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KRIEG/1562: Atalanta Phase 2 - EU geht zum Landkrieg in Somalia über (SB)




Die neoimperialistische Kriegsführung der Europäischen Union weckt angesichts der Wiederkehr kolonialherrschaftlicher Übergriffe zwangsläufig Erinnerungen an historische Raubzüge in Afrika, geht aber als hegemonialer Entwurf auf innovative Weise weit darüber hinaus. Die Vorgeschichte ist bekannt und wird von den Protagonisten vollendeter Tatsachen, also den europäischen Durchschnittsbürgern, geflissentlich ignoriert. Es sei nun einmal der Lauf der Welt, daß schwimmende Fischfabriken aus fernen Industriestaaten die somalischen Küstengewässer leergefischt haben, bis die dort lebende Bevölkerung vor der Alternative stand, entweder zu verhungern oder sich auf See zu holen, was es sonst noch zu fangen gab. Mag man das dortige Elend routiniert beklagen, so hört der Spaß doch auf, wenn es an den eigenen Magen und Besitzstand geht. Das eine ist Ökonomie und legitimiert den größeren Räuber als Vorreiter von Fortschritt und Effektivität, das andere Piraterie, die sich im illegalen Akt aneignet, was anderen gehört. Wie unschwer zu erkennen ist, entscheidet allein der Besitzer des gewaltigeren Knüppels, wer in diesem Kontext die Guten und die Bösen sind.

Der Waffengang am Horn von Afrika, wo die EU mit der Mission "Atalanta" in einem Seegebiet, das größer als das europäische Festland ist, seit 2008 Jagd auf Piraten macht, wurde im Rahmen des Kampfes gegen den "Terrorismus" auf den Weg gebracht. Die dortige Kriegsführung beruht auf einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der sich darauf beruft, daß das internationale Rechtsgut, nämlich die Freiheit der Seewege und die ungehinderte Nutzung internationaler Gewässer, durch die Piraterie gefährdet werde. Erste Einsatzkräfte waren im Dezember 2008 vor Ort, um Hilfslieferungen des UN-Welternährungsprogramms und darüber hinaus jegliche Handelsschiffe vor Angriffen zu schützen. Inzwischen kreuzen fünf bis zehn Kriegsschiffe in diesen Gewässern, die von Aufklärungsflugzeugen unterstützt werden. Die Bundesmarine hat derzeit die "Berlin" mit mehr als 230 Mann Besatzung in der Region.

Die Einbindung der Mission "Atalanta" in den sogenannten Antiterrorkampf macht deutlich, daß man es dabei mit einer Vorwandslage zu tun hat, derer man sich im Zuge weltweiter militärischer Aufgabenverteilung der westlichen Mächte bedient. Die von sämtlichen Kriegsparteien im Deutschen Bundestag - also allen Fraktionen mit Ausnahme der Linken - unterstützte Daueroperation am Horn von Afrika kommt deutschen Sonderinteressen entgegen. Angesichts der eigenen Geschichte und der daraus resultierenden ideologischen Umdeklarierung der Wiederbewaffnung zur Verteidigungsdoktrin könnte die ostafrikanische Offensive auf der Antipiratenschiene akzeptanzförderlicher kaum sein.

Nun geht man daran, unter parlamentarischer Spiegelfechterei den nächsten logischen Schritt eskalierender Kriegsoptionen einzuleiten. Während bislang im Rahmen der Mission "Atalanta" nur Einsätze auf See erlaubt waren, sollen die Streitkräfte der EU künftig auch einen Küstenstreifen kontrollieren. Dies läuft zwangsläufig auf einen Türöffner zur legitimierten Landkriegsführung in Somalia und darüber hinaus durch europäische Truppen hinaus. Vorerst will man ausschließlich mit schiffsgestützten Hubschraubern die Infrastruktur der Piraten in einem eng definierten Streifen Landes angreifen. Zugleich behält man sich jedoch vor, Bodentruppen einzusetzen, falls Hubschrauber abgeschossen werden oder aus anderen Gründen an Land havarieren. Diese Ausweitung der Kämpfe zieht unvermeidlich Gegenmaßnahmen der angegriffenen Küstenbewohner nach sich, die wiederum zum Vorwand für verschärften Waffeneinsatz in einem Zug um Zug ausgeweiteten Einsatzgebiet europäischer Truppen dienen werden.

Es handelt sich mithin keinesfalls um ein militärisches Abenteuer oder aus dem Ruder laufendes Manöver, sondern eine gezielt zum Einsatz gebrachte Strategie der schrittweisen Okkupation Ostafrikas unter selbsterteiltem Mandat westlicher Führungsmächte. Die Einbeziehung eines zwei Kilometer breiten Küstenstreifens war im März auf EU-Ebene beschlossen worden. Wie es im Mandatsentwurf der Bundesregierung dazu verschleiernd heißt, wolle man mit der Erweiterung des Operationsraums das "Geschäftsmodell" der somalischen Piraten aktiv stören. Diese hätten sich bisher an Land sicher geglaubt. Dieses "Gefühl der Sicherheit an Land" werde nun erschüttert, wodurch die Piraten "zu aufwendigen und kostspieligen Sicherheitsmaßnahmen" gezwungen würden. [1]

Da bei Angriffen auf die Infrastruktur an der Küste zwangsläufig Menschen getötet werden, verstieg sich der derzeitige Kommandeur der "Atalanta"-Mission, der britische Vizeadmiral Duncan Potts, Ende März im Verteidigungsausschuß des Bundestags zu der absurden Behauptung, die Aufklärer der EU-Streitkräfte könnten problemlos unterscheiden, ob ein Lagergebäude leerstehe oder benutzt werde. Statt die erklärte Absicht, einen Luftkrieg mit verheerenden Folgen für die küstennahe Bevölkerung zu beginnen, in aller Deutlichkeit zurückzuweisen, ergeht sich die hiesige Front der Kriegstreiber in einem Zusammenspiel von abwiegelnder Befürwortung auf der einen sowie simulierter Opposition und wachsweichen Ausflüchten auf der anderen Seite. Was, wenn die Piraten Geiseln als menschliche Schutzschilde in Stellung brächten?, wie man dies den Opfern westlicher Luftangriffe stets andichtet. Was, wenn unbeteiligte Zivilisten Schaden nähmen?, bereitet man die pauschale Umdefinition künftiger Opfer zu Piraten vor. Der Verteidigungsexperte der SPD, Rainer Arnold, hält "das Risiko von Kollateralschäden" für "beträchtlich", während sein Grünen-Kollege Omid Nouripour scheinheilig das Problem sieht, wie die EU künftige Behauptungen von Piraten widerlegen wolle, bei einem Angriff seien Zivilisten getötet worden, wenn sie keine Soldaten zur Sicherung von Beweisen am Boden habe: "Da droht uns eine Propagandaschlacht, bei der wir moralisch nur verlieren können." [2]

Sozialdemokraten und Grüne haben in Zeiten gemeinsamer Regierungsverantwortung ihre Bereitschaft, Angriffskriege jenseits des Verteidigungsfalls loszutreten, längst unter Beweis gestellt. Wenn sie nun als Oppositionsfraktionen angeblich Bauchschmerzen bekommen, was den Übertrag "Atalantas" auf die somalische Küste betrifft, ist das ein bloßes Scheingefecht. Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, übt sich im Eiertanz, wenn er die Mission "Atalanta" zur See für erfolgreich und begrüßenswert erklärt, sie aber durch einen Hubschrauberkrieg an Land unnötig gefährdet sieht. Plötzlich entdeckt er sein Herz für die Hoheitsrechte des Staates Somalia und macht ein "rechtliches Risiko" aus, dem man deutsche Soldaten in dieser schwierigen Situation aussetze. Die gesamte Mission abblasen möchte er keinesfalls, hat er sich doch persönlich im letzten November für deren Verlängerung starkgemacht.

Unterdessen hat das Bundeskabinett beschlossen, die Operation bis zum 31.‍ ‍Mai 2013 zu verlängern, die personelle Obergrenze von bis zu 1400 Soldaten vorerst nicht zu verändern, aber das Mandat bis zu zwei Kilometer ins Landesinnere auszuweiten. Das habe überhaupt keine "neue Qualität", versicherte Verteidigungsminister Thomas de Maizière, schließlich dürfe man sich von fliehenden Piraten nicht für dumm verkaufen lassen. [3] Der Bundestag muß das Mandat billigen und soll am 11. Mai abschließend darüber befinden. Dann werden sich SPD und Grüne entweder enthalten oder dagegen stimmen, was angesichts der Regierungsmehrheit nichts zur Sache tut. Das Versorgungsschiff "Berlin" hat zwei größere Hubschrauber vom Typ Sea King an Bord. Es wird Mitte Mai von der Fregatte Bremen abgelöst, die zwei Helikopter Sea Lynx mit ans Horn von Afrika bringt. Dann kann die Piratenjagd auch an Land so richtig losgehen, worauf sich diese wo immer möglich weiter ins Landesinnere zurückziehen werden und die nächste Runde der Mandatserweiterung eingeläutet werden kann.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.sueddeutsche.de/politik/anti-piraten-mission-vor-somalia-spd-und-gruene-lehnen-bodenoperationen-ab-1.1335267-2

[2]‍ ‍http://www.mdr.de/nachrichten/atalanta-und-rente100.html

[3]‍ ‍http://www.tagesschau.de/ausland/piraten528.html

18.‍ ‍April 2012