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KRIEG/1714: NATO - Manöverstatus aggressiv ... (SB)



Diese neue Übung geht weit über das hinaus, was aus Prestigegründen nützlich sein könnte. 30 Prozent der aktiven Streitkräfte Russlands sind an den Manövern beteiligt. Das muss sehr kostspielig sein, und Russlands Verteidigungsetat ist ohnehin angespannt. Das ergibt nur Sinn, wenn ein umfassender Krieg als hochwahrscheinlicher Ernstfall betrachtet wird.
François Heisbourg (International Institute for Strategic Studies) [1]

Seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 treiben die westlichen Mächte ihre militärischen Interventionen in einer Kette fortgesetzter Kriege von Jugoslawien über den Irak, Libyen und Syrien bis nach Afghanistan voran. Die US-Regierung hat im Januar eine neue Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht, in der sie auf den "Krieg gegen den Terrorismus" als Vorwand verzichtet und Rußland und China direkt als Gegner benennt. Verteidigungsminister James Mattis erklärte bei der Vorstellung des Dokuments, der zentrale Fokus der nationalen Sicherheit der USA sei künftig die Konkurrenz zwischen den Großmächten. Er bezeichnete Rußland und China als "revisionistische Mächte", welche die von den USA geführte Weltordnung bedrohten.

In Reaktion auf die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA sowie auf deren Ausweitung ihrer weltweiten militärischen Aktivitäten führten Moskau und Peking Großmanöver durch, die ausdrücklich als Signal an Washington und die NATO ausgewiesen wurden. Die dauerhafte Truppenstationierung an der russischen Westgrenze und die Haltung der USA und der NATO im Südchinesischen Meer und in der Meerenge von Taiwan würden als Bedrohung wahrgenommen. In russischen Staatsmedien war davon die Rede, daß zur Vorbereitung auf einen möglichen globalen Atomkrieg gemeinsame Raketenabwehrübungen geplant seien, da von jedem nuklearen Schlagabtausch, in den die eine Macht verwickelt werde, auch die andere betroffen sei.

Anfang September führte die russische Marine den größten Einsatz im Mittelmeer seit Jahrzehnten durch. An den Übungen der Marine und Luftwaffe waren 25 Schiffe und 30 Flugzeuge, darunter auch atomwaffentaugliche Bomber vom Typ Tu-160, beteiligt. Am 11. September begann dann das größte Militärmanöver seit dem Zweiten Weltkrieg. An der Übung "Wostok 18" im ostrussischen Transbaikal-Gebiet nahmen 300.000 russische Soldaten, 1.000 Flugzeuge und 36.000 Fahrzeuge teil, dazu 3.200 Soldaten, 30 Flugzeuge und 900 Fahrzeuge aus China sowie mongolische Truppen.

Die NATO hatte bereits im Juni zwei Großmanöver mit dem Ziel durchgeführt, ihre Kriegsfähigkeit im Ostseeraum zu Lande, zu Wasser und in der Luft auszuweiten. An der Übung "Baltops 2018" nahmen rund 5000 Soldaten teil, bei "Saber Strike 2018" waren es rund 18.000, jeweils unter Beteiligung der Bundesmarine. Im Juli folgte "Sea Breeze 2018" mit rund 3.000 Soldaten im Schwarzen Meer, Anfang August "Noble Partner 2018" mit gleicher Truppenstärke in Georgien. Anfang September beteiligtem sich wiederum deutsche Einheiten am Manöver "Rapid Trident 2018" mit insgesamt rund 2.300 Soldaten nahe der westukrainischen Stadt Lviv. [2]

War dies bereits eine außergewöhnlich dichte Abfolge militärischer Übungen und Drohgebärden an die Adresse Moskaus, so stellte sie doch nur den Auftakt zu einem gewaltigen Paukenschlag dar. Vom 25. Oktober bis 7. November findet in Norwegen mit dem Großmanöver "Trident Juncture" die größte Übung der NATO seit dem Kalten Krieg statt. Simuliert wird der Angriff auf einen Verbündeten und die Anrufung der Beistandsklausel nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Das Manöver soll die Fähigkeit des Bündnisses testen, schnell Truppen aus anderen Teilen Europas und aus Nordamerika zusammenzuziehen. Übungsgebiet sind Mittel- und Ostnorwegen, "umgebende Gebiete im Nordatlantik und in der Ostsee, einschließlich Island und dem Luftraum über Finnland und Schweden". Diese beiden skandinavischen Länder gehören nicht der NATO an, sind aber Partnerstaaten der Militärallianz. [3]

In der ersten Runde des großen Manövers werden nach Bündnisangaben von Ländern wie Deutschland, Italien und Großbritannien gebildete "südliche Kräfte" einen Angriff von "nördlichen Kräften" abwehren, die unter anderem aus Truppen der USA, Kanadas und Norwegens bestehen. In der zweiten Runde sieht das Szenario dann einen Gegenangriff der "südlichen Kräfte" auf die "nördlichen Kräfte" vor. Der für die Übung zuständige norwegische General Rune Jakobsen behauptet wie üblich, daß sich dieses Szenario nicht gegen Rußland richte. Das Kerngebiet befinde sich 1000 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, Einsätze der Luftwaffe fänden in 500 Kilometer Abstand statt. "Es sollte keinen Grund für die Russen geben, Angst zu bekommen", so der General, als sei das Manöver in Norwegen, das eine gemeinsame Grenze mit Rußland hat, keine Kriegsvorbereitung par excellence.

Teilnehmen werden gut 50.000 Soldaten, etwa 150 Flugzeuge und 60 Schiffe, darunter auch der US-Flugzeugträger "Harry S. Truman", sowie mehr als 10.000 Militärfahrzeuge. Die Bundeswehr stellt mit etwa 10.000 Soldaten und rund 4000 Fahrzeugen das größte Kontingent, sie bringt unter anderem 30 Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2", 75 Schützenpanzer der Modelle "Marder" und "Boxer" sowie zehn Panzerhaubitzen 2000 nach Norwegen mit. [4] Diese starke Präsenz hängt damit zusammen, daß Deutschland ab Anfang 2019 die Führung der schnellen Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force - VJTF) übernimmt. Diese inzwischen bis zu 8.000 Soldaten umfassende Truppe soll im Prinzip weltweit operieren, ist aber faktisch auf den Einsatz gegen Rußland ausgerichtet, worauf Minihauptquartiere der NATO in acht ost- und südosteuropäischen Staaten hinweisen. Die Beteiligung deutscher Soldaten an den diversen multinationalen Manövern treibt ihre Zahl in diesem Jahr auf den Rekordwert von rund 12.000, dreimal soviel wie 2017. Die Kosten werden auf insgesamt 90 Millionen Euro geschätzt.

Die anstehende Militärübung, die an Umfang die Vorgängerveranstaltung "Trident Juncture 2015" deutlich übertrifft, soll nach Darstellung der Militärs auch dazu dienen, neue Fähigkeiten zu testen, zu verbessern und weiterzuentwickeln. Abseits der Truppenbewegungen zu Lande, zu Wasser und in der Luft soll hinter den Kulissen auch ein rechnerbasierter Belastungstest der Befehlsketten und Kommandostrukturen ablaufen. Größere NATO-Übungen fanden zuletzt vor 1991 statt, als unter anderem an der Manöverreihe "Reforger" (Return of Forces to Germany) jeweils bis zu 125.000 Soldaten beteiligt waren. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde für den eigentlichen Bündnisfall lange Zeit weniger intensiv geübt. Das änderte sich im Zuge des Konflikts in der Ukraine, der die Konfrontation der NATO mit Rußland verschärfte. Vor allem Polen sowie die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland fordern noch nachdrücklicher als in der Vergangenheit Aufrüstung und Abschreckung, was der NATO insgesamt in die Hände spielt, den Bündnisfall wieder auf die Tagesordnung zu setzen und die Einkreisung Rußland noch enger zu ziehen.

Als Rußland 2017 große Manöver an seiner Westgrenze abhielt, geschah dies unter heftigen Bezichtigungen aus westlichen Regierungskreisen, Moskau bedrohe die Nachbarstaaten und probe den Angriffskrieg. Daß die russische Militärführung "Wostok 18" östlich des Baikalsees abhielt, kann man ungeachtet der offensichtlichen Demonstration von Stärke als ein Signal möglicher Deeskalation an die Adresse der NATO werten. Das Mißtrauen zwischen Moskau und Peking dürfte damit noch längst nicht überwunden sein, doch ist Rußland auf die finanzielle Unterstützung Chinas angewiesen, um die Auswirkungen der westlichen Sanktionen abzumildern. Beide Mächte sehen sich von den USA und der NATO bedroht, weshalb sie ihre strategische Partnerschaft stärken und die Kooperation ihrer Streitkräfte bis hin zu einem drohenden Atomkrieg ausbauen.

Wenngleich der geostrategische Entwurf der westlichen Mächte, Rußland und China einzukesseln, um sich ihrer letztendlich zu bemächtigen, nie ein Geheimnis war, wird dies nun unverhohlen auf die Agenda der US-Politik und der NATO gesetzt. Das Bestreben Moskaus und Pekings, diesem Vormarsch in der Ukraine und in Syrien wie auch im südchinesischen Meer Grenzen zu setzen und Pufferzonen zu schaffen, macht deutlich, wie sehr die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation der Großmächte nähergerückt ist. In dieser Situation eskalierender Konflikte aufwendige und umfangreiche Militärmanöver durchzuführen, dient der konkreten Kriegsvorbereitung und stellt zugleich einen Abgleich der Machtverhältnisse mit dem Ziel dar, sich eine günstige Ausgangsposition für den Waffengang zu verschaffen. Der deutsche Marschtritt auf norwegischem Boden weckt in diesem Zusammenhang nicht nur düstere Erinnerungen an die Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg. Er zeugt zugleich von dem ungebrochenen Drang eines Eroberungszugs nach Osten, der den dritten und mutmaßlich finalen Weltkrieg der Menschheitsgeschichte heraufzubeschwören droht.


Fußnoten:

[1] www.wsws.org/de/articles/2018/09/03/russ-s03.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/338094.großmanöver-endlich-wieder-ostfront.html

[3] www.n-tv.de/politik/Nato-vergroessert-Riesen-Manoever-noch-einmal-article20662868.html

[4] www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_84594240/bundeswehr-bringt-schwere-kampfpanzer-nach-norwegen.html

11. Oktober 2018


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