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KRIEG/1596: Folter im Irak - Kreative Zerstörung ohne Ende (SB)




Die Doktrin der kreativen Zerstörung, der zufolge widerspenstige Strukturen bis hin zu ganzen Staatswesen zerschlagen werden müßten, um von Grund auf Raum für Freiheit, Demokratie und Wachstumspotentiale zu schaffen, zeitigt in ihrer Anwendung auf den Irak die beabsichtigten Folgen. Unter dem Vorwand, die Iraker vom Regime Saddam Husseins zu befreien, stürzten Sanktionen und Angriffskriege die Menschen in einen Abgrund von Hunger und Elend, Unterdrückung und Todesgefahr. Zehn Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen am 20. März 2003 fällt die Bilanz für die Mehrheit der irakischen Bevölkerung düster aus. Ein Lagebericht von Amnesty International gelangt unter dem Titel "Ein Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen" auf knapp hundert Seiten zu einem vernichtenden Urteil: "Weder die irakische Regierung, noch die ehemaligen Besatzungsmächte halten sich an grundlegende Menschenrechtsstandards, und die Menschen im Irak zahlen den Preis dafür." Noch immer gehörten Menschenrechtsverletzungen und Folter zum Alltag in Gefängnissen, faire Prozesse gebe es kaum. [1]

Im Interview mit der Deutschen Welle berichten Carsten Jürgensen, der Irak-Experte von Amnesty International, und der Politologe und Islamwissenschaftler Udo Steinbach übereinstimmend, daß Folter, Angriffe auf Zivilisten und unfaire Gerichtsverfahren an der Tagesordnung seien. Wenngleich der Report mit absoluten Zahlen sparsam umgeht, weil man von einer extrem hohen Dunkelziffer ausgehen müsse, belegten doch zahlreiche Fallbeispiele die Stichhaltigkeit der erhobenen Vorwürfe. Theoretisch gebe es zwar Gesetze, die Folter verbieten und besagen, daß durch Folter erzwungene Geständnisse nicht als Beweismittel zugelassen werden können, doch sei die Praxis weithin eine andere, so Steinbach. Wie nicht nur Gefangene und Anwälte berichteten, sondern sogar in Gerichtsunterlagen indirekt dokumentiert sei, würden Inhaftierte häufig in der ersten Phase der Haft gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen. Widerriefen sie später ihre Aussage, werde das im Prozeß zumeist ignoriert, da viele Richter ein zunächst erfolgtes Geständnis für glaubwürdiger als einen späteren Widerruf hielten.

Die US-amerikanischen Besatzer hatten die Todesstrafe im Jahr 2003 zwar ausgesetzt, doch führte sie die erste irakische Regierung rasch wieder ein. Seit 2005 wurden Amnesty International zufolge mindestens 447 Gefangene hingerichtet, Hunderte weitere säßen im Todestrakt. Mit 129 Hinrichtungen im Jahr 2012 rangiere der Irak an der Spitze der Staaten, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird. [2]

Steinbach zufolge war diese Entwicklung im Irak vorhersehbar, da man den Staatsapparat, das Militär und die Sicherheitskräfte zerschlagen und damit die gesamte Infrastruktur zerstört habe. Was man nun an Ausübung diktatorischer und konfessionalistischer Machtausübung erlebe, sei eine Folge dieser Politik. Einer der daraus resultierenden Konflikte ist die Kluft zwischen sunnitischer und schiitischer Bevölkerung. Viele Sunniten erleben seit dem Sturz Saddam Husseins eine mehr oder minder massive Benachteiligung seitens des Staates. Sie protestieren gegen willkürliche Inhaftierung und Übergriffe gegen Häftlinge wie auch die Anwendung des Antiterrorgesetzes und fordern ein Ende der Diskriminierung.

Neben irakischen Sicherheitskräften sind auch britische und amerikanische Soldaten in Folterpraktiken verwickelt. Obgleich die letzten US-Kampftruppen Ende 2011 abgezogen sind, läßt die strafrechtliche Verfolgung dieser Verbrechen auf sich warten. In wenigen Fällen ist es zu Verurteilungen in den USA und in Britannien gekommen, von denen jedoch nur Offiziere von unteren Rängen betroffen waren. Eine durch die Wikileaks-Dokumente angestoßene gemeinsame Recherche der britischen Tageszeitung Guardian und der BBC bringt den früheren CIA-Chef David Petraeus und den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit Folter in irakischen Gefängnissen in Verbindung. Die Vorwürfe beziehen sich auf die Zeit, in der Petraeus als führender Offizier der US-Armee am Irakkrieg und der anschließenden Besatzung beteiligt war.

Demnach schickte das Pentagon mit Colonel James H. Coffman und Colonel James Steele zwei hochrangige Kriegsveteranen mit dem Auftrag in den Irak, den Aufbau von Foltergefängnissen durch die irakische Militärpolizei (Special Police Commandos, SPC) zu überwachen. Die beiden Offiziere erstatteten Petraeus beziehungsweise Rumsfeld direkt Bericht. Der Guardian zitiert den irakischen General Muntadher al-Samari mit den Angaben, Coffman und Steele hätten von konkreten Folterpraktiken gewußt. Als Folteropfer im irakischen Fernsehen vorgeführt und die Untaten der Militärpolizei von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, forderte Petraeus, der als Befehlshaber der US- und Koalitionstruppen auch für die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte verantwortlich war, die SPC-Führung unter General Adnan Thabit auf, solche Bilder nicht mehr zu zeigen.

Schon zuvor hatten die Journalisten Gilles Peress und Peter Maass von der New York Times, die vor Ort ein Interview mit Steele führten, von konkreten Hinwiesen auf Folter wie Blutspuren und Schmerzensschreie berichtet. Zwar gibt es laut Guardian und BBC keine Beweise, daß Steele und Coffman persönlich Gefangene gefoltert haben, doch glichen die Praktiken im Irak jenen, die auch im Bürgerkrieg in El Salvador dokumentiert worden seien. Steele beriet dort in den achtziger Jahren die von den USA unterstützte Militärjunta und bildete Soldaten bei der Aufstandsbekämpfung aus. [3]

Der Irak bleibe in einem Kreislauf von Folter und Straflosigkeit gefangen, der schon vor langer Zeit hätte gebrochen werden sollen, so Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin für den Nahen Osten bei Amnesty International. Sollte die irakische Regierung keine grundlegenden Reformen zum Menschenrechtsschutz in Angriff nehmen, sehe die Zukunft des Landes düster aus, fügt Carsten Jürgensen hinzu. Es müsse eine Neuausrichtung der inneren und äußeren Politik erfolgen, damit sich die Menschenrechtslage verbessert, teilt der Islamwissenschaftler Udo Steinbach diese Auffassung. Der Wandel müsse aus dem Irak selbst kommen, wobei internationale Solidarität wichtig und hilfreich sei, sind sich die Menschenrechtsexperten einig.

In eklatantem Widerspruch zu der Dokumentation des fortdauernden Folterregimes im Irak heißt es im Report von Amnesty International jedoch auch, daß viele Irakerinnen und Iraker heute mehr Freiheiten genössen als vor dem Sturz Saddams. "Heute haben die Menschen im Irak natürlich viel mehr Freiheiten als unter Saddam Hussein", meint auch Jürgensen, und Steinbach ist sich sicher, daß die Invasion von 2003 das Tor zur Demokratie aufgestoßen habe. Nun müsse die internationale Gemeinschaft den Prozeß aktiv begleiten. Der Behauptung seitens der US-Regierung, daß Folterfälle wie im Militärgefängnis Abu Ghraib und anderen Haftanstalten auf das Fehlverhalten einzelner Sicherheitskräfte zurückzuführen seien, würden die Menschenrechtsexperten zweifellos vehement widersprechen. Dennoch meiden sie die Schlußfolgerung, systematische Folter in den Zusammenhang des Angriffskrieges auf den Irak zu stellen und diesen insgesamt als strategischen Schlag zur Zerstörung eines funktionsfähigen und im Kontext der Region modernen Staatswesens zu stellen, das dem Expansionsdrang der westlichen Mächte im Weg stand. Offenbar ist es vom Verteidiger der Menschenrechte zum Menschenrechtskrieger eben doch nur ein kleiner Schritt.

Fußnoten:

[1] http://www.dw.de/ein-jahrzehnt-der-menschenrechtsverletzungen/a-16664500

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/amnesty-international-zum-irak-gefangen-im-kreislauf-von-folter-und-straflosigkeit-1.1620939

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/enthuellungen-zum-irak-einsatz-was-wusste-petraeus-von-der-folter-1.1618035

12. März 2013