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RAUB/002: Somalia - Bewaffnete Milizen stehlen Nahrungsmittelhilfe für die Hungeropfer (IPS)



IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2011

Somalia: Bewaffnete Milizen stehlen Nahrungsmittelhilfe für die Hungeropfer

Von Abdurrahman Warsameh

Hungeropfer berichten über Diebstahl der Hungerhilfe - Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Hungeropfer berichten über Diebstahl der Hungerhilfe
Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Mogadischu, 7. September (IPS) - In der somalischen Hauptstadt Mogadischu verhindern bewaffnete Milizen die Weitergabe der internationalen Nahrungsmittelhilfe an die Hungeropfer. Wie Betroffene gegenüber IPS berichteten, werden die Lieferungen auf den lokalen Märkten weiterverkauft und die Hungernden daran gehindert, die Auffanglager der Betrüger zu verlassen.

Seit ihrer Ankunft in einem Camp in Mogadischu haben der 69-jährige Mohamed Elmi und seine Familie nichts zu essen, da ihnen bewaffnete Aufseher jede Form der Nahrungsmittelhilfe verweigern. Der Diebstahl der Hilfe sei möglich, weil die Hilfsagenturen ihre Lieferungen nicht an die Hungernden selbst abgeben, meint Elmi. Zudem dürfe niemand das Lager verlassen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Nahrungsmittelhilfe nicht versiegt.

"Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir von den Lagerführern nicht versorgt werden. Und wir können noch nicht einmal weg von hier, um uns einen besseren Ort zu suchen", sagte der verzweifelte Familienvater, der aus Sicherheitsgründen den Namen des Auffanglagers nicht genannt sehen will.

Zehntausende hungernde Somalier, die vor der Dürre im Süden des Landes geflohen sind, erhalten nicht die für sie bestimmten Hilfsgüter. Bewaffnete Gruppen haben in der Hauptstadt Mogadischu illegale Auffanglager errichtet, um sich den Zugriff auf die internationalen Lieferungen zu sichern. Angenommen wird, dass die Güter auf den Lokalmärkten landen.


Inoffizielle Lager

Es gibt in der somalischen Hauptstadt Dutzende Camps, in denen tausende Familien leben. Nicht alle sind offizielle Auffanglager. Viele werden von den Milizen lokaler Clans geführt, die die Hungernden nach ihrer Ankunft in Mogadischu zu den Lagern führen, die sie für sie errichtet haben.

Mahad Iyo erreichte Mogadischu im August. Wie der 54-Jährige berichtet, wurden er und andere Vertriebene am Stadtrand von bewaffneten Gangs empfangen und in ein als Auffanglager umfunktioniertes ehemaliges Regierungsgebäude geführt. Dort hätten sich die Flüchtlinge aus Lumpen und Stöcken Zelte gebaut. "Diese Leute nutzen uns nur aus", sagt Iyo von den Männern, die ihm so bereitwillig ihre Hilfe angeboten hatten.

"Wir wurden nicht registriert. Ohne eine Erfassung der vielen Flüchtlinge lässt sich unsere Versorgung nicht sicherstellen ", beklagt er. Nahrungsmittel und andere Güter werden von den Hilfsagenturen angeliefert, doch von den Aufsehern schnell unter Verschluss genommen. Er würde am liebsten das Lager verlassen und zum Sterben in sein Heimatdorf im Süden Somalias zurückkehren.

Der ehemalige Clan-Milizenführer Mohamed Nur leitet eines der vielen illegalen Camps in Mogadischu. Er ist zu einer Stellungnahme gegenüber IPS bereit, allein schon "um die Sache richtig zu stellen", wie er betont. Er räumte ein, dass er keine Erfahrung im Bereich der Nothilfe vorweisen könne und dass er weder von der Regierung noch von den Hilfsorganisationen zur Betreuung der Flüchtlinge beauftragt wurde. Der Zustrom seiner vielen Landsmänner habe ihn veranlasst, "Verantwortung zu übernehmen".

"Wer sonst macht die Arbeit wenn nicht wir? Die Regierung ist korrupt und die Hilfsorganisationen kennen unsere Leute längst nicht so gut wie wir. Deshalb haben wir dieses Lager für 20.000 Menschen gebaut. Doch die Hilfsorganisationen liefern nie genug", sagt Nur, umringt von Männern mit Kalaschnikows, vor dem Lager, in dem höchstens 2.000 Menschen untergebracht sind.

Wie Nur unterstreicht, werden die Lagerinsassen nicht registriert, "weil ich und die anderen Freiwilligen keine Zeit für unnützen Papierkram haben". Auch wies er darauf hin, dass er von der Regierung und den Hilfsorganisationen nie aufgeordert wurde, irgendwelche Dokumente auszufüllen. Den Vorwurf des Diebstahls, den viele Insassen seines Lagers erhoben, wies er jedoch entschieden zurück.

Abdullahi Mohamed Shirwa leitet die staatliche Katastrophen-Management-Behörde, die die Nothilfe in Mogadischu koordiniert. Wie er versichert, nehme man den Vorwurf des Lebensmitteldiebstahls sehr ernst. Allerdings dürfe man davon ausgehen, dass es sich um bloße Einzelfälle handele.


Auszug aus Badbaado-Camp

Aus dem staatlich geführten Badbaado-Camp am Rande von Mogadischu findet bereits seit Wochen ein Exodus statt. Dort hatten am 5. August bewaffnete Männer - mutmaßliche Regierungssoldaten - versucht, die an Lagerinsassen verteilten Güter zu stehlen und dabei zehn Menschen getötet.

Einem humanitären Helfer zufolge ist von den einst 4.000 Familien, die hier untergekommen waren, nur noch die Hälfte übrig geblieben. "Die Menschen setzen sich ab, weil sie wissen, dass ihnen hier kein Recht widerfahren wird und sie weder Schutz noch Hilfe von der Regierung zu erwarten haben", sagte er. Die Regierung hat zwar das Blutbad im Badbaado-Lager verurteilt. Doch bisher wurde niemand für das Verbrechen zur Verantwortung gezogen.

Den Vereinten Nationen zufolge sind in diesem Jahr fast 100.000 Menschen vor dem Hunger aus dem Süden Somalias nach Mogadischu geflohen. Insgesamt brauchen rund 3,6 Millionen Somalier Hilfe. Wie die UN am 6. September bekannt gab, hat sich der Hunger bis in die Bay-Region im Süden Somalias ausgedehnt, wo 750.000 Menschen unmittelbar vom Hungertod bedroht sind. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2011