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KRIEG/1456: Mit Terroralarm völkerrechtswidrige Drohnenangriffe legitimieren (SB)



Das Bundesinnenministerium hat Medienberichte, laut denen Al Qaida "längerfristig" Anschläge in den USA, in Europa und auch in Deutschland plane, mit dem Hinweis auf "nachrichtendienstlichem Aufkommen" bestätigt, will aber über keine Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge in der Bundesrepublik verfügen [1]. Nun wird spätestens seit dem 11. September 2001 nichts anderes behauptet, als daß Al Qaida vorhabe, Anschläge in der westlichen Welt zu begehen. Darauf fußt der von den USA geführte Globale Krieg gegen den Terror und die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg. Die Terrorgefahr ist eine Universalbegründung imperialer Geopolitik und sicherheitsstaatlicher Aufrüstung, die eigens aufzurufen auf besonderen Legitimationsbedarf schließen läßt.

Die Bedrohungslage wird durch Erklärungen des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA bekräftigt und, was in Anbetracht des nebulösen Charakters der Information Aufschluß über ihren zweckrationalen Charakter geben könnte, mit der US-Kriegführung in Pakistan in Verbindung gebracht. Bedeutsam für eine Berichterstattung, die nicht nur widerkäut, was aus den undurchschaubaren Parallelgesellschaften der Geheimdienste auf die demokratische Zivilgesellschaft losgelassen wird, ist auch die Identität der für die angeblichen Terrorpläne hauptsächlich ausgewiesenen Quelle. Es handelt sich um den deutschen Bürger afghanischer Herkunft Ahmad S., der, wie von den Regierungen in Washington und Berlin bestätigt wurde, im Sommer auf dem Weg von Pakistan nach Europa in Kabul von US-amerikanischen Sicherheitskräften festgenommen wurde und im US-Lager Bagram festgehalten wird. Nachdem er dort von US-Experten "eingehend" [2] verhört wurde, habe er ausführlich über Anschlagsszenarien in der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern ausgepackt.

Spiegel Online berichtete bereits am 4. September, daß das Auswärtige Amt die US-Regierung mehrfach aufgefordert habe, ihren Diplomaten Zugang zu dem Gefangenen zu gewähren. Bagram war berüchtigt für die dort bei sogenannten Terrorverdächtigen angewendeten Foltermethoden, die in mehreren Fällen zum Tod der Betroffenen führten, und ist auch heute nicht frei von dem Ruf, daß dort Aussageerpressung betrieben wird. Dennoch ist der Fall dieses aus Hamburg stammenden Mannes so gut wie unbeachtet geblieben, was nicht gerade Anlaß gibt, als Bundesbürger, der in die Hand ausländischer Folterer fällt, auf tatkräftige Unterstützung zu hoffen.

Nun tritt die CIA an die Öffentlichkeit und malt das Menetekel mehrerer zeitgleich durchzuführender Anschläge in westlichen Metropolen an die Wand, die die Dimension der terroristischen Angriffe in Mumbai im November 2008 erreichen könnten. Um das Gerücht aus dem Munde eines Mannes, an dem vor allem verdächtig ist, daß er in einer von den Behörden wegen Terrorverdachts geschlossenen Moschee verkehrt hat, in der auch die angeblichen Hamburger 9/11-Attentäter einst beteten, mit Plausibilität aufzuladen, wird selbst der schon im Nebel überlebensgroßer Legenden verschwunden gewähnte Osama bin Laden aufgeboten. Er höchstpersönlich habe die Anschlagspläne autorisiert, soll Ahmed S. erklärt haben. Dessen Authentizität als Eingeweihter in die sinistren Pläne Bin Ladens wird auf Blick.ch mit der Information befestigt, daß er den Vater des wegen Beteiligung an den 9/11-Anschlägen verurteilten Mounir al-Motassadeq öfter zu Haftbesuchen gefahren und 2002 mit dessen Familie in Marokko Urlaub gemacht habe. "Unheimlich: Spuren führen zu 9/11-Terrorist" lautet die Schlagzeile[3], mit der die ganze Familie Motassadeq unter einen Terrorverdacht gestellt wird, der im Falle ihres Sohnes auf einem fragwürdigen, aber allemal zweckdienlichen Gerichtsurteil beruht.

Was auch immer die Archive hergeben, wird herangezogen, um die Behauptungen eines Geheimdienstes mit Indizien zu stützen, die wiederum auf Geheimdienstinformationen beruhen. Nichts genaues weiß man nicht, aber das soll zumindest geglaubt werden, um die Angst, die ganz andere Interessen als das der Gefahrenabwehr bedient, zu schüren und dem Unbehagen eine Adresse zu geben, die nicht die Misere der eigenen Gesellschaft zum Gegenstand hat. Noch abenteuerlicher wird die Angelegenheit, wenn die CIA die Erfolgsmeldung verlauten läßt, daß die in den letzten Monaten in ihrer Zahl stark zugenommenen Drohnenangriffe auf pakistanisches Gebiet insbesondere unter den aus Deutschland stammenden Islamisten zu einem "Niedergang" der Kampfmoral und zum "Abklingen" der Begeisterung für den Islam beigetragen hätten. Auch Ahmad S. habe aufgrund der tödlichen Wirkung der Drohnenangriffe auf angebliche Terrorlager bekundet, daß er seine Absicht, den "Märtyrertod" zu sterben, "voll aufgegeben hat" [2].

Die Botschaft eines selbstreferentiellen Konglomerats aus Informationen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen weder dem Bürger noch der Presse noch den Parlamenten möglich ist, lautet, daß der Krieg in AfPak seinen Zweck, die Heimat vor Terroristen zu schützen, voll und ganz erfüllt. Mögen die Angriffe unbemannter Drohnen auf pakistanisches Gebiet auch Verletzungen internationalen Rechts darstellen, so heiligt der Zweck doch die Mittel. Was die NATO im Fall des aktuellen grenzüberschreitenden Angriffs ihrer Kampfhubschraubern als Akt der Verteidigung rechtfertigt und die Regierung in Islamabad mit einer Protestnote quittiert, erscheint vor dem Hintergrund einer terroristischen Bedrohung, die Tausende Menschen in westlichen Städten das Leben kosten könnte, mehr als gerechtfertigt. Auch die mögliche Folterung eines Bundesbürgers fällt nicht weiter ins Gewicht, wenn er auf Bild.de bereits als "Terrorist" [4] vorverurteilt wird.

Es wäre müßig, den potjemkischen Dörfern des Terrorkriegs größere Aufmerksamkeit zu schulden, wenn sie dem selbstgenügsamen Geschäft um ihre Existenzberechtigung kämpfender Sicherheitsapparate und ihre Auflage befeuernder Boulevardmedien geschuldet wären. Der regelmäßig ausgelöste Terroralarm hat jedoch direkte Auswirkungen auf das Leben jedes einzelnen. Er begünstigt die Ausbildung eines autoritären Sicherheitsstaats, wie derzeit am Plan des Bundesinnenministers Thomas De Maizière zu studieren, bestehende Terrorgesetze zu verlängern und neue Einschränkungen der Bürgerrechte zu erwirken. Er unterstützt populistische Offensiven wie die des Innenministers Niedersachsens, Uwe Schünemann, der die Einrichtung eines Heimatschutzdiensts fordert, was nicht von ungefähr nach Bürgermiliz klingt und an eine Schule der Nation gegen den inneren Feind denken läßt.

Die Melange aus Feindseligkeit gegenüber dem Islam, die im Bild vom christlichen Glauben abgefallener Terrorkonvertiten zum Kern des rassistischen Anwurfs, der fünften Kolonne im eigenen Land, vorstößt, dem Ruf nach starker Führung zur Abwehr dieser Gefahr und der Rechtfertigung einer Kriegführung, deren kalte, bündnis- und geostragische Ratio mit positiv-patriotischer Emotion scharf gemacht wird, stellt ein Spiel mit dem Feuer dar, das alles andere als spaßig ist. Im fehlenden Mut, Auswüchsen exekutiver Selbstherrlichkeit mit aufklärerischen Fragen entgegenzutreten, spiegelt sich ein Überdruß am demokratischen Zustandekommen politischer Entscheidungen, der Schlimmeres ahnen läßt.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,720248,00.html

[2] http://www.welt.de/politik/deutschland/article9957003/Deutsch-Afghane-verriet-Amerikanern-die-Terrorplaene.html

[3] http://www.blick.ch/news/ausland/unheimlich-spuren-fuehren-wieder-nach-hamburg-157518

[4] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/29/das-steckt-hinter-den-terror-plaenen/deutscher-islamist-verraet-details-der-anschlaege.html

29. September 2010