreshälfte 2008 zahlreiche Angriffe erleiden mußte." Regierungschef Silvio Berlusconi soll bereits seine Anwälte für eine Klage gegen das angesehene Londoner Blatt in Stellung bringen.

Gut gebrüllt, Löwe, würde man meinen, wären da nicht die mindestens zwiespältigen Signale aus dem Lager der Besatzer. "Wir zahlen keine Bestechungsgelder", polterte markig, aber offenbar völlig unzutreffend NATO-Sprecher Oberst Wayne Shanks. Der Sprecher der ISAF in Afghanistan, Eric Tremblay, räumte hingegen ein, daß die Zahlung von Bestechungsgeldern keinesfalls "gängige Praxis" im Kampf gegen die Taliban sei, wobei es allerdings in einigen Regionen gelegentlich Absprachen zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen gebe. Experten, so heißt es, wiesen darauf hin, daß Geheimdienste, allen voran die CIA, ohne Absprache mit den Armeeführungen vor Ort ihre eigenen Ziele verfolgten und abseits der Truppenstrategie Kontakte zum Feind knüpften. Auch erinnert man sich jetzt daran, daß der italienische Dienst bereits in der Vergangenheit in die Kritik geriet, als er Kabul bei der Entführung eines italienischen Reporters massiv unter Druck setzte, für die Lösung des Geiseldramas Taliban-Kämpfer aus dem Gefängnis zu entlassen. Auch gerieten zwei italienische Agenten im Oktober 2007 in Gefangenschaft, wobei man damals munkelte, sie hätten versucht, Taliban-Kommandeure zu bestechen.

Ziemlich handfest klingen die Vorwürfe, wenn man berücksichtigt, daß der langjährige Kabul-Korrespondent der "Times", Tom Coghlan, aus NATO-Kreisen Hinweise darauf bekommen haben will und die Zahlungen durch vom US-Geheimdienst abgehörte Gespräche im Nachhinein bekanntgeworden sein sollen. Angeblich haben die USA bereits bei der italienischen Regierung interveniert und um Aufklärung gebeten. Oder sollte das Ganze am Ende eine Intrige der Amerikaner sein, die den Verbündeten eins auswischen wollen, wenn diese sich in Afghanistan zurückhalten und friedliebende Absichten simulieren? Das möchte man aus deutscher Sicht nicht ganz ausschließen: Einfach war es nicht, die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr Schritt für Schritt durchzusetzen, wofür dummerweise kurz vor der Bundestagswahl auch noch ein Massaker herhalten mußte.

Wie immer sich die italienische Variante aufklären oder verschleiern oder durch vorgebliche Aufklärung erst recht verschleiern wird - eines kann man wohl im eingangs angesprochenen Sinn für bare Münze nehmen: Wo so viel gelogen wird, wie im Afghanistankrieg der Alliierten, kann es kaum ausbleiben, daß man sich mitunter in die eigene Tasche lügt, ohne es gleich an die große Glocke zu hängen.

16. Oktober 2009