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KRIEG/1702: Störfall Macron - Erdogans Kriege und Fronten ... (SB)



Der Vernichtungs- und Vertreibungskrieg des Erdogan-Regimes gegen die kurdische Bevölkerung Nordsyriens wie auch alle in den Schutz der dortigen Kantone geflohenen Menschen esidischer, alevitischer oder arabischer Herkunft soll nach dem Willen des Machthabers in Ankara nicht in Afrin Halt machen, sondern im nächsten Schritt über Manbidsch herfallen. Erklärtes Ziel ist eine vollständige ethnische Säuberung der gesamten Grenzregion, in die syrische Flüchtlinge aus der Türkei gebracht werden sollen. De facto will die Erdogan-Regierung den gesamten Grenzstreifen im Nachbarland dauerhaft okkupieren und dort eine türkische Verwaltung wie auch einen türkischsprachigen Schulunterricht etablieren, wie die Praxis im bereits seit längerem besetzten Korridor zwischen den kurdischen Kantonen westlich des Euphrat zeigt.

Der Angriff auf Afrin war in dieser Form nur möglich, weil Rußland den Luftraum für die türkischen Streitkräfte freigegeben hatte und die mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) verbündeten USA nicht eingegriffen haben. Damit schienen die am Syrienkrieg beteiligten Großmächte die Weichen dafür gestellt zu haben, die Kurdinnen und Kurden der Türkei zum Fraß vorzuwerfen. Nun könnten die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) und Frauenverteidigungskräfte (YPJ) zumindest in Manbidsch Unterstützung von unerwarteter Seite bekommen. Nachdem in Frankreich bereits vom "Verrat des Westens an den Kurden" die Rede gewesen war, der die Verbündeten ihrem Schicksal überlasse, empfing Präsident Emmanuel Macron erstmals eine Delegation der SDF im Elysée-Palast.

Wie es in einem offiziellen Kommuniqué aus dem Amtssitz Macrons hieß, habe der Präsident die Opfer und die entscheidende Rolle der SDF im Kampf gegen Daech (Islamischer Staat) gewürdigt und ihnen "die Unterstützung Frankreichs zugesichert, insbesondere bei der Stabilisierung der Zone im Nordosten Syriens, im Rahmen einer inklusiven und ausgewogenen Governance, um jedes Wiederauftauchen von Daech zu verhindern, und in Erwartung einer politischen Lösung des syrischen Konfliktes". Der Präsident biete an, zwischen beiden Seiten zu vermitteln, schließlich habe sich die SDF von der PKK distanziert.

Wenngleich es weiter hieß, es solle keine neue Militäraktion gestartet werden, wäre das auch gar nicht erforderlich. Frankreich hat schwere Artillerie, Spezialkräfte und Ausbildungseinheiten in Syrien stationiert, die lediglich verlegt werden müßten. Wie die Bundeswehr hat auch die französische Armee Kurden im Irak ausgebildet, wobei "forces spéciales" aber auch in die Kämpfe eingriffen und später an der Vertreibung des IS aus dem syrischen Manbidsch beteiligt waren. Entsprechung groß ist in den französischen Streitkräften die bislang noch stille Wut darüber, daß Erdogan mit dschihadistischen Söldnern vorrückt, um die Kurdinnen und Kurden wieder zu vertreiben. [1]

Es ist kein Geheimnis, daß die türkische Regierung den IS unterstützt und mit ihm partiell zusammengearbeitet hat. Der Nachschub an Kämpfern und Material für den IS in Syrien lief über die Türkei, verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt, der Geheimdienst schleuste Attentäter ein, die Anschläge auf kurdische Einrichtungen verübten. Auch konnte der IS das Öl aus den eroberten Regionen an die Türkei verkaufen und damit seine Kriegskasse beständig füllen. Wenn Erdogan heute mit islamistischen Hilfstruppen die Kurdengebiete in Nordsyrien angreift, belegt das zweifelsfrei, daß die zwischenzeitliche Kriegsführung der türkischen Streitkräfte gegen den Islamischen Staat nicht mehr als eine Zwischenetappe, wenn nicht gar ohnehin nur ein Vorwand zur Intervention in Syrien war.

Macron hat in den zurückliegenden Wochen mehrfach, aber vergeblich mit Erdogan telefoniert, um ihn zur Zurückhaltung aufzufordern und von Angriffen auf Afrin abzuhalten. Warum sich der französische Präsident schließlich doch zum Eingreifen entschlossen hat, dürfte auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein. Ein Wiedererstarken des Islamischen Staates kann angesichts der innenpolitischen Situation in Frankreich und der beträchtlichen Anschlagsgefahr nicht in Macrons Interesse sein. Hinzu kommt natürlich, daß die französischen Truppen in Syrien dem Zweck dienen, sich dort auf lange Sicht eine Einflußsphäre zu sichern. Um diese zu etablieren, bedarf es politisch-militärischer Vorwände, die sich mit den Interessen der diversen anderen Beteiligten in Abstimmung bringen ließen. Und nicht zuletzt hat Macron bislang ein gutes Gespür für spektakuläre Initiativen an den Tag gelegt, die sein Land nicht nur im Verbund mit der Bundesrepublik, sondern zugleich an dieser vorbei in den Rang der neuen europäischen Führungsmacht katapultieren sollen.

Ebensowenig wie Rußland, den USA oder Deutschland geht es Frankreich um die Kurdinnen und Kurden, die jedoch abermals als erfolgreichste und zuverlässigste Bodentruppe wahrgenommen und in dieser Funktion befristet unterstützt werden sollen. Frankreich ist kein strategischer Partner, der die kurdischen Ziele wie insbesondere den demokratischen Föderalismus und einen Gesellschaftsentwurf wie jenen Rojavas teilen würde. Dessen ungeachtet könnten neben den nach wie vor in Manbidsch präsenten US-Truppen nun auch die Franzosen eine Barriere bilden, die Erdogans aggressiven Vormarsch bremsen.

Nachdem der türkische Präsident noch vor wenigen Tagen auf dem EU-Türkei-Spitzentreffen in Warna geradezu Kreide gefressen hatte, um seinen zahlreichen Wünschen ausnahmsweise in versöhnlichem Tonfall Nachdruck zu verleihen, wechselte er mit einer Tirade gegen Macron und Frankreich wieder in den sattsam bekannten haßerfüllten Modus. Erdogan wies eine französische Vermittlerrolle bei der türkischen Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG/YPJ in Syrien empört zurück. Nach diesem Verhalten habe "Frankreich kein Recht mehr, sich über eine einzige Terrororganisation, einen einzigen Terroristen oder einen einzigen Terroranschlag zu beschweren", erklärte Erdogan in Ankara. "Diejenigen, die sich mit Terroristen ins Bett legen und sie sogar in ihren Palästen empfangen, werden ihren Fehler früher oder später erkennen." [2] Diese Aussagen dürften in Paris für Entsetzen sorgen, schließlich war Frankreich erst vor wenigen Tagen wieder von einem Anschlag erschüttert worden.

Unter dem Beifall von Funktionären seiner AKP hetzte Erdogan: "Hey, Westen! Die, die ihr SDF nennt, die Syrischen Demokratischen Kräfte, sind dasselbe wie diese Terrororganisation. Ihr versucht, uns mit denen zu täuschen." Die Türkei lasse sich von "Buchstabenspielen" nicht hinters Licht führen: "Wir wissen deshalb, dass sie alle die Ausgeburt derselben Schlange sind." Die Franzosen verhielten sich anmaßend, obgleich sie "nicht einmal Rechenschaft über ihre eigene schmutzige und blutige Vergangenheit ablegen konnten". Die Türkei brauche keinen Vermittler. Sie führe ihren Kampf gegen Terroristen so, "wie sie es in Afrin tut". 3800 "Terroristen" seien seit Beginn der Offensive am 20. Januar "neutralisiert" worden. [3]

Sich bei seinem Feldzug gegen die Kurdinnen und Kurden im eigenen Land wie auch jenseits der Grenzen von nichts und niemanden aufhalten zu lassen hat Recep Tayyip Erdogan bislang nie so weit isoliert, daß er in dieser Hinsicht zurückgesteckt hätte. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel die türkische Offensive endlich im Bundestag verurteilt hatte, bezeichnete die Regierung in Ankara diese Kritik als "inakzeptabel", wohl wissend, daß aus Deutschland keinerlei Sanktionen zu erwarten sind. So wurde kürzlich publik, daß die deutschen Waffenlieferungen weiterliefen, als die berüchtigte "Operation Olivenzweig" bereits begonnen hatte.

Wie sich die USA verhalten, sobald die türkischen Streitkräfte und deren dschihadistische Söldner nach Manbidsch vorrücken, ist ungewiß. Präsident Donald Trump hat in einer selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich zerfahrenen Rede vor Industriearbeitern in Ohio einen baldigen Abzug aus Syrien angekündigt. Schon bald seien "hundert Prozent" der Gebiete aus den Händen des IS zurückerobert, dem man es gezeigt habe. Die US-Truppen sollten nach Hause zurückkehren, um Syrien könnten sich "andere Leute" kümmern. Offenbar handelte es sich bei diesen Äußerungen um einen Alleingang Trumps, sein Außenministerium wußte jedenfalls nichts von einem Abzug. Anfang des Jahres hatte der damalige Außenminister Rex Tillerson noch angekündigt, den US-Militäreinsatz in Syrien auszuweiten, um die IS-Miliz weiter zu bekämpfen und Assad aus dem Amt zu drängen. Trump hat Tillerson jedoch Mitte März entlassen. [4]

Im Osten Syriens sind mehr als 2.000 US-Soldaten im Einsatz, die den Kampf gegen den IS unterstützen. Da die USA eine Kette von Stützpunkten errichtet haben, dürfte ein vollständiger Abzug nicht vorgesehen sein. Möglicherweise haben Absprachen mit Rußland über die beiderseitige Einflußsphäre stattgefunden, auch mit der türkischen Regierung wurden Gespräche geführt. Während bislang eher zu vermuten stand, daß sich die US-Einheiten aus Manbidsch auf die östliche Seite des Euphrat zurückziehen würden, kommt mit der Initiative Macrons plötzlich ein neuer Faktor zum Tragen.


Fußnoten:

[1] www.handelsblatt.com/politik/international/konflikt-mit-der-tuerkei-frankreichs-hilfe-fuer-kurden-in-syrien-ist-ein-klares-signal-an-erdogan/21130472.html

[2] www.sueddeutsche.de/politik/syrien-krieg-vorstoss-frankreichs-empoert-erdoan-1.3926967

[3] www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_83480652/nach-treffen-mit-kurden-erdogan-wuetet-gegen-frankreichs-macron.html

[4] www.derstandard.de/story/2000077070382/frankreich-sagt-kurdischen-kaempfern-unterstuetzung-zu

31. März 2018


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