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INTERVENTION/006: Jemen - US-Drohnenangriffe möglich, CIA und Pentagon erhalten mehr Spielraum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. April 2012

Jemen: US-Drohnenangriffe möglich - CIA und Pentagon erhalten mehr Spielraum

von Jim Lobe



Washington, 27. April (IPS) - US-Präsident Barack Obama preist den Rückzug der Truppen seines Landes aus dem Irak und aus Afghanistan als Fortschritt an. Hinter den Kulissen baut seine Regierung jedoch offenbar die verdeckte militärische Präsenz in dem von Unruhen erschütterten Jemen aus. Geheimdienst und Verteidigungsministerium könnten schon bald größere Handhabe bei der Planung von Luftschlägen gegen Terrorverdächtige erlangen.

Washington zeigt sich besorgt über den Machtzuwachs von der 'Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel' (AQAP), vor allem im Süden Jemens. Seit dem vereitelten Bombenattentat eines von AQAP ausgebildeten Nigerianers auf ein Passagierflugzeug in Detroit im Dezember 2009 gilt die Gruppe als größere Gefahr für die USA als ihr pakistanisches Pendant.

Das 'Wall Street Journal' und andere große Zeitungen in den USA berichteten am 26. April unter Berufung auf hochrangige US-Beamte, dass die Regierung Einschränkungen gelockert habe, denen der Geheimdienst CIA und das Pentagon bisher bei der Durchführung von Drohnenangriffen auf Terrorverdächtige im Jemen unterlagen.


Bloßer Verdacht soll Angriff bereits rechtfertigen

Der CIA und das Gemeinsame Sondereinsatzkommando (JSOC) des Verteidigungsministeriums, die parallel zueinander Operationen in dem Land durchführen, können demnach künftig auch dann Verdächtige angreifen, wenn deren genaue Identität nicht bekannt ist. Den Berichten zufolge genügt es bereits, dass das Verhalten der Personen nahe legt, sie könnten entweder wichtige AQAP-Mitglieder oder an Anschlägen gegen Ziele beteiligt sein, die US-Interessen berühren.

Die Einschätzung der Gefahrenlage soll demnach auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen erfolgen, die etwa durch Informanten im Land, der Überwachung aus der Luft oder abgehörte Telefongespräche gewonnen werden.

Die neuen Richtlinien erscheinen als Kompromiss zwischen den Prinzipien derjenigen Regierungsvertreter, die Angriffe wie bisher nur dann genehmigen wollen, wenn die Verdächtigen eindeutig identifiziert sind und auf so genannten 'Todeslisten' auftauchen, und denen von CIA-Direktor David Petraeus. Der ehemalige General plädiert für eine weitere Lockerung der Regeln für Militäreinsätze.

Unter politischen Beobachtern wächst indes die Sorge, dass sich Washington immer tiefer in den Konflikt - oder gar eine Reihe von Konflikten - verstricken könnte, ohne deren wahren Hintergründe zu kennen. "Die Tendenz ist gefährlich. Die politischen Entscheidungsträger in den USA machen sich offensichtlich nicht klar, dass sie sich ohne Landkarte in raues Fahrwasser begeben", schreibt Gregory Johnsen, ein Jemen-Experte an der Princetown Universität, der das Blog 'Waq Al-Waq' betreibt.

"Im Jemen scheinen Drohnen- und Raketenangriffe eine umfassende Politik ersetzt zu haben", kritisiert er. "Seit Ende 2009 hat die Zahl der US-Angriffe in dem Land zugenommen. Als die Luftschläge häufiger wurden, hat AQAP mehr Kämpfer rekrutiert." Johnsen fragt sich, was die USA unternehmen würden, falls Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel trotz der Raketenangriffe weiter erstarkt. "Werden die USA ihre Bombardements verschärfen? Ziehen sie eine Invasion in Betracht?"

Andere Kritiker befürchten, dass massivere Drohneneinsätze im Jemen, wo der von den USA und Saudi-Arabien herbeigeführte Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh im Februar wenig zur Lösung der zahlreichen politischen und ethnischen Konflikte im Land beigetragen hat, die Öffentlichkeit weiter gegen die USA aufbringen könnten. Ähnliches sei bereits in Pakistan geschehen, argumentieren sie.

Wie der Website des 'Long War Journal' zu entnehmen ist, hat die CIA seit 2009 mehr als 250 Drohnenangriffe in Pakistan veranlasst. In vielen Fällen sollten damit nach Ansicht der Beobachter 'Zeichen' gesetzt werden. Es habe sich um Ziele gehandelt, hinter denen aktive Mitglieder der afghanischen oder pakistanischen Taliban vermutet worden seien. Nach den bisher geltenden Regelungen musste die CIA weder die genaue Identität der Verdächtigen noch die Bedeutung des Ziels kennen, wenn sie einen Luftschlag anordnete.


Petraeus fordert für CIA im Jemen einen ähnlich großen Spielraum wie in Pakistan

Wie aus bereits veröffentlichten Berichten hervorgeht, hat Petraeus wiederholt ähnliche Regeln für die CIA im Jemen gefordert. Der US-Geheimdienst arbeitet dort eng mit JSOC zusammen. Der Ex-General habe seinen Druck verstärkt, da sich militante Islamisten und Stammesmilizen mit AQAP verbündet hätten. Nach Erkenntnissen von US-Beamten hat das Netzwerk dort den Namen 'Ansar al-Sharia' angenommen und in den letzten Monaten von Salehs Herrschaft und unmittelbar nach Einsetzung seines Nachfolgers Abdu Rabu Mansour Hadi seine Kontrolle über mehrere südliche Provinzen des Landes ausgeweitet.

Petraeus Forderungen blieben offenbar zunächst unbeachtet. Obama soll Anfang April aber neue Regelungen gebilligt haben, die CIA und Pentagon dazu befugen, bei Angriffen unbekannte Individuen und Gruppen ins Visier zu nehmen, sofern ihre 'Lebensmuster' Verdacht erregten.

Offizielle US-Vertreter rechtfertigen die neuen Regeln damit, dass CIA und JSOC in den vergangenen Monaten genauere Geheiminformationen hätten sammeln können. Da Washington nicht als Unterstützer des unpopulären Saleh-Regimes dastehen wollte, hätten die USA ihre Präsenz in dem Land reduziert und das meiste Militärpersonal abgezogen, hieß es. Dies habe die geheimdienstliche Arbeit zunächst erschwert.

Durch bessere Informationen könnte nach Ansicht der Beamten nun das Risiko verringert werden, durch die Drohnen- oder Raketenangriffe Zivilisten zu treffen. Die neuen Regelungen würden außerdem der Hadi-Regierung dabei helfen, die südlichen Provinzen Abyan, Shabwa und Bayda unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die Militärschläge sind in den letzten Monaten immer häufiger erfolgt. Mindestens drei mutmaßlich mit AQAP verbundene Personen wurden offenbar kürzlich bei einem Drohnenangriff in der südjemenitischen Stadt Mudiyah getötet. Bei zwei weiteren Attacken wurden laut 'Long War' im Norden des Landes das hochrangige Al-Kaida-Mitglied Mohammed Said al-Umdah und in der Provinz Shabwa mindestens drei weitere Verdächtige getötet.


Auch verdächtige US-Staatsbürger bei Angriffen getötet

Auf der Website ist von mindestens 13 Luft- und Raketenschlägen der USA seit dem 1. März dieses Jahres die Rede. Im gleichen Zeitraum 2011 waren hingegen nur zehn Angriffe verzeichnet worden. Für Kontroversen sorgte vor allem der Tod von Anwar al-Awlaki, einem jemenitisch-amerikanischen Imam, dessen im Internet verbreitete Predigten im Namen von Al Kaida dem Terrornetzwerk zahlreiche neue Anhänger aus der englischsprachigen Welt zugeführt haben sollen. Awlaki stand bei der Regierung in Washington außerdem in Verdacht, eine führende Rolle bei Terroroperationen gegen die USA gespielt zu haben. Neben Awlaki wurde bei dem Angriff ein weiterer US-Bürger, Samir Khan, getötet, der nicht auf der 'Todesliste' der CIA stand.

Washington hatte gehofft, dass Awlakis Tod einen Rückschlag für die Rekrutierungskampagnen von AQAP mit sich bringen würde. Jemen-Kenner sind jedoch der Meinung, dass Awlakis Stellung innerhalb der Gruppe überschätzt worden sei. Johnsen schrieb dazu in seinem Blog, dass die Bedrohung für die USA seit seinem Tod sogar noch zugenommen habe. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://bigthink.com/blogs/waq-al-waq
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107589

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2012