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KRIEG/1671: Geld und Waffen für Europas Ambitionen (SB)



Das Mantra europäischer Militarisierung, man müsse die Kapazität eigenständiger Kriegführung erlangen und ausbauen, verabreicht den von Furcht und Verunsicherung heimgesuchten Bevölkerungen noch mehr von derselben bitteren Medizin, welche die Pandemie entufernder Waffengänge herbeigeführt hat. Obgleich es die Angriffskriege der USA, der NATO und der Führungsmächte Europas waren, die den Flächenbrand von Nordafrika bis zum Mittleren Osten entfacht haben, scheint niemand mehr willens oder in der Lage zu sein, der Eskalation anders als mit verstärkter Aufrüstung und Konfrontation bis an den Rand des Weltkriegs zu begegnen, der Mitteleuropa in Schutt und Asche zu legen droht.

"Wenn Europa sich nicht um seine eigene Sicherheit kümmert, wird es niemand sonst tun", beschwor Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel angesichts des Zerfalls der EU die Bindekraft eines gemeinsamen Verteidigungsfonds, der Europa strategische Autonomie verschaffen soll. [1] An wohlfeilen Begründungen herrscht kein Mangel. Schon US-Präsident Barack Obama hatte im April dieses Jahres bei der deutschen Kanzlerin höhere Ausgaben im Rahmen der NATO angemahnt, zumal nur wenige europäische Länder die Vereinbarung erfüllen, 2 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Rüstung aufzuwenden. Als man mit dem Wahlsieg Hillary Clintons rechnete, standen deren dezidierten Forderungen im Raum, die Europäer müßten erheblich aufrüsten, um ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Nun hat Donald Trump das Rennen gemacht und wird allenthalben als Begründung für vermehrte europäische Anstrengungen zitiert.

Allein im Vorjahr gab die US-Regierung mit 600 Milliarden Euro dreimal so viel wie alle Länder der Europäischen Union zusammen für militärische Zwecke aus. Gerade weil die USA ihre waffengestützte Vorherrschaft nicht preisgeben wollen, aber längst die Überstreckung in Folge der immens kostspieligen Kriegführung und Militärpräsenz in aller Welt spüren, nehmen sie ihre Verbündeten in die Pflicht, sich stärker zu beteiligen. Diese Forderung ist Wasser auf die Mühlen der EU-Kommission und der Bundesregierung, die seit langem den Ausbau eigener militärischer Kapazitäten planen und dafür die Wünsche Washingtons instrumentalisieren.

Im Sommer unterstrich Angela Merkel die Notwendigkeit, daß wir "mehr für unsere Verteidigung" tun müßten. Europa sei nicht in der Lage, sich allein gegen die Bedrohung von außen zu verteidigen. Das bedeute auch, "dass ein Land wie Deutschland, das heute 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgibt, und die Vereinigten Staaten, die 3,4 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben, sich werden annähern müssen. Es wird auf Dauer nicht gut gehen, dass wir sagen, wir hoffen und warten darauf, dass andere für uns die Verteidigungsleistung tragen." [2] Der Wehrbeauftragte der Bundeswehr forderte Aufrüstung gegen die "russische Aggression", beim NATO-Gipfel in Warschau kündigte Verteidigungsministerin von der Leyen wegen der "russischen Bedrohung" eine Aufstockung der Rüstungsausgaben an, und die Bundesregierung hat inzwischen ihr Vorhaben auf den Weg gebracht, den Kriegshaushalt binnen weniger Jahre fast zu verdoppeln.

Wie Jean-Claude Juncker ausführte, müsse die EU in die gemeinsame Entwicklung von Technologien und Ausrüstung mit strategischer Bedeutung investieren, um "die kollektive Sicherheit zu garantieren". Europa benötige in der Verteidigung strategische Unabhängigkeit. Der Plan der EU-Kommission sieht vor, daß die Mitgliedsstaaten jährlich insgesamt fünf Milliarden Euro in einen Verteidigungsfonds einzahlen. Dieses Geld soll dann für die Entwicklung neuer militärischer Technologien oder den Kauf von Material verwendet werden. Zusätzlich sollen ab 2020 jährlich 500 Millionen Euro für gemeinsame Rüstungsforschung bereitgestellt werden.

Da die Regierungen der Mitgliedsländer ihren Bevölkerungen schmackhaft machen müssen, daß sie künftig mehr Geld für Rüstung ausgeben wollen, das zwangsläufig anderswo abgezogen werden soll, hausiert Juncker mit einem durchsichtigen Buchungstrick, der Kostenneutralität vorgaukelt. Da die Rüstungsausgaben derzeit zu 80 Prozent auf nationaler Ebene getragen würden, komme es zu einer "kostspieligen Doppelung militärischer Kapazitäten". Würden sich Länder zusammenschließen und gemeinsame Großbestellungen in Auftrag geben, könnten sie jedes Jahr 25 bis 100 Milliarden sparen, so die Einschätzung aus Brüssel.

Nimmt man die Pläne der EU-Kommission genauer unter die Lupe, bestätigt sich jedoch der naheliegende Verdacht, daß der geplante europäische Verteidigungsfonds natürlich nicht durch eine bloße Umschichtung der Rüstungsausgaben und damit gewissermaßen umsonst zu haben ist. Er soll zwei Bereiche umfassen, wobei der erste aus EU-Mitteln finanziert werden und die Forschung fördern soll. Ab 2020 sind dafür 500 Millionen Euro vorgesehen, und da alle EU-Länder zusammen bislang zwei Milliarden Euro für Rüstungsforschung ausgeben, würde dies zu einer Steigerung um 25 Prozent führen, die höchstwahrscheinlich durch Kürzungen in zivilen EU-Projekten aufgebracht werden.

Der weit größere zweite Bereich umfaßt die tatsächliche Entwicklung und Beschaffung von Militärgerät. Hier sollen die einzelnen Mitgliedsstaaten je nach eigenem Bedarf ihre Anschaffungen koordinieren. Wollen beispielsweise Deutschland, Frankreich und Italien Schützenpanzer anschaffen, sollen sie diese künftig nicht mehr einzeln ordern, sondern gemeinsam über den Verteidigungsfonds. Wenngleich die EU-Kommission zunächst von einer Größenordnung von fünf Milliarden Euro im Jahr ausgeht, sind dem Fonds grundsätzlich nach oben keine Grenzen gesetzt.

Der entscheidende Mechanismus zur Finanzierung besteht darin, daß darüber abgewickelte Investitionen bei der Berechnung der nationalen Haushaltsdefizite nicht berücksichtigt werden. Sie würden vielmehr als einmalige Maßnahmen im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts betrachtet und nicht die strukturellen Konsolidierungsanstrengungen belasten, die von den Mitgliedstaaten erwartet werden. Das bedeutet also, daß EU-Staaten mit Strafen rechnen müssen, wenn sie Kredite für zivile Arbeitsplätze, Infrastrukturprojekte, Schulen und Krankenhäuser aufnehmen und dabei die Defizitkriterien verletzen - nicht aber, wenn sie in Rüstungsgüter investieren.

Darüber hinaus will die EU-Kommission umfassende Mittel, die eigentlich der Förderung ziviler Wirtschaftsprojekte dienen, in die Rüstungsindustrie umlenken. Zudem sollen andere Töpfe wie das Bildungsprogramm Erasmus+ oder die Förderung regionaler Exzellenzcluster, an denen auch Universitäten beteiligt sind, stärker auf die Förderung von Militärforschung und -produktion hin ausgerichtet werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Pläne nicht zuletzt der europäischen Rüstungsindustrie zugute kommen sollen, deren Lobbyisten einem geplanten Koordinierungsausschuß angehören würden. Die Mitgliedsstaaten sollen gemeinsam mit der Industrie an neuen Systemen wie Drohnen, Robotern oder im Bereich Cybersecurity arbeiten, wie Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska erklärte: "Wir wollen den gesamten Prozess unterstützen: angefangen bei der Forschung über den Bau von Prototypen bis hin zum fertigen Endprodukt." [3]

Deutschland und Frankreich hatten im September ein gemeinsames Papier für eine stärkere EU-Kooperation in Verteidigungsfragen vorgelegt. Die EU-Verteidigungsminister einigten sich kürzlich auf Maßnahmen für eine gemeinsame Sicherheitspolitik. Nun will die EU-Kommission beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 15. und 16. Dezember in Brüssel die geplante Sicherheits- und Verteidigungsunion beschließen lassen, die angeblich nicht in Konkurrenz zur NATO treten und auch nicht zur Gründung einer europäischen Armee führen soll. Auf letztere drängt jedoch die Bundesregierung, die stets zugleich deutsche Vorherrschaft meint, wenn sie von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik spricht. So unterstrich der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, Deutschland brauche "eine verantwortliche europäische Außenpolitik". Die EU könne es sich außen- und sicherheitspolitisch nicht erlauben, "einfach tatenlos an der Seitenlinie zu stehen". Sie müsse vielmehr "jetzt erst recht Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt übernehmen - als Krisenmanager und Vermittler, und ja, notfalls auch militärisch". [4]


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/eu-verteidigungspolitik-ausgaben-eu-kommission-verteidigungsfonds

[2] https://deutsch.rt.com/europa/43858-eu-kommission-will-funf-milliarden-verteidigungsfond-aufruestung-juncker-trump-deutschland-merkel/

[3] http://www.deutschlandfunk.de/plaene-fuer-einen-verteidigungsfonds-eu-will-staerker-in.1783.de.html?

[4] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/02/aufr-d02.html

3. Dezember 2016


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