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KOLLATERAL/014: Afghanistan - Minenfeld für Zivilisten, Räumungsarbeiten bis 2023 (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2013

Afghanistan: Minenfeld für Zivilisten - Räumungsarbeiten bis 2023

von Esmatullah Mayar*


Bild: © Najibullah Musafer/Killid/IPS

In einem Zentrum für Prothesen in Kabul
Bild: © Najibullah Musafer/Killid/IPS

Kabul, 7. März (IPS) - In Afghanistan kommen die Minenräumungsarbeiten gefährlich langsam voran. Nach offiziellen Angaben töten oder verstümmeln die tödlichen Sprengfallen Monat für Monat durchschnittlich 45 Zivilisten. Die Frist, das Land bis Ende des Jahres minenfrei zu machen, lässt sich offenbar nicht einhalten und wurde um weitere zehn Jahre verlängert.

Seit 1997 setzt sich die Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen für eine minen- und streubombenfreie Welt ein. Sie ist in 90 Ländern aktiv. Afghanistan, das das Ottawa-Übereinkommen der Vereinten Nationen für ein Verbot von Anti-Personenminen unterzeichnet hat, gehört dazu.

Das zentralasiatische Land ist mit den Tod bringenden Sprengsätzen förmlich übersät. Die Räumungsaktivitäten laufen bereits seit 1979. Sie sind sehr zeitaufwändig, was erklärt, dass noch immer rund 30 Millionen Afghanen in minenverseuchten Gebieten leben.

Ghulam Siddiq aus dem Bezirk Khogiani in der Provinz Nangarhar, 200 Kilometer östlich von Kabul, ist ins Prothesenzentrum des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in der Hauptstadt Kabul gekommen, um sich ein künstliches Bein anpassen zu lassen. "Ich hatte Gras im Gebirge geschnitten, als es plötzlich zu einer Explosion kam", berichtet er. Ab da hatte er ein Blackout und kam erst wieder im Krankenhaus zu sich.

"Mein Bein war unterhalb des Knies amputiert. Das war ein schwerer Schlag für mich", berichtet Siddiq. Zunächst habe er mit Gott gehadert, dass er ihm nicht nur ein Leben in Armut, sondern auch noch mit einer schweren Behinderung aufgebürdet habe. "Doch dann fand ich mich ab und akzeptierte den Unfall als Willen Gottes."


Anpassung von Prothesen in sechs Städten

Baz Mohammad wohnt im Kabuler Stadtteil Shakardara. Auch er hat sich in dem IKRK-Zentrum eingefunden, wo er zwei neue künstliche Beine bekommen wird. Das IKRK unterhält nicht nur in Kabul, sondern auch in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif, Gulbahar, Faizabad und Jalalabad Zentren zur Anpassung von Prothesen. "Ich bin auf eine Mine getreten, als ich einen Laster mit Weizen belud. Ich habe nichts gespürt."

Dass die Minenräumungsarbeiten nur langsam vorankommen, stellt die Geduld der Bevölkerung auf eine harte Probe. Viele Menschen sind erbost. Andere beschweren sich darüber, dass die Entschärfungskommandos in Regionen unterwegs sind, in denen es angeblich gar keine Minen gibt.

Mohammad Dayem Kakar, Chef der der Nationalen Behörde für Katastrophenmanagement (ANDMA), hatte auf einem Treffen in Herat im letzten Dezember kurz vor Beginn von Minenräumungsoperationen in den Herat-Provinz-Bezirken Karokh, Obi und Chesht Sahrif berichtet, dass dort auf einer Gesamtfläche von 600 Quadratkilometern Minen geräumt werden müssten.

Dem Beamten zufolge waren vor drei Jahren jeden Monat rund 3.000 Afghanen von Minen und nicht explodierten Tretfallen getötet oder verletzt worden. Inzwischen sei die Zahl auf monatlich 45 zurückgegangen.

Kakar brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Gebiete in Herat bis spätestens 2018 und das ganze Land bis 2023 Kakar minenfrei sein werden, und würdigte das Engagement der Minenräumorganisationen. "Die Minen sind für alle Menschen eine Gefahr. Unsere Pflicht ist es, die verseuchten Gebiete zu identifizieren und von den Kriegsaltlasten zu säubern."

Einen Teil der Minen hatte das kommunistische Regime von Mohammad Najibullah (1987-1992) während der Kämpfe gegen die von den USA unterstützten Mujaheddin-Gruppen ausgelegt. Weitere Sprengfallen wurden während des Krieges zwischen der Taliban-Regierung und der von Ahmad Shah Massoud geführten Nordallianz in Wohngebieten und Feldern vergraben. Afghanistan gehört zu den am stärksten verminten Ländern der Welt.

Laut Farid Humayun, Chef von der Charity-Organisation 'The HALO Trust' mit Sitz in London, konnten in den letzten fünf Jahren über eine Fläche von 54 Quadratkilometern drei Bezirke mit der Unterstützung von Hilfsorganisationen entmint werden. Weitere zwölf Herat-Bezirke einschließlich Ghorian, Kuhsan, Shindand und Adraskan sollen ebenfalls geräumt werden. HALO ist die älteste und größte Organisation zur Beseitigung von Minen.

Derzeit sind 200 Minenräumteams der Organisation in Herat und in neun Provinzen in den nördlichen und zentralen Gebieten Afghanistans unterwegs. Zwischen 1988 und Mai 2010 vernichteten die HALO-Experten mehr als 736.000 Minen, zehn Millionen Einheiten großkalibriger Munition und 45,6 Millionen Kugeln.


Gefahr durch improvisierte Bomben

Auf dem Dezember-Treffen in Herat erklärte Humayun, dass seine Teams jedoch von den improvisierten Bomben, die bewaffnete Gegner der Regierung des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai an Straßenrändern ausgelegt hätten, die Finger ließen. Die Vereinten Nationen machen diese Sprengfallen für 30 Prozent der Minenunfälle in der zweiten Hälfte des letzten Jahres verantwortlich. 967 Zivilisten wurden getötet, 1.590 verletzt.

Shahab Hakimi vom Minensuchzentrum MDC, das Hunde für diese gefährliche Arbeit abrichtet, hat die Geber zur Fortsetzung ihrer Unterstützung bei der Räumung der Minen aufgefordert. UN-Minenexperten zufolge wird Afghanistan die neue Frist zur Räumung der Minen bis 2023 einhalten können. (Ende/IPS/kb/2013)

* Esmatullah Mayar schreibt für Killid. Die unabhängige afghanische Mediengruppe ist IPS-Kooperationspartner.


Links:

http://andma.gov.af/
http://www.icbl.org/intro.php
http://www.halotrust.org/
http://www.ipsnews.net/2013/03/afghanistan-a-minefield-for-the-innocent/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2013