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KRIEG/1686: Gute Truppe, böse Truppe (SB)



Während das Armdrücken zwischen der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr ohne eindeutigen Ausgang seinen Lauf nimmt, steht doch zumindest ein Sieger bereits fest. Wenn hierzulande alle Welt darüber rätselt, was im einzelnen hinter der jüngsten Affäre und deren springflutartigem Wellenschlag stecken mag, und man sich im Streit darüber ereifert, ob man der Verteidigungsministerin oder doch lieber der Truppe auf die Schulter klopfen sollte, bleibt das Eingemachte unangetastet, feiert deutscher Bellizismus Urständ, werden Grundsatzfragen ausgeblendet: Wer braucht schon die Bundeswehr und wenn ja, zu welchem Zweck? Wer will ihre aktuellen Kriegseinsätze an diversen Schauplätzen, wer die Konfrontation mit Rußland, die sehenden Auges den nächsten Weltkrieg in Europa heraufbeschwört? Wer wünscht sich über die ökonomische und politische Vormachtstellung der Bundesrepublik in Europa hinaus auch die militärische Aufrüstung zum Platzhirsch in Afrika und dem Nahen Osten?

Soweit es sich um einen veritablen Machtkampf um die Steuerung, Kontrolle und Ausrichtung der Bundeswehr handelt, mutet die aktuelle Kontroverse auf den ersten Blick erstaunlich an. Schließlich ist Ursula von der Leyen aus Perspektive der Truppe ein Geschenk des Himmels, hat sie doch nicht nur das Ansehen des Soldatentums in der Gesellschaft enorm aufpoliert, sondern auch die finanzielle Ausstattung und materielle Aufrüstung massiv vorangetrieben. Sie hat insbesondere die perspektivische Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels, das auf eine tendenzielle Verdopplung des Kriegsetats hinausläuft, maßgeblich durchgesetzt und damit schon jetzt mehr erreicht, als ihre Amtsvorgänger in Jahrzehnten. So gesehen können die Streitkräfte eigentlich kein Interesse daran haben, dieser Ministerin an den Karren zu fahren, was man auch umgekehrt angesichts dieser vermeintlich glücklichen Vermählung annehmen möchte.

Eigentlich. Hitzig ist die Debatte um die Frage entbrannt, ob die braune Brut in der Truppe ein Struktur- und Führungsproblem grundsätzlicher Art oder lediglich ein kleiner fauler Apfel im ansonsten makellosen Baum der deutschen Armee sei. Die Kriegsministerin hat die Notbremse gezogen und einen General seines Postens enthoben. Daß Köpfe rollen mußten, lag auf der Hand, doch gleich so ein großer? Und daß von der Leyen heftig zu stochern begann und allen Ernstes eine Säuberung nicht nur fürs Konsumentenvolk im Munde führte, sondern womöglich allen Ernstes im Sinn hatte, wurde zum Problem.

Wie jeder weiß, der selbst in der Bundeswehr gedient oder sich mit ihrem Innenleben auf andere Weise intensiv beschäftigt hat, ist eine Gemengelage aus Traditionspflege, männerbündischen Kraftprotzens und eben auch reaktionärsten Gedankenguts mehr als nur in verstaubten Nischen und Winkeln durchaus präsent. Das wird geduldet, gedeckt, geleugnet, bis der Corpsgeist irgendwo Risse kriegt, die man schnell wieder abdichten muß. Rechtsradikale Anschlagspläne in Offizierskreisen, ja sogar schriftlich niedergelegte Einlassungen zu einem Militärputsch, um die leidige parlamentarische Bremse wegzufegen, gehen allerdings gar nicht - sofern sie allgemein bekannt werden. Wird die Bundeswehr von rechts unterwandert, als Machtapparat für den inneren Krisenfall in Stellung gebracht?

Daß dieser Verdacht nicht gelassen abgewettert werden kann, liegt auf der Hand. Und dies weniger, weil er nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern weil die Bundeswehr erstens eine Geschichte und zweitens auch sonst eine Menge zu verbergen hat. Man erinnere sich an die heftige Kontroverse um die Wehrmachtsausstellung, die mit dem Mythos der Unterscheidung zwischen einer sauberen deutschen Armee und der kriegsverbrecherischen SS im NS-Staat aufgeräumt hat. Die Bundeswehr steht allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz durchaus in der Tradition der Reichswehr, wie es anders auch gar nicht sein kann. Schließlich ist hier von einer Armee des Staates die Rede, die in seinem Ermessen nach außen und innen eingesetzt wird. Als Parlamentsarmee dient sie nur solange dem Willen des Volkes, wie sich dieser mit staatlichem Handeln mehr oder minder zur Deckung bringen läßt. Verhält es sich anders, ist der Ausnahmezustand angesagt.

Zwangsläufig existieren in der Bundeswehr diverse geheime und geheimdienstliche Verbindungen, Verstrickungen und Notfallpläne, die man nur unzulänglich in offiziell und inoffiziell, legal und illegal unterscheiden kann. So gesehen hat die Bundeswehrführung ein massives Interesse daran, die Kontrolle des Deckels zu behalten und sich nicht von der wechselnden politischen Führung zu tief in die Karten schauen zu lassen. Im spektakulären Zweifelsfall wie dem Massaker von Kundus trat der Verteidigungsminister zurück, während der befehlsgebende Oberst Klein unbehelligt blieb und nach einer gewissen Frist zum General befördert wurde. Auch in der aktuellen Kontroverse werden Stimmen nicht nur aus der Truppe laut, die von der Verantwortung der Ministerin sprechen und ihren Kopf rollen sehen wollen.

Im Jahr des Bundestagswahlkampfs prügelt die parteipolitische Konkurrenz auf sie ein, und auch die Opposition entblödet sich in erheblichen Teilen nicht, "unsere Soldaten" vor der Ministerin in Schutz zu nehmen, die angeblich in ihrer Geltungssucht übers Ziel hinausgeschossen sei. Besser kann man einer Militarisierung der Gesellschaft die Bälle nicht zuspielen, als sich an der Frage abzuarbeiten, wer oder was besser für die Bundeswehr sei. Es gibt substantielle Anlässe, Kritik an Ursula von der Leyen zu üben, aber doch wohl nicht, weil sie schlecht für die Truppe wäre, sondern eher aus gegenteiligen Gründen.

Wenn derzeit Sand ins Getriebe der zuvor reibungslosen Zusammenarbeit geraten ist, so nicht aus einem grundsätzlichen Interessenkonflikt, was die künftigen Aufgaben der Bundeswehr betrifft. Die Streitparteien sitzen nach wie vor im gleichen Boot deutscher Vormachtstellung, forcierter Aufrüstung und wachsender Kriegsbefähigung im Dienst hiesiger Kapital- und sonstiger Eliteninteressen. Uneinigkeit scheint zumindest befristet zu herrschen, was den bestmöglichen Weg zu innovativer Effizienz und Akzeptanz der Truppe betrifft. Ursula von der Leyen stellt den Streitkräften nichts weniger als eine leichtgängige und wirksame Präsenz bei fernen wie nahen Konflikten in Aussicht, verlangt ihnen dafür aber einen Vollwaschgang ab. Als Mutter der Truppe sorgt sie bestmöglich für diese, will aber auch prüfen, aber deren Finger sauber sind und ihnen im Zweifelsfall auf dieselben klopfen. Königsweg des politischen Machtzirkels in Berlin ist nicht der rechte Putsch, sondern die sukzessive Implementierung und Legalisierung des Ausnahmezustands im Sicherheitsstaat und des permanenten Kriegszustands unter aktiver und wachsender Beteiligung der Bundeswehr. Diese Strategie ist administrativ, juristisch und politisch ausgeklügelter und wirkmächtiger als rechte Brachialgewalt, ohne daß eines das andere gänzlich ausschließen würde.

5. Mai 2017


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