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KRIEG/1470: Wie ein Dieb in der Nacht - Obamas Blitzbesuch in Bagram (SB)



Kürzer und verstohlener hätte der Überraschungsbesuch US-Präsident Barack Obamas in Afghanistan kaum ausfallen können. War sein zweiter Blitzbesuch am Hindukusch seit seinem Amtsantritt schon aus Sicherheitsgründen vorab nicht öffentlich angekündigt worden, so landete der Präsident im Schutz der Dunkelheit unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram und damit inmitten der umfangreichsten Massierung US-amerikanischer Besatzungssoldaten im Land. Obama hatte das Weiße Haus heimlich verlassen und war über Nacht in den Nahen Osten geflogen. Am Ziel angekommen, landete die Airforce One abgedunkelt und mit ausgeschalteten Lichtern. Der ursprünglich auf sechs Stunden angesetzte Besuch wurde um die Hälfte gekürzt, da ein Hubschrauberflug nach Kabul zu Präsident Hamid Karsai unter Verweis auf schlechtes Wetter abgesagt werden mußte. Selbst eine Videoschaltung kam aufgrund der Witterung und technischer Probleme nicht zustande, so daß Obama und Karsai lediglich 15 Minuten miteinander telefonierten.

Was soll man davon halten, wenn sich der angeblich mächtigste Mann der Welt und Gebieter über ein Militärpotential, das seinesgleichen sucht, klammheimlich und nächtens wie ein Dieb in das besetzte Land einschleichen muß, auf einem Großstützpunkt abgeschirmt wird und bereits nach drei Stunden wieder das Weite sucht? Nach Zuversicht, Souveränität geschweige denn Siegesgewißheit sieht das nicht gerade aus, weshalb die Behauptung, Obama habe "seinen" Truppen persönlich den Rücken stärken wollen, mit einem skeptischen Fragezeichen versehen werden muß. Der Präsident wolle bei dem Besuch einen persönlichen Eindruck von der Lage vor Ort bekommen, behauptete sein Berater Ben Rhodes vor Journalisten an Bord der Präsidentenmaschine. Wie Obama das bei einem dreistündigen nächtlichen Aufenthalt auf einem US-Stützpunkt gelingen sollte, führte Rhodes nicht aus.

In Bagram traf Obama mit dem US-Botschafter in Afghanistan, Karl Eikenberry, und dem ISAF-Kommandeur, General David Petraeus, zusammen. Er hielt eine Rede vor rund 3.500 offenbar begeisterten US-Soldaten, in der er ihnen für ihren Einsatz an den Feiertagen dankte. Gerade zu Beginn der Weihnachtssaison gebe es keinen Platz, an dem er lieber sei, als bei ihnen, trug Obama verdächtig dick auf. Wie er betonte, machten die US-Truppen wichtige Fortschritte, Das habe einen hohen Preis, doch der Erfolg werde sich einstellen. "Euch muß ich nicht sagen, daß das ein harter Kampf ist", rief er den Soldaten zu. "Die Fortschritte kommen langsam, vor uns liegen schwierige Tage." Er zweifle jedoch nicht daran, daß sich die Anstrengungen im Kampf gegen extremistische Gruppen lohne. "Wir brechen den Vorstoß der Taliban, das ist es, was ihr macht", verkündete der Präsident theatralisch. "Ihr geht in die Offensive, weil ihr es müde seid, in der Defensive zu sein. Ihr erreicht eure Ziele, ihr erfüllt eure Mission." Afghanistan werde nie wieder ein "sicherer Hafen" für "Terroristen" sein, die die Vereinigten Staaten angreifen wollten. Diese hohle Kriegspropaganda wurde garniert mit kurzen persönlichen Gesprächen, die der Präsident mit den Soldaten führte, sowie einem obligatorischen Besuch im Lazarett des Stützpunktes, wo er persönlich fünf "Purple Hearts" an verwundete Soldaten übergab.

Daß sich der Austausch mit Karsai auf eine Viertelstunde am Telefon beschränkte, hätte die aktuelle Stimmungslage kaum deutlicher unterstreichen können. Zuvor hatten die von der Internetplattform Wikileaks veröffentlichten internen Depeschen von US-Diplomaten das Verhältnis zwischen Obama und Karsai auf einen neuen Tiefpunkt sinken lassen. In den nun zugänglichen Dokumenten wird Karsai als "schwache Persönlichkeit" beschrieben, der von "Paranoia" getrieben sei. Entsetzen herrscht unter Diplomaten angeblich über das Ausmaß von Korruption, Bestechung und Vetternwirtschaft in Afghanistan, an dem höchste Regierungskreise bis hin zum Präsidenten beteiligt sind. (NZZ Online 03.12.10)

Im zehnten Jahr des Afghanistankriegs haben die USA rund 100.000 Soldaten im Land stehen, so daß insgesamt rund 150.000 ausländische Soldaten am Hindukusch stationiert sind, darunter rund 4.500 der Bundeswehr. Das laufende Jahr war mit rund 450 getöteten Soldaten für die USA das bislang verlustreichste in Afghanistan, wo seit Kriegsbeginn rund 1.300 US-Soldaten starben. (www.spiegel.de 03.12.10) Daraus eine Erfolgsgeschichte zu stricken, dürfte problematischer denn je sein, zumal man Schritt für Schritt damit herausrücken muß, daß die dauerhafte Präsenz eines beträchtlichen Kontingents angestrebt ist.

Das Weiße Haus arbeitet derzeit an einer Bestandsaufnahme seiner Afghanistanstrategie, die noch vor Weihnachten beendet sein soll. Der US-Präsident will in Kürze einen Bericht über das weitere Vorgehen bei der Bekämpfung des Widerstands und Unterstützung der Regierung in Kabul im Afghanistankrieg vorlegen, der in den USA zunehmend kritisiert wird. In seiner Amtszeit hat Obama die Zahl der US-Soldaten auf rund 100.000 verdreifacht, angeblich um den Beginn des Truppenabzugs im Sommer 2011 sicherstellen zu können, von dem inzwischen allerdings kaum noch die Rede ist.

Nachdem die Offensive der Besatzungsstreitkräfte zunächst auf erbitterten Widerstand stieß, bedienen sich die US-Militärs seit einiger Zeit der Sprachregelung, eine Verbesserung der Sicherheitslage zu postulieren. Indessen hat das Pentagon erst vor kurzem ungeachtet der Truppenaufstockung eine verhaltene Bilanz des Einsatzes während der letzten Monate gezogen. Die Fortschritte seien "unausgewogen", wobei es mit Blick auf Sicherheit und Regierungsstrukturen lediglich "moderate" Zugewinne gebe, heißt es in dem Bericht. Man darf also gespannt sein, welchen Lagebericht sich das Weiße Haus aus den Finger saugt.

4. Dezember 2010