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KRIEG/1679: Ab nach Mali - mit robustem Mandat und Gefahrenzulage (SB)



Mit ökonomischen, politischen und in rasant wachsendem Maße auch militärischen Mitteln setzen deutsche Regierungen die hegemonialen Interessen der Bundesrepublik in diversen Weltregionen durch. Das zur eigenen Einflußsphäre erklärte Osteuropa, die Zerschlagung Jugoslawiens, die langjährige Besatzung in Afghanistan und in jüngerer Zeit insbesondere eine starke Präsenz in Afrika zeugen vom Drang hiesiger Eliten, innerhalb der NATO, im Rahmen einer unter deutscher Führung vorangetriebenen Militarisierung der Europäischen Union, im Verbund mit anderen europäischen Mächten und nicht zuletzt in Eigenregie wirtschaftliche Interessen zur Sicherung des Standorts Deutschland mit Waffengewalt zu unterfüttern.

Im Kosovo, wo die Bundeswehr seit 18 Jahren im Einsatz ist, sind gegenwärtig 517 Soldaten stationiert. Beim bislang größten Einsatz in Afghanistan liegt die Obergrenze bei 980 Soldaten. Auf dem afrikanischen Kontinent laufen Einsätze im Senegal, in Zentralafrika, am Horn von Afrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia. Wie vom Bundestag am 26. Januar mit großer Mehrheit beschlossen, soll die Präsenz der Bundeswehr in Mali um ein Jahr verlängert und massiv ausgeweitet werden: Die Höchstzahl der im Rahmen der UN-Mission MINUSMA einzusetzenden deutschen Soldaten wird um 350 auf nunmehr 1000 erhöht, womit dort schon bald mehr Bundeswehrsoldaten stationiert sein werden als in jedem anderen Land der Welt.

Deutschland führt in Mali Krieg und arbeitet mit einem autoritären Regime zusammen, um Flüchtlinge schon in Afrika von Europa fernzuhalten sowie seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auf dem bevölkerungs- und rohstoffreichen Kontinent durchzusetzen. Nur wenige Wochen, nachdem Präsident Gauck und die Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung verkündet hatten, verabschiedete das Kabinett im Mai die "Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung". Darin ist von Potentialen Afrikas wie einem Zukunftsmarkt mit hohem Wachstum, reichen Ressourcen, landwirtschaftlicher Produktion und Ernährungssicherung die Rede, die für die deutsche Wirtschaft zunehmend interessanter würden. Aus diesen Gründen gelte es, das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt zu stärken sowie entschieden und substantiell zu handeln, wozu auch militärische Interventionen gehörten. [1]

Bereits Anfang 2013 beschloß der Bundestag, die französische Militärintervention in Mali zu unterstützen und die Bundeswehr in dem westafrikanischen Land zu stationieren. Diese ist dort vor allem mit der Aufklärung rund um die nordmalische Stadt Gao befaßt und soll damit zur Überwachung des fragilen Waffenstillstands zwischen ehemaligen Separatisten und Regierung durch die UN-Truppe beitragen. Sie nutzt Drohnen, hat zwei Transall-Maschinen zum Lufttransport in Niamey stationiert und unterstützt auch französische Kampftruppen im Sahel. Vier deutsche Kampfhubschrauber des Typs Tiger und vier Transporthelikopter des Typs NH90 sollen frühestens ab März die aus Gao abziehenden Hubschrauber der niederländischen Armee ersetzen und bis Mitte 2018 vor Ort bleiben, um eine Rettungskette zu gewährleisten. Deutsche Offiziere sind im Hauptquartier der MINUSMA in Bamako, im Joint Force Air Component Command (JFACC) in Lyon und beim Ausbildungseinsatz der EU für Malis Streitkräfte (EUTM Mali) präsent. [2]

Die Krise in Mali ist eine unmittelbare Folge der Zerschlagung Libyens durch den Angriffskrieg europäischer Mächte, allen voran Frankreich. Nach dem Zusammenbruch Libyens versorgten sich zahlreiche Gruppierungen mit Waffen aus dortigen Arsenalen, darunter auch die zuvor mit der Gaddafi-Regierung kooperierenden Tuareg. Sie eroberten vor fünf Jahren blitzartig den gesamten Norden Malis, um der Zentralregierung einen eigenen Staat abzuringen. Azawad nennen die Aufständischen ihr erobertes Gebiet, das sich im wesentlichen um die Wüstenstädte Gao, Kidal und Timbuktu gruppiert. Die malische Armee mußte dem Feldzug der Rebellen hilflos zusehen und kompensierte ihre Niederlage mit einem Putsch: Im März 2012 stürzte sie die Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré. Danach eskalierten die Konflikte, denn während sich in Bamako eine zivile Übergangsregierung formierte, traten im Norden neben den Tuareg verschiedene islamistische Milizen auf den Plan, die von der Vernichtung des libyschen Nationalstaats und der Schwäche der malischen Regierung profitierten. [3]

Seither hat sich die Region zu einem der gefährlichsten Krisengebiete Afrikas entwickelt. Etwa 12.000 Blauhelme, dazu mehrere tausend französische Soldaten, die mit ihrer Militäroperation Islamisten in Mali und dem gesamten Sahel bekämpfen - eine eindrucksvolle internationale Präsenz, doch ist Lage heute ungleich komplizierter und schlimmer als 2012. Der UN-Einsatz gilt als einer der gefährlichsten der Welt und die Sicherheitslage ist so dramatisch, daß die Bundeswehr den sogenannten Gefahrenzuschlag auf 110 Euro pro Tag angehoben hat. Dies entspricht Stufe sechs, also der höchsten Gefahrenstufe, die bislang nur für den Militäreinsatz in Afghanistan galt.

Aus Perspektive deutscher Regierungspolitik ist die Intervention in Mali nicht zuletzt deshalb so bedeutsam, weil Flüchtlinge das Land angesichts des weitgehenden staatlichen Kontrollverlusts als eine der Hauptfluchtrouten aus Westafrika ans Mittelmeer und weiter nach Europa nutzen. Zudem destabilisieren Dschihadisten, die sich im Sahel festgesetzt haben, auch Nordafrika. Wenngleich sich ein Dauerkrieg wie in Afghanistan abzeichnet und erst in der vergangenen Woche auf das Militärlager in Gao ein Attentat mit mehr als 80 Opfern verübt wurde, treiben Bundesregierung und Parlamentsmehrheit die Ausweitung der Intervention voran: "Die Stabilisierung Malis ist ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und ein wichtiges Ziel der Afrikapolitik der Bundesregierung", hieß es in der Debatte im Bundestag. Es gehe darum, "Mali in eine friedliche Zukunft führen zu helfen und die strukturellen Ursachen von Flucht und Vertreibung zu beseitigen" - womit nicht etwa der wirtschaftliche Aufbau des Landes und die Verbesserung der Lebensverhältnisse, sondern eine vorgelagerte Flüchtlingsabwehr gemeint ist. Mittels finanzieller Erpressung soll das Regime dafür sorgen, die bislang herrschende Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge repressiv zu unterbinden.

Die deutsche Kriegsministerin Ursula von der Leyen fordert einen klaren politischen Willen, das NATO-Limit von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militärausgaben zu erreichen und bei der geplanten militärischen Aufrüstung keine Zeit zu verlieren. Gleichzeitig müßten die Europäer ihre Außenpolitik neu justieren und für Sicherheit "in unserer Region" sorgen, worunter die Ministerin wie selbstverständlich auch Afrika subsumiert. Das dortige Engagement sei jedoch keine Aufgabe der NATO, sondern nehme die Europäer in die Pflicht. "Ein Zusammenbruch Malis hätte eine unvorhersehbare Kettenreaktion zur Folge", begründete der CDU-Abgeordnete Henning Otte die Unterstützung für den Militäreinsatz. Konflikte müßten dort bekämpft werden, wo sie entstehen, "weil sonst die Konflikte zu uns kommen in Form von Terror und in Form von Menschen, die vor diesen Konflikten fliehen". [4]

Während die Linkspartei als einzige Fraktion geschlossen gegen die Ausweitung des Einsatzes in Mali stimmte und erklärte, man verstricke sich dort "kopf- und planlos in den nächsten langwierigen Krieg", widersprachen die Grünen empört. Wie deren Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger erklärte, könne man eine Friedensmission der Vereinten Nationen keinesfalls "mit dem Label Krieg versehen". Die Grünen stimmten der Mission mehrheitlich zu, wandten sich aber mit Blick auf die schlechte Sicherheitslage gegen Bestrebungen der Bundesregierung, Flüchtlinge nach Mali zurückzuschicken.

So nachvollziehbar die Argumentationslinie der Kriegsgegner im Bundestag anmuten mag, insbesondere die Gefahren für die Bundeswehrsoldaten und die Konsequenzen eines unabsehbar langen und kostspieligen Einsatzes ins Feld zu führen, hätte man sich doch eine wesentliche zugespitztere Opposition gegen den deutschen Imperialismus gewünscht. Wenn das nun vom Parlament erteilte robuste Mandat auch den Einsatz von Waffen erlaubt und Bundeswehrsoldaten die höchste Stufe der Auslandszulage erhalten, die für "extreme Belastungen bei Verwendung zwischen den Konfliktparteien unter kriegsähnlichen Bedingungen" vorgesehen ist, verklärt die gezielt geförderte Nabelschau deutscher Befindlichkeit in fernen Landen die Militärintervention um so mehr zu einer "Friedensmission". Schmackhafter für die Akzeptanz an der Heimatfront und krasser an der Bruchlinie beim Zusammenprall zweier Welten in Mali könnte die allseitige Sorge um das Wohlergehen "unserer" Soldatinnen und Soldaten kaum sein.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2017/01/27/mali-j27.html

[2] https://www.jungewelt.de/2017/01-27/001.php

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/afrika-die-bundeswehr-in-mali-eine-riskante-mission-1.3350888

[4] https://www.tagesschau.de/ausland/mali-bundeswehr-mandat-verlaengert-101.html

27. Januar 2017


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