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KRIEG/1611: Aufrüsten am Golf - Deutsche Waffen für repressive Regimes (SB)




Aus Perspektive deutscher Staatsräson zählt der heimische Rüstungssektor zu den unverzichtbaren Schlüsselindustrien. In ihm verschmelzen ökonomische, militärische und politische Interessen zu einem Komplex erweiterter Zugriffsgewalt, der innen- und außenpolitisch in Stellung gebracht wird. Deutschland hat nicht nur im Zuge der Krise seine wirtschaftliche Vormachtstellung in Europa ausgebaut, sondern ist längst auch in bestimmten Sparten der Rüstung zu weltweiter Führerschaft aufgestiegen. Deutsche Hochtechnologie und industrielle Kapazität rüsten Ausbeutung, Unterdrückung und Morden in aller Welt auf. Die begehrten Erzeugnisse hiesiger Rüstungsschmieden von Kleinwaffen bis zu Kampfpanzern und Kriegsschiffen sind maßgebliche Werkzeuge zur Sicherung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Fortschreibung der Kapitalverwertung. Eine Kritik an Rüstung und Krieg, die nicht bis zu diesem Zusammenhang vordringt, bleibt zwangsläufig zahnlos, zumal sie die Aufrechterhaltung des eigenen Lebensstandards mittels deutscher Waffen ausblendet. Nicht zwischen Krieg und Frieden, militärisch und zivil, Rüstungsgut und Konsumprodukt verläuft die entscheidende Grenzscheide, hat man es dabei doch mit verschiedenen Aspekten ein und derselben Herrschaftslogik zu tun.

Die militärischen Schwergewichte USA, Rußland, China, Frankreich, Britannien und Deutschland sind zugleich die führenden Waffenexporteure. Sie bestreiten weltweit rund 80 Prozent aller Lieferungen, wobei die Bundesrepublik bei den Ausfuhren bereits an dritter Stelle rangiert. In ihrem Kalkül ist die Entwicklung, Produktion und Erprobung von Rüstungsgütern wie auch deren Einsatz und Verkauf ein integraler Prozeß zur Bestandssicherung und Erlangung von Vorherrschaft. Die oftmals erhobene Forderung, Waffenhandel müsse verboten werden, sofern in den Empfängerländern systematisch die Menschenrechte verletzt, Angriffskriege geführt oder die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt werden, müßte sich konsequent angewendet zuallererst gegen die größten Kriegstreiber und führenden Waffenlieferanten wenden, worunter auch die Bundesrepublik fällt.

Das häufig vorgetragene Argument, deutsche Rüstungsgüter dürften nicht an Staaten mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz verkauft werden, greift daher definitiv zu kurz und führt in die Irre. Die Unterscheidung zwischen "legalem" und "illegalem" Waffengebrauch, "Terroristen" auf der einen und international legitimierten Interventionisten auf der anderen Seite, entscheidet sich allein nach den Kriterien der jeweils angelegten Freund-Feind-Kennung seitens der Großmächte. So ist auch Deutschland direkt oder mittelbar an Angriffskriegen, dem Schüren von Bürgerkriegen und Aufmunitionieren regionaler Konflikte beteiligt. Daß repressive Regimes die deutschen Waffen vor allem zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und Intervention in den Nachbarländern benötigen, ist offenkundig.

Völkerrechtlich verbindliche Bestimmungen der Genfer Konventionen oder die deutschen Exportrichtlinien waren dabei noch nie ein ernsthafter Hinderungsgrund. Ihr wesentlicher Zweck besteht ohnehin nicht darin, Kriege zu verhindern und Krisen einzudämmen, sondern vielmehr die gewünschten Waffengänge und Regimes zu fördern und zu legitimieren. Will ein in Deutschland ansässiger Rüstungskonzern Kriegswaffen ins Ausland verkaufen, muß er zunächst eine Exportgenehmigung beim Bundeswirtschaftsministerium beantragen. Dieses prüft die Anfrage in Kooperation mit dem Verteidigungsministerium und teilweise auch weiteren Ministerien. Exporte in alle Länder der EU und der NATO sind völlig problemlos. Diese gelten als befreundete Staaten oder Allianzpartner, die militärische Unterstützung erwarten dürfen.

Aufwendiger wird das Verfahren bei Ländern, die nicht der EU oder NATO angehören. Dann fällt der Bundessicherheitsrat die Entscheidung, dem die Kanzlerin, der Vizekanzler, der Bundeskanzleramtschef sowie die Außen-, Verteidigungs-, Innen-, Justiz-, Finanz- und Entwicklungsminister angehören. Alle Beratungen und Protokolle sind geheim, so daß der Bundestag praktisch keinen Einfluß auf das Prüfverfahren hat. Zwar muß das Wirtschaftsministerium einen jährlichen Rüstungsexportbericht vorlegen, doch bezieht sich dieser jeweils auf das vorangegangene Jahr und hinkt damit den aktuellen Entscheidungen weit hinterher. Wollte man davon ausgehen, daß in der Bundesrepublik eine wirksame demokratische Kontrolle existiert, so gilt das jedenfalls nicht für den Rüstungsexport.

Zur Zeit sind für Rüstungsexporte insbesondere drei Gesetze relevant. Das Kriegswaffenkontrollgesetz ist in Artikel 26 des Grundgesetzes verankert und regelt die Produktion und den Export von Kriegswaffen. Hinzu kommen das Außen- und Wirtschaftsgesetz sowie die sogenannte Dual-Use-Güterverordnung für Produkte, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Zudem hat sich die Koalition zu der Exportrichtlinie bekannt, die die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 beschlossen hatte. Danach sind Waffenlieferungen an Staaten tabu, die systematisch Menschenrechte verletzen oder sich in politisch instabilen Regionen befinden. [1] Diese Grundsätze haben zwar keine rechtliche Bindewirkung, sind aber politisch bedeutsam, da sie de facto als Instrumente zur Vorbereitung von Angriffskriegen konzipiert wurden.

Wer frischere Informationen seitens der Bundesregierung wünscht, kann es mit einer Anfrage versuchen, wie dies der Abgeordnete Jan van Aken von der Partei Die Linke getan hat. Wie aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums hervorgeht, profitiert die deutsche Rüstungsindustrie mit dem Segen der Bundesregierung massiv von der instabilen Lage im Nahen Osten. Derzeit rüsten sich vor allem die Golfstaaten mit deutschen Waffen aus, allen voran das knapp zwei Millionen Einwohner zählende Emirat Katar. Allein für dieses Land wurden im ersten Halbjahr 2013 deutsche Rüstungsexporte im Wert von rund 635 Millionen Euro genehmigt. Auch die anderen fünf Länder des Golf-Kooperationsrats gehen nicht leer aus: So erhalten Bahrain, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen aus deutscher Produktion im Wert von rund 165 Millionen Euro. 2012 hatte die Bundesregierung Rüstungsexporte in die Golfregion im Wert von 1,42 Milliarden Euro genehmigt, die 2013 noch übertroffen werden könnten.

Katar soll mit 62 Kampfpanzern Leopard 2 und 24 modernen Panzerhaubitzen beliefert werden. Das gesamte Geschäft, in dem unter anderem noch die Lieferung von Zusatzausrüstung enthalten ist, hat nach Angaben des Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann (KMW) ein Volumen von 1,9 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr war der bei weitem größte Anteil mit 1,24 Milliarden Euro auf Saudi-Arabien entfallen. An der Vorbereitung weiterer Rüstungsgeschäfte mit diesem Regime hatte sich angesichts der dortigen Menschenrechtslage jedoch vor einiger Zeit eine heftige Kontroverse entzündet.

Geändert hat die Bundesregierung offenbar ihre Genehmigungspraxis bezüglich Ägyptens. Zwar wurden im ersten Halbjahr Exporte im Wert von 13 Millionen Euro genehmigt, doch hat Berlin angesichts der aktuellen Ereignisse alle Entscheidungen über Anträge zurückgestellt, "sofern im Einzelfall keine Gründe für eine unmittelbare positive oder negative" Antwort vorlägen. Dies bedeute, daß Anträge derzeit abgelehnt würden, wenn der Antragsteller auf eine Entscheidung drängen sollte. [2] Von einer grundsätzlichen Zurückhaltung deutscher Waffenexporte kann man auch im Falle Ägyptens nicht ausgehen. Vielmehr handelt es sich um eine vorübergehende Abwägung, die dem ungewissen Ausgang der dortigen Machtkämpfe geschuldet ist.

Erst im Mai hatte der Bundessicherheitsrat dem Unternehmen Rheinmetall die Erlaubnis für den Export von rund 100 Leopard-Kampfpanzern, 50 Marder-Schützenpanzern und weiteren Modellen nach Indonesien erteilt, obgleich dort bekanntermaßen ethnische Minderheiten unterdrückt werden. Die Bundesregierung hat diesbezüglich wie auch in anderen umstrittenen Fällen ungeachtet heftiger Kritik wiederholt bekräftigt, daß sie an ihrer Exportpolitik festhält. So wurden Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien, das zu den repressivsten Regimes weltweit gezählt wird, damit gerechtfertigt, daß das Königreich ein "Stabilitätsfaktor" in der Region sei.

Von dem engen Verbündeten Israel abgesehen sind Saudi-Arabien und Katar die beiden wichtigsten Statthalter der westlichen Mächte im Nahen Osten. Ob als Gegenspieler Irans, Unterstützer der Aufständischen in Syrien oder Unterdrücker des arabischen Frühlings spielen sie eine zentrale Rolle im Kontext des Hegemonialstrebens von USA und NATO in dieser Weltregion. Washington hat mit den Saudis das größte Waffengeschäft aller Zeiten abgeschlossen, die zugleich zum wichtigsten Empfänger deutscher Rüstungsgüter avanciert sind. Ein positiver Bescheid über den Kauf von bis zu 270 Leopard 2-Kampfpanzern liegt Saudi-Arabien vor. Darüber hinaus hat das Land ein paar hundert Radpanzer des Typs Boxer bestellt, die derzeit zu den modernsten Gefechtsfahrzeugen überhaupt gehören.

Der Leopard 2A7+ ist Deutschlands hochwertigster Beitrag zur Eindämmung des arabischen Frühlings, wurde er doch speziell für den Einsatz in Städten entwickelt. Nach Herstellerangaben ist er für die "asymmetrische Kriegsführung" und die "Bekämpfung von Einzelpersonen" konzipiert. Er weist einen Räumschild, ein verkürztes Kanonenrohr, einen besonders geringen Wendekreis wie auch eine Klimaanlage und ferngesteuerte Waffenstation auf. Seit Juli 2012 unterstützt ein Stabsoffizier der Bundeswehr die militärische Erprobung eines Leopard 2A7+ in der saudi-arabischen Wüste. Der Hersteller KMW hatte für "die Schießsicherheit bei der Firmenerprobung" um Unterstützung durch die Panzertruppe der Bundeswehr gebeten. Ebenso liefert die Bundeswehr der Firma KMW Munition für die Bordkanone, Nebelgranaten und MG-Patronen. Zwar muß das Unternehmen die Kosten für die Entsendung und die Munition selbst bezahlen, doch handelt es sich zweifellos um eine politische Schützenhilfe, die den Wunsch der Saudis nach den deutschen Panzern befördern soll.

Dem saudischen Regime wurde auch die Genehmigung für die Lizenzproduktion des Sturmgewehrs G36 von Heckler & Koch erteilt, und 2009 erhielt der europäische Rüstungskonzern EADS den Auftrag, eine Grenzsicherungsanlage rund um das Königreich aufzubauen. Das Geschäft kam zustande, weil die Bundesregierung gleichzeitig die Entsendung von Bundespolizisten zur Ausbildung der saudi-arabischen Grenzpolizei anbot. Seither sind Bundespolizisten vor Ort, die offenbar insbesondere im Umgang mit Demonstrationen und Aufständen ausbilden sowie das Durchsuchen und Besetzen von Häusern beibringen. Da EADS die Bundespolizei nicht direkt bezahlen darf, wurde ein formales Dreiecksgeschäft über die Entwicklungshilfe (GIZ) eingefädelt.

Abgesehen von der Aufstandsbekämpfung und der von den westlichen Mächten angestrebten Neuordnung der gesamten Region sind es natürlich auch wirtschaftliche Interessen wie insbesondere die Versorgung mit Öl aus Saudi-Arabien und anderen Förderländern, die den Ausschlag für eine Zusammenarbeit mit den Regimes geben. Politik und Bundeswehr treten heute offen dafür ein, das "Spannungsverhältnis zwischen Interessen- und Wertepolitik" zugunsten der "kurzfristig notwendigen Kooperation mit autoritären Regimen im Energie- und Sicherheitssektor" aufzulösen, auch wenn dabei der angeblich angestrebte langfristige Wandel auf der Strecke bleibt.



Fußnoten:

[1] http://www.dw.de/wann-sind-waffenexporte-rechtens/a-16424437

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/ausfuhrgenehmigungen-im-ersten-halbjahr-deutsche-waffenexporte-in-die-golfregion-boomen-1.1740491

11. August 2013