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KRIEG/1434: Erst schießen, und dann immer noch nicht fragen ... bewaffnete Hungerhilfe (SB)



Um gegenüber der deutschen Kriegführung skeptische Funktionsträger von der Notwendigkeit militärischer Maßnahmen zu überzeugen bedarf es wenig. So zeigt sich die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, nach einer Reise mit Entwicklungsminister Dirk Niebel nach Afghanistan und Pakistan vom Nutzen zivilmilitärischer Zusammenarbeit auch in ihrem Zuständigkeitsbereich überzeugt. Mit der Forderung des FDP-Politikers nach Bindung staatlicher Mittel für Hilfsorganisationen an deren Bereitschaft, mit der Bundeswehr zu kooperieren, hat Niebel offen verlangt, was bis dahin eher hinter vorgehaltener Hand verhandelt wurde. Geostragische Expansion und humanitäre Hilfe schließen einander keineswegs aus, sie sind ganz im Gegenteil zwei Beine des einen nationalen Projekts der Eröffnung neuer Einflußsphären in aller Welt.

So vertritt Dieckmann im schönsten Besatzerjargon, daß die Gefährdungslage in Afghanistan wie das Problem der "aufständischen Taliban" nur militärisch zu lösen sei. Zwar fügt sie pflichtschuldigst hinzu, es sei "auch klar, dass eine starke Zivil-Gesellschaft aufgebaut werden muss", was auf Dauer nur mit zivilen Entwicklungshelfern möglich sei (Zeit Online, 06.06.2010) [1]. Die Quintessenz ihrer auf der Reise ins Kriegsgebiet gemachten Erkenntnisse besteht jedoch zweifellos darin, daß militärische Okkupation und karitative Arbeit Hand in Hand gehen müssen. Die kleine begriffskosmetische Korrektur, dabei gehe es nicht um Kooperation, sondern um Koordination und Information, mindert die Bedeutung des großen Sprungs von einer aus rein humanitären Gründen bedingungslos gewährten Hilfe zu dem auf geopolitische Interessen konditionierten strategischen Einsatz von Nahrungsmitteln für Hungernde nicht im mindesten.

So wird die Bevölkerung eines Landes, in dem mindestens ein Drittel der Menschen hungert und das mit rund 45 Jahren eine der niedrigsten durchschnittlichen Lebenserwartungen der Welt aufweist, auf brutalstmögliche Weise mit der Essenz kapitalistischer Vergesellschaftung vertraut gemacht. "There is no such thing as a free lunch" lautet der unter anderem von dem protoliberalen Ökonomen Milton Friedman popularisierte Merksatz, nach dem sich auch Afghanen zu richten haben. Da die NATO-Gegner sich der reinen Lehre vom Primat des Marktes verweigern, sollen sie auch nicht an den Früchten eines Gesellschaftssystems teilhaben, in dem der Lohn stets geringer ausfällt als das, was dafür aufgegeben wurde. Belohnt durch die Gewähr bloßen Überlebens wird, wer sich unterwirft, bestraft durch gewaltsame Befriedung wird, wer die Hegemonie der Satten in Frage stellt. Gefragt, ob man mit diesem System der selektiven Zuteilung und totalen Fremdbestimmung überhaupt einverstanden ist, wird nicht - die gültige Verfügungsform im Umgang mit Krisengebieten ist die Ermächtigung zum kriegerischen Ausnahmestzustand.

Nahrungsmittelhilfe als strategische Waffe ist ein überaus effizientes Instrument der Herrschaftsicherung, setzt sie doch bei einem zentralen Bedürfnis an und verdoppelt die Not der Betroffenen, indem der kreatürliche Hunger mit politischem Zwang aufgeladen wird. Wo zuerst mit Waffengewalt Ordnung hergestellt wird, anstatt die Anwendung von Gewalt durch die Beseitigung des Mangels überflüssig zu machen, um die Menschen in Freiheit über ihr gesellschaftliches und politisches Dasein befinden zu lassen, hat der Anspruch des Humanitären jeden Gehalt verloren. Menschen auf solidarische Weise beizustehen ist jeder Paternalismus fremd, geht es doch darum, den andern unterschiedslos in seiner Schwäche und der daraus resultierenden Stärke emanzipatorischen Potentials anzuerkennen. Dieckmann hingegen propagiert die Charity der besseren Gesellschaft, die den Objekten gönnerhaften Mitgefühls im Zweifelsfall auch in Form von Zwangsernährung zuteil werden soll.

Fußnote:

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-06/welthungerhilfe