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KRIEG/1393: Lektion aus Kunduz-Massaker ... aggressiver vorgehen (SB)



Bei aller Aufregung um den Umgang der Bundesregierung mit der Bombardierung zweier Tanklastzüge am 4. September in der Nähe von Kunduz bleibt es um die Frage danach, wieso die Bundeswehr überhaupt in Afghanistan kämpft, weitgehend still. Mit vereinten Kräften haben es Bundesregierung, Parlament und Medien geschafft, das Krisenmanagement hermetisch gegen die seit Jahren von Kriegsgegnern aufgestellte Forderung nach dem sofortigen Abzug der Bundeswehr und aller anderen NATO-Truppen aus dem Land abzuschotten. Stattdessen wird die schon vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder propagierte Normalisierung der deutschen Kriegführung konsequent fortgesetzt.

Zehn Jahre nach dem Überfall der NATO auf Jugoslawien ist die Saat des neuen, mit dem Anschluß der DDR an die BRD konstituierten Selbstverständnisses der Berliner Republik als einer der auch militärisch großen Akteure der Neuen Weltordnung vollends aufgegangen. Wenn SPD und Grüne heute die Bundesregierung in Sachen Afghanistan attackieren, dann wird sehr darauf geachtet, die eigene Beteiligung der kriegerischen Eskalation am Hindukusch unerwähnt zu lassen. Dementsprechend zahm bleibt die Kritik an der Bundesregierung, dementsprechend flach fallen die in dem am Mittwoch eingerichteten Untersuchungsausschuß zu untersuchenden Fragen aus.

Man behandelt das Thema weiterhin als ein Problem der Informationspolitik der Bundesregierung, um die schon kurz nach dem Luftangriff deutlich gewordene Tatsache zu kaschieren, daß dieser mit konkreter Vernichtungsabsicht durchgeführt wurde. Die Weigerung des kommandierenden Bundeswehroffiziers, das Angebot der US-Kampfpiloten anzunehmen, das Zielgebiet zur Warnung von Zivilisten mehrmals tief zu überfliegen, seine Forderung, sechs anstelle der letztlich zwei Bomben abzuwerfen, und seine irreführende Behauptung, die Bundeswehr befinde sich in unmittelbarem Feindkontakt, so daß der Angriff keinen Aufschub dulde, sind seit langem bekannte Tatsachen, die die offensive Absicht der Vernichtungsaktion belegen.

Damit stünde nichts geringeres zur Untersuchung an als die Frage, ob es sich bei diesem Angriff um ein strafwürdiges Kriegsverbrechen gehandelt hat. Der weitestgehende Schritt des zum Untersuchungsausschuß umgewandelten Verteidigungsausschusses des Bundestags besteht jedoch darin zu fragen, ob "Nachsteuerungen" hinsichtlich derartiger Einsätze vorgenommen werden müssen. Diese Marschrichtung läuft nicht unbedingt auf ein defensiveres Vorgehen hinaus, sondern kann im Sinne der bereits vorgenommenen Lockerung der Einsatzregeln für die in Afghanistan kämpfenden Bundeswehrsoldaten auch eine Eskalation des Krieges bewirken.

So wurde bereits Ende Juli 2009 die sogenannte Taschenkarte, auf denen die Soldaten die Gefechtsfeldregeln in Kurzform nachlesen können, mit Billigung der vier kriegsbefürwortenden Bundestagsfraktionen dahingehend erweitert, daß Personen attackiert werden können, die Angriffe "planen, vorbereiten, unterstützen oder ein sonstiges feindseliges Verhalten zeigen" (FAZ, 15.12.2009). Diese weithin auslegbare Formulierung konterkariert den als Begründung für die Beteiligung der Bundeswehr an der Besetzung Afghanistans mit dem ISAF-Mandat gegebenen Schutzauftrag deutlich. Zwar ließ sich dieser bisher schon offensiv auslegen, wie die von der Bundeswehr gestellte schnelle Eingreiftruppe in Nordafghanistan belegt. Ab dem Sommer jedoch gilt generell, daß schon bei jedem als feindselig eingestuften Verhalten eines Afghanen geschossen werden kann.

Daher ist die Debatte um die Frage, ob die Bundeswehr lediglich eine Unterstützungsmission in einem weitgehend friedlichen Land durchführt oder in einem Krieg steht, nicht nur aus rechtlichen Gründen interessant. Das offizielle Eingeständnis, daß man sich in einem solchen befindet, hätte zur Folge, daß Angriffe wie der vom 4. September zur Normalität einer aggressiven, auf Sieg durch Zerstörung des Gegners ausgerichteten Kriegführung gehörten. Insofern läuft jede Debatte, die die Option eines schnellen Abzugs der Bundeswehr ausklammert, tendenziell auf die Brutalisierung der Kriegführung hinaus. Im schlechtesten Fall produzierte der Untersuchungsausschuß Sachzwänge und Handlungsnotstände, die den Angriff auf die Tanklaster nachträglich im Grundsatz rechtfertigten und ihre Wiederholung vorab legitimierten.

Unter den Befürwortern einer solchen Entwicklung spricht der Professor für Neue Geschichte an der Bundeswehruniversität, Michael Wolffsohn, eine besonders deutliche Sprache. Im Gespräch mit Welt Online erklärte er:

"Es war von Anfang an klar, dass es zivile Opfer bei jenem Angriff auf die Taliban-Partisanen gegeben haben muss. Jeder, der auch nur ein bisschen den Partisanenkrieg kennt, weiß: Partisanen gebrauchen immer und überall das eigene Zivil als Versteck und Rückzugsbasis. Sie missbrauchen das eigene Zivil als Schutzschild. Das bedeutet: Neben jedem Partisan steht mindestens ein Zivilist. (...)

Die eigenen zivilen Opfer sind die beste Propaganda der Partisanen, um die gegnerischen Soldaten und deren Zivilbevölkerung zu verunsichern und letztlich zum Abzug zu bewegen. Die Taliban können den Abzug der Bundeswehr und ihrer Partner nur politisch erzwingen. Dafür müssen sie die deutsche Gesellschaft und Politik verunsichern. Zivile Opfer durch eigene Soldaten verunsichern jede Heimatfront. Das setzt den politischen Prozess in Gang. An dessen Abschluss steht der Abzug. Die Taliban-Strategie geht auf, heftiger denn je wird über den Abzug aus Afghanistan diskutiert. (...)

Das schlechte Image der Bundeswehr hängt damit zusammen, dass weder die deutsche Politik noch die Bundeswehrführung der deutschen Öffentlichkeit das Wesen des Partisanenkriegs erklärt hat - also den zynischen Missbrauch des eigenen Zivils durch Partisanen, hier also der Taliban."
(Welt Online, 26.11.2009)

Wolffsohn bedient sich des klassischen Arguments kolonialer Besatzungsmächte, um die Schuld der von ihnen begangenen Grausamkeiten dem gegen sie gerichteten Widerstand zulasten zu können. Seine politische Forderung, man müsse offen über die Erfordernisse der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan sprechen, um die Absicht der Taliban zu vereiteln, meint nichts anderes, als das rücksichtslose Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zu legitimieren. Das wiederum folgt der eigenen militärischen Ratio, daß die Bevölkerung davon abgehalten werden soll, die aus ihren Reihen heraus gebildete und operierende Guerilla zu unterstützen.

In Wolffsohns Sinne war die Entscheidung des Obersten Klein daher völlig legitim, nur wurde den Bundesbürgern nicht erklärt, wieso die Bombardierung ohne Vorwarnung hatte erfolgen müssen. Folgte die Bundesregierung seinem Ratschlag, dann entspräche die Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan dem Vorbild der US-Streitkräfte in Vietnam oder im Irak, wo der aggressive Waffengebrauch für ganze Städte oder Gebiete freigegeben wurde, weil man unterstellte, daß sich nur noch Aufständische in ihnen befänden.

Als auch in nichtkommerziellen Medien wie dem Deutschlandradio präsenter Kriegspropagandist fungiert Wolffsohn als Exponent jener Vernichtungslogik, deren mörderische Ratio im Fall der Bombardierung der Tanklaster nach wie vor dementiert wird. Bleibt die öffentliche Debatte auf dem Niveau einer parteipolitischen Manöverlage, die schlimmstenfalls dazu führt, daß Regierungspolitiker zurücktreten müssen, um anderen Bellizisten Platz zu machen, dann werden die Stimmen, die die Affäre als Folge des ungenügenden Einstehens für eine mit allen Mitteln den Sieg erzwingende Kriegführung darstellen, immer lauter werden.

17. Dezember 2009