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KRIEG/1416: Kundus hängt wie ein Klotz am Bein der Kriegstreiber (SB)



Die Bundeswehr beteiligt sich an einem Besatzungsregime in Afghanistan und einem Angriffskrieg gegen die Bevölkerung, die diese seit mehr als acht Jahren währende Okkupation durch westliche Mächte mit einem wachsenden Blutzoll und einer Vielzahl anderer Drangsalierungen bezahlen muß. Diesen offenkundigen Sachverhalt zu rechtfertigen, bedienen sich Bundesregierung und Parlament einer mediengestützten Verschleierungskampagne, die den Bürgern die martialische Expansion deutscher Partizipation an der Erringung globalstrategischer Vorherrschaft durch Desinformation und fließend modifizierte Propagandakonstrukte schmackhaft zu machen versucht. Ist dieser Krieg im propagierten Sinn am Hindukusch nicht zu gewinnen, so soll er jedenfalls durch Kriegsmüdigkeit an der Heimatfront nicht vorzeitig verloren werden.

Daß man dabei auf den Volksmund reflektiert, dem zufolge Späne fallen, wo gehobelt wird, macht das Massaker von Kundus nicht verdaulicher, das wie ein Klotz am Beim der Riege deutscher Kriegstreiber hängt. Bei dem von Bundeswehr-Oberst Georg Klein befohlenen Luftangriff am 4. September 2009 nahe der nordafghanischen Stadt Kundus waren bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter zahlreiche Zivilisten und namentlich auch Kinder. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt gegen Klein und seinen Flugleitoffizier wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch, also eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens. Im Gestrüpp der fortgesetzt modifizierten Sprachregelungen, um welche Art von Konflikt es sich in Afghanistan handelt, gelangte die Bundesanwaltschaft nach eingehender Prüfung zu der Auffassung, daß es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der internationalen Schutztruppe ISAF "um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches handelt". (Die Zeit 19.03.10)

Der Behörde zufolge ist das Ermittlungsverfahren unter anderem deswegen unverzichtbar, weil die Informationsmöglichkeiten über das tatsächliche Geschehen, die es im Rahmen eines Prüfvorganges gibt, ausgeschöpft sind. Nur ein Ermittlungsverfahren biete die Möglichkeit, Zeugen zu vernehmen sowie den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Auch wenn die Bundesanwaltschaft durchaus zu der Auffassung gelangen kann, daß es sich um kein Kriegsverbrechen gehandelt habe oder dieser Vorwurf am Ende gar nicht zur Disposition steht, könnte die juristische Vorwärtsverteidigung der deutschen Kriegsbeteiligung doch unversehens über die wachgerufene Hellhörigkeit der hiesigen Bevölkerung stolpern: Wenn man laut in den Wald hineinruft, daß ein hochrangiger Bundeswehroffizier kein Kriegsverbrecher ist, könnte plötzlich die zornige Antwort herausschallen, daß man von solchen Massakern endgültig genug hat und besser heute als morgen abziehen soll.

Unterdessen wird im parlamentarischen Untersuchungsausschuß kräftig schmutzige Wäsche gewaschen, was nicht allein auf das parteipolitische Hauen und Stechen zurückzuführen ist, mit dem man sich gegenseitig an der Wäsche zu flicken versucht. Der dicke Brocken Kundus droht allen unmittelbar Beteiligten im Hals des Karrierewegs steckenzubleiben, weshalb man die Verantwortung abschiebt und andere bezichtigt, die ihrerseits keine Hemmungen mehr haben, gezielt aus dem Nähkästchen zu plaudern, um ihre Haut zu retten oder zumindest der Rache zu frönen. Natürlich geht es im Prinzip darum, von der deutschen Kriegsbeteiligung abzulenken, das Massaker als Sonderfall zu deklarieren und eine angemessene Maßregelung der Sündenböcke zu simulieren oder in gewissem Umfang auch in die Wege zu leiten. Ob das gelingt, hängt jedoch davon ab, inwieweit der Pakt des Täuschens und Trügens mittels Bauernopfern auf eine höhere Ebene überführt werden kann und die Bundesbürger weiterhin übersehen, daß der Krieg gegen die Afghanen untrennbar mit der rapiden Verschlechterung der hiesigen Lebensverhältnisse zusammenhängt.

Ins Fadenkreuz des Untersuchungsausschusses geraten ist Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der im Machtkampf der Schuldzuweisung den ehemaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und den Staatssekretär Peter Wichert entlassen hat. Seine fadenscheinige Begründung, sie hätten ihm Informationen zu Kundus vorenthalten, wird von beiden vehement bestritten, so daß sich Guttenbergs herrische Selbstbehauptung beim Sprung ins politische Rampenlicht nun zu rächen droht. "Es sieht so aus, als ob Guttenberg gelogen hat", fand Jan van Aken von der Linkspartei die deutlichsten Worte. Man könne davon ausgehen, daß dem Minister alle Berichte zur Verfügung gestanden haben.

Omid Nouripour, der für die Grünen im Ausschuß sitzt, will von einer Rücktrittsforderung erst sprechen, wenn man den Minister der Lüge überführt habe, was bislang noch nicht abzusehen sei. Unklar bleibe vorerst, warum der Minister seine Bewertung des Angriffs von "militärisch angemessen" in das Gegenteil geändert habe, ohne daß ihm nach den Aussagen Schneiderhans und Wicherts zwischen beiden Stellungnahmen neue Erkenntnisse vorgelegen hätten.

SPD-Obmann Rainer Arnold findet Guttenbergs These, er sei falsch oder schlecht informiert worden, auf keine Weise fundiert. Der Minister habe seines Erachtens eine Fehlbewertung vorgenommen, die er korrigieren mußte, wofür er schnell einen Sündenbock gesucht habe. Das sei stil- und würdelos und verletzte die Ehre von Wichert und Schneiderhan.

Den aufsteigenden Stern des Regierungslagers jäh zu Fall zu bringen, würde der Opposition natürlich sehr gefallen, was man allerdings nicht mit grundsätzlichen Einwänden gegen den Krieg in Afghanistan verwechseln darf, den von den im Bundestag vertretenen Parteien nur Die Linke beendet wissen will. Wie die Zurückhaltung bei SPD und Grünen zeigt, will man Guttenberg schlachten, ohne den Feldzug gleich mit auf den Richtblock zu legen. Aufschlußreich ist insbesondere die Wortwahl Arnolds, der Guttenbergs Marschtritt gegen Untergebene für politisch geschmacklos und ehrenrührig hält, als spreche man nicht über 142 massakrierte oder schwerverletzte Afghanen, sondern mangelnde Umgangsformen in besseren Kreisen.

Was die geschaßten Schneiderhan und Wichert erbost auspacken, gewährt einen ungewöhnlich tiefen Einblick in die Machenschaften des Verteidigungsministeriums und dessen Verfahrensweisen, dem Parlament und um so mehr der Bevölkerung alle wesentlichen Informationen vorzuenthalten. Staatssekretär Wichert führte das Haus unter Verteidigungsminister Franz Josef Jung offenbar wie ein Schattenminister und baute ein System auf, in dem Transparenz und parlamentarische Kontrolle weitgehend Fremdwörter waren. Die Spitze des Ministeriums und die Führung der Streitkräfte blieben lieber ungestört, was Wichert vor dem Ausschuß in die Worte faßte, er habe die Aufgabe gehabt, dem Parlament zu berichten, nicht vollständige Berichte abzuliefern.

Daß die Kundus-Affäre eskalierte, lasten Wichert und Schneiderhan indirekt Guttenberg an, da Details aus einem vertraulichen Gespräch im Büro des Verteidigungsministers an die Presse gelangten. Der ehemalige Generalinspekteur fordert die Suche nach der undichten Stelle, da ein unkontrollierter Informationsfluß die Truppe gefährde. Auch bezeichnete er die Pressearbeit als Schwachpunkt, womit er offensichtlich nicht etwa meinte, daß die Öffentlichkeit schlecht informiert wurde, sondern daß sie zu viele Details erfuhr. Auch Wichert beklagte, daß sich nach der Bombardierung der Informationsfluß verselbständigt habe und von ihm nicht genehmigte Mitteilungen veröffentlicht wurden.

Wicherts Regime beruhte demnach darauf, Angst vor Fehlern zu schüren und die Verantwortung unter Einhaltung des Meldewegs auf andere abzuschieben, so daß in der Spitze kontrolliert und kanalisiert werden konnte, was in welcher Form nach außen drang. Von der Existenz der Spezialtruppe Taskforce 47, die in die Bombardierung der beiden Tanklaster verwickelt war, erfuhren selbst die Obleute des Verteidigungsausschusses erst aus der Presse. Den in den Medien als Gruppe 85 bezeichneten Arbeitskreis hatte Wichert im Rahmen der mit Jung getroffenen Vereinbarung installiert, eigene Ermittlungen der Bundeswehr auszubremsen. Die Aufklärung zu Kundus überließ man der ISAF, zu der Vertreter des Arbeitskreises engen Kontakt hielten. Von Beeinflussung könne keine Rede sein, versicherte Wichert treuherzig, um den naheliegenden Verdacht zu entkräften, die Gruppe 85 sei zum Zweck der Vertuschung und Täuschung der Öffentlichkeit eingerichtet worden.

"Wir wissen, daß schon drei Tage nach dem Bombenangriff gezielt vertuscht und den Soldaten sogar ein Maulkorb verordnet wurde", so Jan van Aken. Offenbar ist der neue Besen Guttenberg dem System Wicherts jedoch so nachhaltig in die Parade gefahren, daß dieses nach Kundus ins Wanken geriet und die aufbrechenden undichten Stellen nicht mehr stopfen konnte. Von einem Dammbruch kann man freilich erst dann sprechen, wenn sich die Kritik am Bundeswehreinsatz in Afghanistan nicht in der Sackgasse einer Skandalisierung des Massakers von Kundus oder dem Triumph über einen denkbaren Ministersturz festfährt.

21. März 2010