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KRIEG/1517: Sarkozy und Cameron fahren die Ernte des Libyenkriegs ein (SB)



Am 17. März autorisierte der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1973 die Durchsetzung einer Flugverbotszone in Libyen. Bereits am Morgen des 19. März bombardierten französische und britische Kampfflugzeuge Truppen der libyschen Regierung, die bis in die Außenbezirke von Bengasi vorgedrungen waren. Gestern reisten Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron nach Tripolis, um ihre Ansprüche auf den Ertrag des Feldzugs vor allen andern geltend zu machen. Damit waren die beiden maßgeblichen Kriegstreiber die ersten Staats- und Regierungschefs, die nach dem Sturz Muammar al Gaddafis in Libyen im Streit um die Beute persönlich Präsenz zeigten. Der Besuch war über Nacht aus dem Boden gestampft worden, da man sich in Paris und London nicht hinter dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan einreihen wollte, der sich im Rahmen seiner Reise durch Ägypten, Tunesien und Libyen schon zuvor angekündigt hatte. Da Erdogan die Intervention zunächst abgelehnt hatte und damit beim Nationalen Übergangsrat in Ungnade gefallen war, mußte er nun die Verschiebung seiner Ankunft um einen Tag hinnehmen.

Unverhohlener hätte der Wettlauf ums libysche Öl, der allerdings nicht der einzige Kriegsgrund war, kaum in Szene gesetzt werden können. Im Jahr 1969 hatte die Konföderation freier Offiziere König Idris I., die Marionette der Briten, abgesetzt, 20.000 italienische Siedler des Landes verwiesen und die ausländischen Ölkonzerne enteignet. Oberst Gaddafi, der sich binnen kurzer Zeit in der neuen Führung durchsetzen konnte, verwendete die Einkünfte aus dem Ölgeschäft nicht zuletzt dazu, ein in Afrika einzigartiges Gesundheitssystem und Sozialwesen aufzubauen. Libyen wurde zum Land mit dem höchsten Lebensstandard des gesamten Kontinents, die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 53 auf 75 Jahre und die Analphabetenrate sank von 95 auf 17 Prozent. Auf Grundlage dieser sozialen Errungenschaften gelang es Gaddafi, seine Staatsführung im Widerstreit rivalisierender Stammesinteressen erfolgreich auszusteuern. [1] Man muß wohl davon ausgehen, daß diese Lebensverhältnisse für die Mehrzahl der Menschen in dem nordafrikanischen Land auf lange Sicht verloren sind.

Sarkozy und Cameron genossen ihren Triumph in vollen Zügen, verhöhnten Gaddafi, für den es kein Entkommen und keinen Ort der Straflosigkeit mehr gebe, und forderten ihn auf, sich endlich zu ergeben und seine Söldner nach Hause zu schicken. Während die weithin kolportierte Propaganda, der libysche Staatschef habe sich zuletzt nur noch mit Hilfe angeheuerter Hilfstruppen aus anderen afrikanischen Ländern an der Macht halten können, da es ihm an Rückhalt in der Bevölkerung fehlte, einen Beweis schuldig blieb, könnte man die Behauptung durchaus gegen ihre Urheber wenden. Der von den beteiligten NATO-Staaten schon vorab instrumentalisierte und subventionierte Übergangsrat entsprang keineswegs einer Volksbewegung, sondern wies durchaus Züge einer Söldnertruppe auf, mit deren Hilfe man den Regimewechsel herbeiführte.

Mit der Siegerjustiz des Internationalen Strafgerichtshofs im Rücken verkündete Sarkozy, daß es keine Straffreiheit geben werde. Wer Verbrechen begangen habe, werde dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Um den Sack ungelöster Widersprüche zumindest dem Schein nach zuzumachen, forderten die beiden europäischen Staatschefs, es gelte fortan die Einheit des Landes zu bewahren, nicht auf Rache zu sinnen und innere Versöhnung anzustreben. [2] Was wie ein Appell zur friedlichen Konfliktlösung klingen mag, ist doch vor allem eine Warnung an die Adresse der zu Verlierern erklärten Anhänger Gaddafis, sich den gewaltsam veränderten Verhältnissen zu fügen. In unübertrefflicher Dreistigkeit fügte Cameron hinzu, sein Land werde dazu beitragen, daß Libyen "wieder auf die Beine kommt und jeder eine Arbeit findet". Kein Libyer solle mehr sagen können, er habe in seiner Heimat keine Zukunft. Den Angriffskrieg mit bis zu 50.000 Toten und verheerenden Zerstörungen der Infrastruktur gleichsam als Naturkatastrophe abzuhaken, wie auch den zu erwartenden Rückfall weit unter die Lebensverhältnisse der Gaddafi-Ära in den Aufbau einer besseren Zukunft umzulügen, setzt der Doktrin "Responsibility to Protect" die perfide Krone auf.

Der Präsident des Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, versicherte seinen beiden Gästen bereitwillig, ihre Nationen würden beim Wiederaufbau "sicher eine zentrale Rolle spielen". Zugleich forderte er die NATO auf, den Aufständischen zusätzliche Waffen zu liefern und die Kampfeinsätze so lange fortzuführen, bis man auch den verbliebenen Rest des Landes unter Kontrolle gebracht habe. Da der siebenmonatige Bürgerkrieg enorme Schäden angerichtet und zahlreiche Wohnviertel, ja mitunter ganze Städte in Trümmer gelegt hat, winken lukrative Aufträge. Die Ölproduktion soll umgehend wieder anlaufen, was insbesondere für die italienische Eni, den französischen Ölkonzern Total und das spanische Unternehmen Repsol von größtem Interesse ist. Zwar werden Absprachen über künftige Öllieferungen bestritten, von denen bei der "Gipfelkonferenz der Freunde Libyens" in Paris am 1. September berichtet wurde, doch liegt auf der Hand, wo die Profiteure zu finden sind. [3]

Bezahlen wird im doppelten Sinn das libysche Volk, da die auf Auslandskonten eingefrorenen Gelder freigegeben werden sollen. Die neue Führung in Tripolis hatte darauf gedrängt, und so kündigten Cameron und Sarkozy an, sie wollten mehrere Milliarden Dollar freisetzen wie auch eine geplante Resolution des UN-Sicherheitsrats unterstützen, mit der die verhängten Sanktionen aufgehoben werden. Auf diese Weise wird das Vermögen des gestürzten Staatswesens dem ursprünglichen Verwendungszweck entzogen und nach Maßgabe des neuen Regimes insbesondere ausländischen Nutznießern zugeführt.

"Es gibt kein Kalkül", versicherte Sarkozy treuherzig auf einer Pressekonferenz in Tripolis. "Wir haben das getan, was wir dachten, tun zu müssen, weil es richtig war." Großbritannien habe eine Rolle gespielt, auf die er sehr stolz sei, fügte Cameron hinzu. Aber am Ende hätten es die Libyer selbst geschafft. Etwas anders hatte es der Vorsitzende der französisch-libyschen Handelskammer, Michel Casals, ausgedrückt, als er bereits Anfang September die Entsendung einer Wirtschaftsdelegation nach Libyen ankündigte. Es sei mit einem relativ harten Wirtschaftskrieg zu rechnen, weshalb man so schnell wie möglich die künftigen Entscheidungsträger treffen müsse.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/articles/2011/sep2011/ital-s14.shtml

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/uebergangsrat-feiert-sarkozy-und-cameron/4613866.html

[3] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15391252,00.html

16. September 2011