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OFFENER BRIEF/010: Zeichen setzen - Guantanamo-Häftlinge aufnehmen (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. - Köln, den 4. September 2009

Ein Hoffnungszeichen für Demokratie und Menschenrechte setzen - Guantánamo-Häftlinge aufnehmen


In einem offenen Brief an die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages (s. Anlage) plädiert das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die schweren, bleibenden Menschenrechtsverletzungen, die mit dem weltweiten "Krieg gegen den Terrorismus" einhergegangen sind (und noch gehen), durch einen humanitären Akt zumindest symbolisch verbindlich wieder gutzumachen, indem der US-Administration endlich angeboten werde, mindestens 12 der nicht weiter inkriminierten Guantánamo-Insassen aufzunehmen.

Die Bundesrepublik Deutschland habe, so eine Argumentation des Briefes, durch ihre Beteiligung am "Krieg gegen den Terrorismus" - wissentlich oder unwissentlich - den begleitenden Aufbau eines Archipels rechtsfreier Geheimgefängnisse und den staatlich-privat betriebenen Folterkomplex mit gefördert.

Es sei nun Chance, Pflicht und Schuldigkeit der Bundesrepublik Deutschland ein weltweites Hoffnungszeichen wider den mit Menschenrechten und Demokratie unvereinbaren globalen Antiterrorkrieg zu setzen und einige der gefolterten und geschundenen Gefangenen aus Guantánamo aufzunehmen und ihnen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.


*


Berlin und Köln,
Anfang September 2009

Offener Brief

An alle für das politische Handeln der Bundesrepublik Deutschland mitverantwortlichen Personen
Die Bundeskanzlerin und die Mitglieder des Kabinetts
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages und ihre Mitglieder
Die Vorsitzenden der im September zur Wahl stehenden Parteien und deren Vertreterinnen
und Vertreter in den Ländern und im Bund

Sehr geehrte Frau Repräsentantin, sehr geehrter Herr Repräsentant,
die Sie Politik als Beruf - verantwortlich der Deutschen Bevölkerung - betreiben

Der 11. September 2001 markiert einen weltweiten Katarakt. Ein in seiner Ausführung und seinem Ausmaß unerhörter terroristischer Akt nötigte dazu, weltweit zu reagieren. Die Form der Reaktion, wie sie führend die USA und ihr verbündete Länder wählten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, war von Anfang an fragwürdig. Sie widersprach allen Absichten humaner Politik. Sie stand konträr zu der alle Menschen in ihren Unterschieden verbindenden Hoffnung, Äußerungen kollektiver Gewalt zu vermeiden und ihre sozialen Ursachen zu beheben - eine Erwartung, die erstmals in der Allgemeinen Charta der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 ausgedrückt wurde. Der Krieg gegen den Terrorismus, der dem 11. September unvermittelt folgte, zuerst gegen das als Nest des Terrorismus ausgemachte Al Kaida-Netzwerk und das mit ihm verbündete Taliban-Regime in Afghanistan, übernahm im Sinne staatensystematischer Kriegsführung die Form der pauschalen Gewalt des Feindes - ohne Einsicht in die Ursachen und die Möglichkeiten, diese zu bekämpfen. Eine Folge davon ist der seit über acht Jahren währende Krieg. Dieser ist nicht nur ungeeignet, "den" Terrorismus zu besiegen. Er hat vielmehr die von den USA und den beteiligten westlichen Mächten, darunter die Bundesrepublik, auch in Afghanistan propagierten politisch moralischen Normen der Menschenrechte und der Demokratie innenpolitisch wie international teilweise bis zur Unkenntlichkeit verwässern lassen.

Ein Effekt der antiterroristisch umfassenden Kriegsgewalt gegen die mobile und flexible, Menschenkosten nicht scheuende terroristische Gewalt trägt den Namen des kubanischen Orts Guantánamo. Dorthin verbrachte die Bush-Administration in den ersten Jahren des Kriegs mehrere hundert Personen, zur Zeit sind vermutlich immer noch 229 dort gefangen. Der US-Stützpunkt wurde zu einem Ort, der erklärtermaßen von jeglichen rechtlichen Regeln ausgenommen sein sollte. Die dorthin Verschleppten wurden und werden als "Terroristen" oder deren Helfershelfer verdächtigt. Über die - im erzwungenen Paradox gesprochen - außerrechtlichen Rechtsgründe für ihre Gefangenschaft, die vagen Haftgründe, die rechtsstaatlichen Minima widerstrebenden Haftbedingungen, die Verhörmethoden mit Mitteln der Folterung und Ähnliches mehr bedürfen Sie, werte Repräsentantinnen und Repräsentanten, keiner weiteren Auskünfte. Seit Jahren ist aller Geheimhaltung der USA und mehr oder minder beteiligter Regierungen zum Trotz so viel an den Tag gekommen, dass die vom Folterschweiß der Misshandelten gezeichneten Menschenrechtsnächte auf Guantánamo die Wahrheit antiterroristischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht mehr verstellen dürften (Beleg: Bericht des Internationalen Roten Kreuz). Seit Jahren wird auch von menschenrechtlichen Gruppen, Richtern und Anwälten die spätabsolutistische Willkür eines Verständnisses der Staatsräson jenseits des Rechts gerügt. Gerichtsurteile in den USA erreichten partielle Korrekturen. Die viel versprechende Obama-Administration hat darum schon vor ihrer Wahl verheißen, das Lager zu schließen. Sie begegnet dabei vielen Schwierigkeiten nicht nur im eigenen Land. Auch die befreundeten Staaten der "westlichen Welt" sind offenbar nicht bereit, den 229 Gefangenen mit Folterzeichen auch nur ein widersprüchliches Gefängnisasyl zu gewähren. Das gilt selbst für die etwa Fünfzig unter ihnen, die selbst die CIA als nicht gefährlich einstuft, die also schleunigst entlassen werden müssten, wenn die Antifolterkonvention wertvoller wäre als das Papier, auf dem sie gedruckt wurde.

Das ist unseres Erachtens die Chance, die Pflicht und die Schuldigkeit der Bundesrepublik. Sie ist in der kriegerischen Armada unter aniterroristischen Zeichen mitgefahren. Sie hat ungewollt und gewollt Handlungen der Bush-Administration in einzelnen Fällen befördert oder billigend in Kauf genommen, selbst dort, wo sie dies öffentlich verneint hat (vgl. BND-Ausschuss). Nun besteht die Chance, eine bleibende Scharte der Menschenrechte wenigstens in verbindlicher Symbolik auszuwetzen. Das wahre Pathos der Menschenrechte gilt zuerst den verletzten, den erniedrigten, den gepeinigten einzelnen Menschen. Indem die Bundesregierung der Obama-Administration anböte, wenigstens zwölf der nicht weiter zu inkriminierenden Häftlinge an bundesdeutschen Orten kurz unterzubringen, um sie nach abgesprochenem offenen Verfahren entweder in der Bundesrepublik selbst oder in die von ihnen gewählten Länder frei zu lassen, öffnete sie der Freiheit eine mehrbahnige Gasse. Eine Gasse für zwölf beleidigte Menschen als weltweites Hoffnungszeichen eines spät eingestandenen, aber dennoch kommenden Zeichens von Herrschaftsirrtum. Eine Gasse heraus aus der hasenhaften Angst machtvoller Staaten, deren Politiker Sühneaktionen der so lange monolithisch als "Das Böse" verdunkelten Gruppen fürchten, denen die Inhaftierten, nun endlich Freigesetzten, angehört haben mögen. Diese hasenhafte Angst dürfte noch mehr den eigenen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber bestehen, deren Sicherheitsängste in undemokratischem Antiterrorismus aufgepumpt worden sind. Ein Gässchen schließlich würde geöffnet für eine internationale Politik, die politisches Lernen zuließe.

Die Pflicht der politisch Führenden der Bundesrepublik so zu handeln, ergibt sich nicht nur aus der Selbstverpflichtung des Grundgesetzes und der in seinen ersten 19 Artikeln enthaltenen Grundrechte, sondern auch aus der Vorgeschichte der Bundesrepublik, von der im 60. Jahr der Gründung so oft die Rede war. Die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft werden verkannt und missachtet, wenn sie nur als dunkel erinnerter Hintergrund lichter Gegenwart dienen. So unvermeidlich ungenügend die Aufnahme von einigen Guantánamo-Gefangenen ist, wäre sie doch ein Zeichen nicht vergeblicher politischer Moral: Zuweilen gibt es Handlungserfordernisse, die sich dem scheinbar aktuellem Interesse entgegenstellen. Weil's human erforderlich ist. Schlicht darum. Die Bundesrepublik wäre außerdem nie zu dem geworden, was sie heute ist, recht und schlecht, wenn sie nicht im weltpolitischen Schoß der USA selig geschlummert hätte und ernährt worden wäre. Dankbarkeit, wenn sie menschenrechtlich vorwärts weist, ist dann ein erstes Gebot.

Wenn politisch internationale Chance, wenn Pflicht und die darin schlummernde Schuldigkeit so ineinander rinnen und ein bestes Syndrom bilden - dann gilt nur noch eins:

Nehmen Sie, geehrte Damen und Herren, die Sie die Vergegenwärtigung - Repräsentation - von Menschenrechten und Demokratie zu Ihrer beschworenen Berufsaufgabe gemacht haben, all Ihren politisch demokratischen Mut zusammen und all Ihren Schmerz im Wissen um die Vergangenheit und gegenwärtige Versäumnisse und bieten Sie der Obama- Administration noch vor den Wahlen zum Bundestag an, ein "Risiko" für die Menschenrechte einzugehen und wenigstens zwölf falsch Inhaftierte umgehend bundesdeutsch verortet leben zu lassen.

In dann ausgezeichneter Hochachtung

gez. Prof. Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie)


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Quelle:
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221/972 69-20
Telefax: 0221/972 69-31
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009