Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1490: Internationaler Strafgerichtshof - legalistische Mehrzweckwaffe der NATO (SB)



Wie auch immer die Beantragung von internationalen Haftbefehlen gegen Muammar al Gaddafi, seinen Sohn Saif al Islam sowie Geheimdienstchef Abdullah al Senussi durch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) begründet wird, die politischen Beweggründe für diesen Schritt sind unübersehbar. Die der libyschen Führung vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfolgten, wenn sie denn in der beklagten Form stattfanden, im Kontext eines Bürgerkrieges, der durch eine Intervention der NATO internationalisiert wurde. Ihre strafrechtliche Verfolgung wurde in Rekordzeit eingeleitet, und zwar während des gleichen Zeitraums, als die Regierungen der NATO-Staaten sich entschlossen, in diesen Bürgerkrieg militärisch einzugreifen. Sie taten dies auf der Basis einer UN-Resolution, die den Schutz der Zivilbevölkerung mandatiert, nicht jedoch das aktive Eingreifen der NATO in den Krieg auf Seiten der regierungsfeindlichen Rebellen.

Die NATO steht damit ihrerseits unter Verdacht, ein humanitäres Mandat von offensichtlich politischer Stoßrichtung als Feigenblatt aggressiver Kriegführung zu mißbrauchen. Der politische Charakter der NATO-Intervention ergibt sich aus der Selektivität des Gewalteinsatzes, fanden doch in anderen arabischen Staaten vergleichbare Konfrontationen zwischen Bevölkerung und Regierung statt, die nicht mit annähernd vergleichbarer Intensität unterbunden wurden. Ganz im Gegenteil hat die US-Regierung im Falle Bahrains die Niederschlagung des Aufstands mehr oder weniger offen unterstützt. Die Regierung des Emirats Katar ergriff dort mit militärischen Mitteln für eine autokratische Regierung Partei, während sie in Libyen das Gegenteil tut. Auch lassen sich die Menschenrechtsverletzungen, die die Regierung Israels an den Palästinensern verübt, als Beispiel dafür anführen, daß nicht der objektive Sachverhalt, sondern die subjektive Interessenlage über die Zuständigkeit des ICC entscheidet.

Weder Israel noch Libyen haben die Jurisdiktion des ICC für ihr Land anerkannt, die Palästinensische Autonomiebehörde hat dies allerdings für ihre Gebiete beantragt. Während die Verfolgung mutmaßlicher Verbrechen Israels an der palästinensischen Bevölkerung nicht weniger gerechtfertigt wäre als ein entsprechendes Vorgehen gegen die Regierung Libyens, gelangen entsprechende Schritte des UN-Sicherheitsrats nicht einmal ins Stadium der Abstimmung. Das kann um so weniger erstaunen, als drei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, die dessen Entscheidung, das ICC gegen Libyen ermitteln zu lassen, gutgeheißen haben, keinesfalls von seiner Jurisdiktion betroffen sein wollen. Die Regierungen Rußlands, Chinas und der USA haben jedoch keinerlei Problem damit, ein in seiner Zuständigkeit für sich selbst nicht anerkanntes internationales Gericht, das die Strafverfolgung von Regierungsbeamten und Offizieren wie deren Befehle ausführende Soldaten und Milizen möglich macht, gegen andere Regierungen in Stellung zu bringen. Die US-Regierung hat sogar aktive Gegenmaßnahmen für den Fall erwirkt, daß gegen einen ihrer Staatsbürger ein ICC-Haftbefehl ausgestellt werden sollte. In einem solchen Fall ist sie zu militärischen Maßnahmen ermächtigt, die die Befreiung des Betroffenen zum Ziel haben. Zudem droht Washington allen Nicht-NATO-Staaten an, ihnen für den Fall eines Beitritts zum Rom-Statut des ICC die Militärhilfe zu streichen.

Während die Regierungen militärisch starker Staaten einigen Aufwand betreiben, um vom Zugriff dieses internationalen Gerichtshofes verschont zu bleiben und die Aufnahme des größten völkerrechtswidrigen Vergehens, des Aggressionskriegs, in seinen Straftatenkatalog zu verhindern, wird der Weg, von ihnen mit militärischer Gewalt überzogene Staaten auf diese Weise zu kriminalisieren, immer kürzer. Die Absicht liegt auf der Hand - fadenscheinig legitimierte Waffengänge sollen legalistisch flankiert werden, um das eigennützige Interesse an dieser Kriegführung unangreifbar zu machen. Wenn der als Hoffnung auf die Etablierung eines egalitären übernationalen Strafrechts gefeierte ICC bereits zum zweiten Mal nach seinem Eintreten für die Interessen der NATO-Staaten, die in Jugoslawien einen völkerrechtswidrige Angriffskrieg führten und dabei durch das ICC entlastet wurden, Partei für das Militärbündnis ergreift, dann wäre es vielleicht an der Zeit, seine Richter in Kampfanzüge zu stecken und die maßgeblich von NATO-Staaten bestrittene Finanzierung des ICC ganz offiziell unter deren Militärbudgets zu verbuchen.

16. Mai 2011