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KRIEG/1746: Bundesrepublik Deutschland - Kriegsbeteiligung aber wie ... (SB)



Sicher, die Gefahren eines solchen Einsatzes wären beträchtlich: Schlimmstenfalls könnte Europa und damit die Bundeswehr in einen militärischen Konflikt mit Iran hineingezogen werden. (...) Trotzdem wäre es ein Fehler, wenn Deutschland sich ein weiteres Mal hinter der Kultur der militärischen Zurückhaltung verschanzen würde. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem ersten bewaffneten Einsatz der Bundeswehr kann Deutschland sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. (...) Worauf wartet Berlin noch? Wann, wenn nicht jetzt?
Christiane Hoffmann (Stellvertretende Chefredakteurin beim Spiegel) [1]

Wenn allerorts die Messer gewetzt werden, will auch Deutschland nicht zurückstehen, obgleich längst noch nicht ausgemacht ist, wer am Ende das Schlachtopfer abgeben muß. Als habe man aus zwei Weltkriegen nicht gelernt, daß auch der dritte und womöglich letzte zuallererst in Mitteleuropa ausgetragen würde, sofern der Griff nach dem Lebensraum im Osten nicht unwiderruflich auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wird, ist das bellizistische Kalkül abermals in aller Munde. Der Diskurs, um es einmal zeitgenössisch vernebelnd auszudrücken, kreist nicht etwa um die Frage, auf welche Weise der Krieg verhindert werden könnte, sondern vielmehr um die Erwägung, wann und mit wem man am günstigsten losschlagen sollte. Wer traut sich heute noch, dem Auslandseinsatz der Bundeswehr eine uneingeschränkte Absage zu erteilen? Daß der hiesige Lebensstandard am seidenen Faden ungehinderter Ausbeutung ferner Ressourcen und Menschenvernutzung hängt, was seine Unterfütterung mit Waffengewalt zum unangefochtenen Selbstgänger macht, wird in allen erdenklichen Nuancen verklausuliert, bis auch der letzte Einwand verstummt.

Was die sogenannte Weltlage beim Blick durch die deutsche Brille so ungemütlich macht, ist nicht etwa der Umstand, daß Menschen massenhaft verdursten und verhungern, verelenden und dahinsiechen, beim Fluchtversuch in der Wüste zugrunde gehen oder im Meer ertrinken. Als bedenkliche Schieflage wird vielmehr wahrgenommen, daß der Pakt der Räuber viel schneller brüchig und der Drang nach der letzten Schlacht viel früher auf die Tagesordnung gesetzt wurde, als es der Bundesrepublik gelungen ist, bestmöglich aufgestellt in vorderster Front zu marschieren. Noch vor wenigen Jahren schien für die deutschen Eliten aus Politik und Wirtschaft alles nach Plan zu laufen. Die von ihrer Schöpfung an zwiespältige Konfiguration der Bundesrepublik aus eigener Stärke und entlehnter Übermacht des westlichen Bündnisses beflügelte ihren Aufstieg zur europäischen Führungsnation. Dank gesteigerter Produktivkraft, des größten Niedriglohnsektors eines Industrielandes und einer Friedhofsruhe an der Arbeits- und Elendsfront war das Haus des Exportweltmeisters wohlbestellt, der die Hungerleiderstaaten innerhalb der EU niederkonkurrierte und zugleich das Projekt EU-europäischer Konsolidierung und Militarisierung vorantrieb.

Auch in globalen Dimensionen lag der strategische Langzeitplan längst in der Schublade: Einkreisung Rußlands und Chinas, deren letztendliche Unterwerfung, bis nur noch die USA und Europa übrigblieben, um sich die Beute zu teilen oder übereinander herzufallen. Zentrale Elemente dieses Entwurfs waren eine wohlabgewogene Schrittfolge und ein angemessenes Timing, wie es noch in den deutschen Strategiepapieren "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) und "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" (2016) ausformuliert wurde. Die USA würden sich Zug um Zug aus dem Nahen und Mittleren Osten zurückziehen, um sich auf den pazifischen Raum und China zu konzentrieren. Die entstehende Lücke an der auf Rußland abzielenden Front könnte eine entsprechend motivierte und aufgerüstete Bundesrepublik nahtlos füllen, die damit auch über Europa hinaus in eine Führungsrolle hineinwachsen würde.

Daß dieses ambitionierte Vorhaben unter wachsenden Unwuchten heftig ins Schlingern geraten ist, hängt insbesondere damit zusammen, daß die globale Verwertungskrise des Kapitals, der wachsende Mangel an Ressourcen und der einsetzende Klimawandel die vorherrschende Wirtschaftsweise sehr viel schneller und tiefgreifender erschüttern, als dies von den Planungsstäben deutscher Vorherrschaft in Rechnung gestellt wurde. Die Devise, die EU im Inneren auszubeuten, aber zugleich als Block zusammenzuschweißen, der nach außen hin im Konzert der Großmächte mitspielen kann, ist an seinen inneren Widersprüchen nahezu gescheitert. Zugleich erhöhen die USA nicht nur weltweit massiv den Druck, um ihren schwindenden Einfluß zu kompensieren und dem Erstarken Chinas zuvorzukommen, sondern setzen mit ihrer Forderung nach Umverteilung der Lasten auch die NATO einer Zerreißprobe aus.

Angesichts multipler Krisen, deren Bewältigung nur in internationaler Zusammenarbeit und unter grundlegender Umwälzung der Produktionsverhältnisse etwa in Gestalt eines ökosozialistischen Entwurfs zumindest denkbar erschiene, dröhnt der Marschtritt in die entgegengesetzte Richtung immer lauter durch die Welt. Nicht die Lösung der Krisen gilt als Ultima ratio, sondern aus ihnen als Sieger hervorzugehen. Daraus resultiert die Regression auf ausschließliche nationale Stärke, die man unter dem Dach der Bündnisse und dem Vorbehalt internationaler Abkommen nicht länger gesichert wähnt. Das ist fatal für das deutsche Großmachtstreben, das den vorerst noch benötigten Schirm der EU und der NATO bröckeln sieht, bevor die eigene Aufrüstung mit der hiesigen Wirtschaftsmacht gleichgezogen hat, die wiederum ohne entsprechende Waffengewalt ein Riese auf tönernen Füßen bliebe, wie der Handelskrieg mit den USA unterstreicht.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, die den deutschen Vormarsch auf leisen Sohlen und in begehbaren Etappen zu konterkarieren droht, gleicht die Frage möglicher Kriegsbeteiligung im persischen Golf einem Eiertanz zwischen Flucht nach vorn und gezügelter Aggression, um nur ja nicht als Bauernopfer vorzupreschen. Weder will man fehlen, wenn die Räuber die Beute teilen, noch sich zu weit aus dem Fenster hängen und in einem verlustreichen und kostspieligen Waffengang ausbluten. So gleicht denn die parteipolitische und mediale Scheinkontroverse einer Schmierenkommödie mit verteilten Rollen, in der Falken und Tauben auf ein und derselben Stange aufgeregt flatternd über den günstigsten Abflug streiten.

"Wann, wenn nicht jetzt?" hetzt wie eingangs zitiert der Spiegel, und F.A.Z.-Redakteur Rainer Hermann stellt unmißverständlich klar: "Amerika und Europa können die Golfregion aus eigenem Interesse nicht anderen Akteuren überlassen, weder einer anderen externen Macht, etwa Russland, noch weniger der Islamischen Republik Iran, denn eine Pax Iranica würde die heutige Ordnung einer Region gefährden, in der die Hälfte der bekannten Ölvorkommen liegen." Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, fordert Deutschland auf, "die Reservebank" zu verlassen" und sich an einer europäischen Schutzmission am Golf zu beteiligen: "Kaum ein Land hängt von der Freiheit der internationalen Schifffahrt so stark ab wie der Exportweltmeister Deutschland." Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen will Teheran eine Lektion erteilen: "Das Verhalten des Irans verlangt eine europäische Antwort." Der Iran habe die freie Schiffahrt angegriffen, die "Grundlage des freien Handels, des Exports und damit unseres Wohlstands". [2]

Angesichts der verworrenen Gemengelage im Westen herrscht allerdings Unklarheit darüber, an wessen Seite man den Iranern mit Kriegsschiffen drohen will. Wenngleich von einer europäischen Mission die Rede ist, sind vor allem die Führungsmächte Frankreich, Deutschland und Großbritannien mit im Boot, wobei die Briten unter ihrer neuen Regierung zu den Amerikanern umschwenken. Röttgen sieht darin kein Hindernis: "Die Gründe für eine eigene europäische Mission am Golf bleiben bestehen, auch wenn sich Großbritannien für eine Mission mit den USA entscheiden sollte." Außenminister Heiko Maas hat eine Forderung der US-Regierung um Unterstützung bei der Sicherung des Schiffsverkehrs durch die Meerenge von Hormus abgeschlagen. Die Bundesregierung halte die US-Strategie des "maximalen Drucks" auf den Iran für falsch, wünsche keine militärische Eskalation und setze weiterhin auf Diplomatie. Und der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, warnt vor der Gefahr, in einen militärischen Konflikt hineingezogen zu werden. "Jetzt ist nicht der Moment, über Militäreinsätze zu spekulieren - jetzt ist Diplomatie und Deeskalation gefordert."

Nimmt man die Sozialdemokraten beim Wort, ist von einer grundsätzlichen Ablehnung einer Kriegsdrohung keine Rede, man hält nur den Zeitpunkt einer Eskalation für ungünstig. Während die Große Koalition also nach außen hin ein disparates Bild abgibt, nutzen die Grünen mit einem aberwitzigen Spagat die Gunst der Stunde. So erklärt ihr außenpolitischer Sprecher Omid Nouripour, "eine besonnene Reaktion auf die iranische Provokation" sei notwendig, um eine iranisch-amerikanische Überreaktion zu verhindern. Angesichts der Spannungen in der Region könne ein Einsatz der Bundeswehr zur "Deeskalation beitragen". Und die europapolitische Sprecherin Franziska Brantner erklärt, daß ein Militäreinsatz mit deutscher Beteiligung unter dem Dach der EU stattfinden müßte. "Eine Koalition der Willigen unter de facto amerikanischer Führung wäre rechtlich und politisch schwierig, ihre deeskalierende Wirkung fraglich." [3]

Als hätten die Kriege in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien mit ihren katastrophalen Folgen für diese Länder und weit darüber hinaus nie stattgefunden, bringen die Grünen abermals ihr Konstrukt einer gerechtfertigten und notwendigen militärischen Intervention in Stellung: Wenn sie diesmal nicht Schutzverantwortung oder humanitäre Mission, sondern Deeskalation heißt, zeugt das nur vom opportunistischen Wortwitz dieser Partei, die keine Probleme damit hat, ihre Regierungsfähigkeit auch an der Front unter Beweis zu stellen. Als sie zusammen mit der SPD an der Regierung war, fand auf dem Balkan der erste Angriffskrieg der Bundeswehr statt, weil es laut Joseph Fischer einen Holocaust zu verhindern galt. Welchen Krieg wird die nächste Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen führen, wo diese jetzt schon deutsche Fregatten im persischen Golf als Mittel der Deeskalation einfordern?


Fußnoten:

[1] www.wsws.org/de/articles/2019/07/31/golf-j31.html

[2] www.tagesschau.de/inland/iran-hormus-militaeeinsatz-101.html

[3] www.heise.de/tp/features/Bundeswehreinsatz-im-Persischen-Golf-4483326.html

1. August 2019


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