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KRIEG/1439: Westerwelles Seifenblase ... Befriedung Afghanistans unabsehbar (SB)



"Gut genug" müsse der Zustand Afghanistans sein, bevor die Bundeswehr aus Zentralasien abzieht. Außenminister Guido Westerwelle legt die Latte dessen, was dort erreicht werden soll, nach neun Jahren Besatzung niedriger denn je. Sozialen Verbesserungen wird mit der Aussage, man könne dort keine "europäischen Verhältnisse schaffen", von vornherein eine Absage erteilt, statt dessen wird die Korruption beklagt und eine politische Lösung angemahnt.

Westerwelles Ankündigung, man werde schon nächstes Jahr mindestens eine der neun Provinzen im Norden des Landes einheimischen Sicherheitskräften übergeben, heißt keinesfalls, daß die Bundeswehr abzieht. Dies wird auf die lange Bank einer schrittweisen Entwicklung geschoben, über die die Bundesregierung ohnehin nicht gebietet. Deren strategische Interessen wurden von dem FDP-Politiker noch einmal unter Verweis auf Altbundespräsident Horst Köhler, der mit seinen Ausführungen zur deutschen Kriegführung gerade nicht Afghanistan gemeint habe, einer provinziellen Engführung unterworfen, die die maßgebliche Besatzungsmacht USA notorisch ausblendet.

Mit den vermeintlichen Rohstoffinteressen, die seit Köhlers Rücktritt in aller Munde sind, wurde ein probates Ablenkungsdispositiv in die Debatte eingebracht. Während Ressourcensicherung selbstverständlicher Bestandteil aller strategischen Entwürfe der NATO und ihrer Mitgliedstaaten ist, wird über die politische Verpflichtung, beim Sterben dabei zu sein, um bei der Verteilung der Beute bedacht zu werden, hinweggegangen. Bündnisinteressen im allgemeinen und die transatlantische Achse im besonderen binden die Bundesrepublik in eine Weltordnung ein, über die mit diplomatischen, ökonomischen und militärischen Mitteln durch die am meisten von der Globalhegemonie der USA profitierenden Staaten verfügt wird. Der Afghanistankrieg ist Bestandteil der suprastaatlichen Transformation des westlichen Akkumulationsmodells zum globalen Entwicklungsprinzip, das mit Modernisierung und Demokratisierung die Durchsetzung der Bedingungen eigener Verwertungsinteressen meint.

Die Frage danach, was in Afghanistan konkret zu holen sei, verstellt den Blick auf die systemische Logik "asymmetrischer" Kriegführung. Die sogenannte Aufstandsbekämpfung ist keinesfalls zwingend mit einer Politik des Wiederaufbaus verknüpft, die das neokolonialistische Protektorat im volkswirtschaftlichen Sinne voranbringt. Es reicht vollständig aus, die Befriedung punktuell und lokal durchzusetzen, um den Interessen der Invasoren an einer territorialen Kontrolle zu genügen, die zum einen verhindert, daß sich im Land Gegenkräfte zur eigenen Hegemonie formieren, und die zum andern Voraussetzung strategischer Offensiven gegen eurasische Großmächte wie Rußland und China ist.

Ginge es um den Abbau wertvoller mineralischer Rohstoffe, dann bedarf es dazu nur einer Marionettenregierung in Kabul und einer regionalen Befriedung, die mit eigener Feuerkraft und durch Bündnisse mit lokalen Warlords zu erreichen ist. Afghanistan ist bereits seit 30 Jahren in einem Zustand extensiven Bürgerkriegs, warum soll sich daran etwas ändern, wenn sich rentablere Projekte als eine Befriedung in der Fläche durchführen lassen. Die US-Regierung zumindest betreibt diese Strategie schon des längeren, darüber kann auch die seit Anfang des Jahres favorisierte Doktrin der Counterinsurgency nicht hinwegtäuschen. Die damit gemeinte Einbindung der Bevölkerung und Isolation des Widerstands funktioniert schon deshalb schlecht, weil die Verbesserung der Lebensbedingungen für die große Masse der Bevölkerung nicht wirklich angestrebt wird, und kann gerade im ethnisch und kulturell heterogenen Afghanistan sehr gut auf Gebiete von besonderem Interesse für die Besatzer reduziert werden.

Nun beabsichtigt Washington, in dem von der Bundeswehr kontrollierten Raum um Mazar-i-Sharif eine Garnison für Spezialstreitkräfte zu errichten, die mit Baukosten von bis zu 100 Millionen Dollar nicht allzu klein ausfallen dürfte. Die projektierte Bauzeit von 18 Monaten dokumentiert, daß man langfristige Pläne für das Land hat, die sich mit dem hierzulande erweckten Eindruck, eines Tages stände der vollständige Abzug der NATO an, nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Die sozialen und politischen Verwerfungen in den zentralasiatischen Republiken lassen große Garnisonen der US-Streitkräfte in Afghanistan ebenso sinnvoll erscheinen wie die Nachbarschaft mit Pakistan und dem Iran, zwei für die US-Geopolitik überaus problematische Staaten.

Special Forces sind die Speerspitze einer Aufstandsbekämpfung der besonders brutalen Art, die schon in Vietnam dafür gesorgt hat, daß der nationale Widerstand gegen die Invasoren desto erbitterter kämpfte. Die Bundesregierung kann es sich angesichts der Treueschwüre, die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Westbindung der Bundesrepublik und die israelfreundliche Staatsräson abgelegt hat, kaum leisten, eine militärische Eskalation in Nord-Afghanistan mit einem Truppenabzug zu quittieren. Unter diesen Bedingungen eine afghanische Selbstverwaltung durch einheimische, mit den Besatzern verbündete Kräfte ins Auge zu fassen heißt Sand in selbiges streuen.

9. Juli 2010