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STANDPUNKT/363: Mit einem Wort - Puff! (Uri Avnery)


Mit einem Wort - Puff!

von Uri Avnery, 12. April 2014



ARMER JOHN Kerry! Diese Woche gab er einen Laut von sich, der ausdrucksvoller war als Seiten voll diplomatischen Geschwätzes.

In seinem Bericht vor dem Senatskomitee für ausländische Beziehungen erklärte er, wie die Aktionen der israelischen Regierung den "Friedens-Prozess" torpediert hatten. Sie brachen ihr Versprechen, palästinensische Gefangene zu entlassen und gleichzeitig verkündeten sie die Vergrößerung von mehr Siedlungen in Ost-Jerusalem. Die Friedensbemühungen machten "Puff".

"Puff" ist das Geräusch, wenn einem Ballon die Luft entweicht. Es ist ein guter Ausdruck, weil der "Friedensprozess" von Anfang an ein Ballon voll heißer Luft war. Eine Übung im Vorgaukeln.


JOHN KERRY kann nicht die Schuld gegeben werden. Er nahm die ganze Sache sehr ernst. Er ist ein ernsthafter Politiker, der sich sehr, sehr große Mühe gab, zwischen Israel und Palästina Frieden zu stiften. Wir sollten dankbar sein.

Das Problem ist, dass Kerry nicht die leiseste Ahnung hatte, in was er sich da eingelassen hat.

Der gesamte "Friedensprozess" dreht sich um grundsätzliche irrige Annahmen. Einige würden es grundsätzliche Lügen nennen.

Nämlich, dass wir hier zwei Seiten eines Konfliktes haben. Eines ernsten Konfliktes. Eines alten Konfliktes. Aber ein Konflikt, der gelöst werden könne, wenn sich auf beiden Seiten vernünftige Leute zusammensetzen und es ausdiskutieren würden, von einem wohlwollenden und unparteiischen Schiedsrichter geleitet.

Nicht ein Detail dieser Voraussetzungen war gegeben. Der Schiedsrichter war nicht unparteiisch. Die Führer waren nicht vernünftig und am bedeutendsten: Die Seiten waren nicht ebenbürtig.

Die Machtbalance zwischen beiden Seiten ist nicht 1:1, nicht einmal 1:2 oder 1:10. In jeder materiellen Hinsicht - militärisch, diplomatisch, wirtschaftlich - ist es eher wie eins zu tausend.

Es gibt keine Ebenbürtigkeit zwischen Besatzer und Besetzten, zwischen Unterdrücker und Unterdrückten. Ein Kerkermeister und ein Gefangener können nicht "verhandeln". Wenn die eine Seite das totale Kommando über den anderen hat, jede ihrer Bewegungen kontrolliert, auf ihrem Land siedelt, ihre Geldbewegung kontrolliert, willkürlich ihre Leute verhaftet, ihren Zugang zur UN und dem Internationalen Gerichtshof blockiert - dann ist von Ebenbürtigkeit keine Rede mehr.

Wenn beide Verhandlungsseiten so extrem ungleich sind, kann die Situation nur durch einen Vermittler behoben werden, der die schwache Seite unterstützt. Es ist aber genau das Gegenteil geschehen: der Amerikaner unterstützte Israel, massiv und großzügig.

Während der "Verhandlungen" tat die USA nichts, um die Siedlungsaktivitäten zu verhindern, die dazu noch mehr israelische Fakten vor Ort schufen - der Grund und Boden, über dessen Zukunft gerade die Verhandlungen liefen.


EINE GRUNDVORAUSSETZUNG für erfolgreiche Verhandlungen ist, dass alle drei Seiten wenigstens ein Grundverständnis nicht nur für die Interessen und Forderungen der anderen Seite haben, sondern darüber hinaus vor allem Verständnis für die geistige Welt, die emotionale Lage und das Selbstbild der anderen. Ohne dies sind alle Schritte unerklärlich und sehen irrational aus.

Boutrous Boutrous Ghali, einer der intelligentesten Leute, denen ich je in meinem Leben begegnet bin, sagte mir einmal: "Ihr habt in Israel die intelligentesten Experten der arabischen Welt. Sie haben alle Bücher gelesen, alle Artikel, jedes einzelne Wort, das darüber geschrieben wurde. Sie wissen alles und verstehen nichts, weil sie nie einen Tag in einem arabischen Land gelebt haben."

Dasselbe trifft auch auf die amerikanischen Experten zu, nur noch viel mehr. In Washington DC atmet man die dünne Luft eines Himalaja-Gipfels. In den grandiosen Palästen der Regierung, in denen das Schicksal der Welt entschieden wird, da sehen fremde Völker klein, primitiv und weithin irrelevant aus. Hier und da sind einige wirkliche Experten versteckt, aber keiner fragt sie tatsächlich um Rat.

Der durchschnittliche amerikanische Staatsmann hat nicht die leiseste Ahnung von arabischer Geschichte, ihrem Weltbild, ihren Religionen, Mythen oder Traumata, die die arabische Einstellung gestaltet, ganz zu schweigen vom palästinensischen Kampf. Er hat keine Geduld für diesen primitiven Unsinn.


ANSCHEINEND IST das amerikanische Verständnis für Israel viel besser. Aber nicht wirklich.

Die durchschnittlichen amerikanischen Politiker und Diplomaten wissen eine Menge über Juden. Viele von ihnen sind Juden. Kerry selbst scheint teilweise jüdisch zu sein. Sein Friedensteam schließt viele Juden ein, sogar Zionisten, einschließlich des aktuellen Verhandlungsmanagers Martin Indyk, der in der Vergangenheit für AIPAK arbeitete. Selbst sein Name ist jiddisch (und bedeutet Truthahn).

Die Vermutung ist, dass sich Israelis von amerikanischen Juden nicht sehr unterscheiden. Aber das ist völlig falsch. Die israelische Regierung mag behaupten, der "Nationalstaat des jüdischen Volkes" zu sein, aber dies ist nur ein Instrument, um die jüdische Diaspora auszunützen und Hindernisse für den "Friedensprozess" zu schaffen. In der Realität gibt es wenig Ähnlichkeit zwischen Israelis und der jüdischen Diaspora, nicht viel mehr als zwischen einem Deutschen und einem Japaner.

Martin Indyk mag eine gewisse Affinität zu Zipi Livni empfinden, der Tochter eines Irgun-Kämpfers (oder Terroristen nach britischer Redeweise), aber das ist eine Illusion. Die Mythen und Traumata, die Zipi formten, sind ganz anders als die, die Martin formten, der in Australien aufgewachsen ist.

Falls Barack Obama und Kerry mehr wüssten, wäre ihnen von Anfang an klar, dass bei der gegenwärtigen politischen Stimmung in Israel jede Räumung der Siedlungen, jeder Rückzug aus der Westbank und ein Kompromiss über Jerusalem so gut wie unmöglich ist.



ALL DIES gilt auch für die palästinensische Seite.

Die Palästinenser sind davon überzeugt, dass sie Israel verstehen. Schließlich sind sie Jahrzehnte lang unter israelischer Besatzung gewesen. Viele von ihnen haben Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht und perfekt Hebräisch sprechen gelernt. Aber sie haben im Umgang mit Israelis viele Fehler gemacht.

Der letzte Fehler war, daran zu glauben, dass Israel den vierten Trupp von Gefangenen entlassen würde. Dies war fast unmöglich. Alle israelischen Medien, einschließlich der moderaten, sprechen über die Entlassung von "palästinensischen Mördern", nicht von palästinensischen Aktivisten oder Kämpfern. Die Parteien vom rechten Flügel standen im Wettkampf miteinander und mit rechten "Terroropfern", indem sie diese Untat denunzierten.

Die Israelis verstehen nicht, dass durch die Nicht-Entlassung der Gefangenen - der nationalen Helden des palästinensischen Volkes - tiefe Emotionen hervorgerufen wurden, schließlich hat Israel in der Vergangenheit eintausend palästinensische Gefangene für einen einzigen Israeli ausgetauscht und dabei das religiöse jüdische Gebot des "Freikaufs von Gefangenen" zitiert.

Man sagt, Israel verkaufe ein "Zugeständnis" dreimal: einmal, wenn es versprochen wird, dann, wenn ein offizielles Abkommen darüber unterzeichnet wird, und beim dritten Mal, wenn es tatsächlich erfüllt wird. Dies geschah, als gemäß den Oslo-Vereinbarungen der dritte Rückzug von der Westbank hätte umgesetzt werden sollen, was nie erfolgte.

Die Palästinenser wissen nichts über jüdische Geschichte, wie sie in israelischen Schulbüchern gelehrt wird, sehr wenig über den Holocaust, noch weniger über den Zionismus.


DIE LETZTEN VERHANDLUNGEN begannen als "Friedensgespräche", fuhren als "Rahmengespräche" für weitere Verhandlungen fort, jetzt sind die Gespräche zu Reden über die Reden über die Reden degeneriert.

Keiner will die Farce abbrechen, weil alle drei Seiten sich vor der Alternative fürchten.

Die amerikanische Seite fürchtet sich vor einem allgemeinen Angriff des zionistisch-evangelikal-republikanisch-adelson'schen Bulldozers auf die Obama-Regierung bei den nächsten Wahlen. Das Außenministerium versucht schon verzweifelt, sich von Kerrys "Puff" zurückzuziehen. Er habe nicht gemeint, dass nur Israel Schuld sei, sondern dass ein Fehler auf beiden Seiten liege. Der Kerkermeister und der Gefangene sind gleichermaßen zu tadeln.

Wie gewöhnlich hat die israelische Regierung viele Ängste. Sie fürchtet den Ausbruch einer dritten Intifada, verbunden mit einer weltweiten Kampagne der Delegitimierung und einem Boykott Israels, besonders in Europa.

Es fürchtet auch, dass die UN, die z.Zt. Palästina nur als ein Nicht-Mitglied-Staat anerkennt, weitergehen wird und Palästina immer mehr fördert.

Die palästinensische Führung fürchtet auch eine dritte Intifada, die zu einem blutigen Aufstand führen kann. Obwohl alle Palästinenser von einer "gewaltfreien Intifada" sprechen, glauben nur wenige wirklich daran. Sie erinnern sich daran, dass die letzte Intifada auch gewaltlos begann, aber die israelische Armee Scharfschützen einsetzte, die die Anführer der Demonstrationen erschossen, was eine Zunahme der Selbstmordattentate unvermeidlich machte.

Präsident Mahmoud Abbas (Abu-Mazen) hat auf die Nicht-Entlassung der Gefangenen dadurch reagiert, dass er im Namen Palästinas 25 Dokumente unterzeichnete, um sich internationalen Konventionen anzuschließen.

Praktisch bedeutet der Akt wenig. Eine der Unterschriften bedeutet, dass Palästina sich der Genfer Konvention anschließt. Eine andere betrifft den Schutz der Kinder. Sollten wir uns nicht darüber freuen? Aber die israelische Regierung fürchtet, dass dies ein Schritt weiter in Richtung Aufnahme Palästinas als Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs sei, und damit vielleicht eine Anklage von Israelis wegen Kriegsverbrechen möglich werde.

Abbas plant auch Schritte zu einer Versöhnung mit der Hamas und der Durchführung von palästinensischen Wahlen, um seine Heimatfront zu stärken.


WENN MAN nun der arme John Kerry wäre, was würde man zu all dem sagen?

"Puff" scheint das Minimum zu sein.


Copyright 2014 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 12.04.2014
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2014