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KRIEG/1495: Pakistan hätte gute Gründe für Antiamerikanismus (SB)



Die pakistanische Bevölkerung hält die USA für die größte Bedrohung des Landes. Als weniger gefährlich werden - in dieser Reihenfolge - die Wirtschaftskrise, der Terrorismus und der Erzfeind Indien angesehen. Das ergaben eine am 25./ 26. Mai durchgeführte, nichtrepräsentative Umfrage der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) unter 500 Einwohnern sowie Experten-Interviews in Pakistan [1].

Das Ergebnis kann insofern nicht überraschen, als daß die USA im Nordwesten des Landes massive Drohnenangriffe vortragen und Jahr für Jahr viele Dutzend Menschen töten. Da sich die USA und Pakistan nicht im Krieg gegeneinander befinden, lassen sich die Empfindungen der Bewohner wohl am treffendsten mit der Vorstellung vergleichen, US-Drohnen würden regelmäßig Häuser in Deutschland bombardieren und dabei Männer, Frauen und Kinder töten. Indien hingegen, das wegen der umstrittenen Kaschmirprovinz mehrmals Krieg gegen Pakistan geführt hat, hat sich selbst dann noch mit militärischen Gegenmaßnahmen zurückgehalten, als am 13. Dezember 2001 kaschmirische Separatisten versuchten, das indische Parlament zu stürmen, und ebenso als im November 2008 bei einem weiteren Angriff pakistanischer Kämpfer das Luxushotel Taj Mahal in Mumbai von einer Bombe zerstört wurde und in der Stadt tagelang Kämpfe ausgetragen wurden, bei denen über 200 Personen starben. Darum dürften die Pakistaner Indien als die berechenbarere Bedrohung ansehen.

US-Militäranalysten nennen Pakistan längst in einem Atemzug mit Afghanistan und bezeichnen den Gesamtkriegsschauplatz als Afpak. Dem noch nicht genug sind US-Elitesoldaten vor kurzem heimlich in die Stadt Abbottabad eingedrungen und haben ein Haus überfallen, in dem sich Osama bin Laden aufgehalten haben soll. Der offiziellen Version zufolge wurde er getötet und seine Leiche ins Meer geworfen. Angesichts solchen Vorgehens wäre jede andere Reihenfolge der Umfrage zur Einschätzung der Bedrohungen Pakistans eine Überraschung.

Daß die pakistanische Regierung und der Geheimdienst ISI partiell mit den Amerikanern zusammenarbeiten, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer und vertieft die Distanz zwischen Staat und Volk. "Das Umfrageergebnis kann als ein Indikator der gegenwärtig angeschlagenen bilateralen Beziehungen interpretiert werden und ist auch dem zunehmenden AntiAmerikanismus geschuldet", schrieb Dr. Babak Khalatbari, Autor der KAS-Studie. In diesem Kontext einen wachsenden Antiamerikanismus in der pakistanischen Bevölkerung zu verorten, wie es auch am Montag bei der Vorstellung der Studie wiederholt wurde, verharmlost den mörderischen Blutzoll der US-Angriffe und versucht diese zu einer bloßen Befindlichkeit der pakistanischen Bevölkerung umzudeuten. Mehr noch, den Menschen in Pakistan wird eine Neigung, Vorurteile zu entwickeln, attestiert, denn Antiamerikanismus ist ein Begriff, mit dem gesagt werden soll, daß die Menschen ihre Aversion gegen "Amerika" nicht aus konkreten Anlässen herleiten, sondern aus ihrem Charakter heraus, beispielsweise aus Rassismus, Suprematievorstellungen, etc.

Somit wird mit der Behauptung, in Pakistan wachse der Antiamerikanismus, die enorme Bedrohung, der sich das Land spätestens seit dem 11. September 2001 durch die USA ausgesetzt sieht, ausgeblendet. Dabei stand dem damaligen Präsidenten Pervez Musharraf das äußerste Unbehagen ins Gesicht geschrieben, als er in einer Fernsehansprache die Zusammenarbeit seiner Regierung mit den USA beim bevorstehenden Angriff auf Afghanistan ankündigte. An diesem Verhältnis hat sich seitdem nichts geändert. Nach der Tötung Osama bin Ladens heißt es, Pakistan und/oder der ISI kochten ihr eigenes Süppchen. Unerwähnt bleibt, daß das gleiche nicht weniger für die USA gilt. CIA und Pentagon weihen ihre pakistanischen Pendants keineswegs in ihre Vorhaben ein.

KAS-Autor Khalatbari fordert in seinem Fazit, Pakistan möge sein Bündnis mit dem Westen "nicht als politische Einbahnstraße" betrachten. Die gemeinsamen Interessen seien längst identifiziert und "müssen nur noch unter dem größten gemeinsamen Nenner angegangen werden". Was anderes als ein Pakt mit dem Feind sollte der "größte gemeinsame Nenner" für die pakistanische Regierung sein, wenn die USA ihre Drohnenangriffe mit wachsender Wucht vortragen? Am heutigen Montag wurden 18 Pakistaner getötet, vor gut zwei Wochen waren es zwölf Personen, und so weiter und so fort. Ein Krieg ohne Kriegserklärung, mit Einwilligung Islamabads und gegen seine Interessen - Antiamerikanismus ist ein ganz und gar unpassender Begriff, mit dem letztlich das konkrete Leid, das die USA über die pakistanische Bevölkerung bringen, verleugnet wird.

Fußnote:

[1] http://www.kas.de/pakistan/de/publications/23014/

6. Juni 2011