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STANDPUNKT/625: "Willkommen Mr. Chance" (Uri Avnery)


Dort sein

von Uri Avnery, 21. Januar 2017


VIELLEICHT LÜGT er die ganze Zeit.

Vielleicht lügt er, wenn er sagt, er sei ein Lügner.

Vielleicht betrügt er, wenn er sich als Betrüger ausgibt.

Vielleicht führt er uns alle in die Irre, wenn er so tut, als würde er uns alle in die Irre führen.

Vielleicht ist er nur ein sehr schlauer Manipulator, der uns alle glauben lässt, er sei ein größenwahnsinniger Einfaltspinsel.

Nun, heute ist Präsident Donald Trumps erster Arbeitstag.


PRÄSIDENT DONALD TRUMP - an diese drei Wörter müssen wir uns gewöhnen.

Das einzige, was mit einiger Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass nichts sicher ist. Dass über diesen Mann nichts vorausgesagt werden kann. Dass wir vier Jahre lang in Unsicherheit leben werden, dass wir jeden Morgen aufwachen und uns fragen werden, was er heute anstellen wird.

Er wird der Unterhaltungs-Präsident sein, wie er der Unterhaltungs-Kandidat war. Ich muss gestehen, dass ich jeden Morgen, wenn ich die Tageszeitung zur Hand nahm, zuerst nachsah, was es Neues über Trump gab. Was hat er getan? Was hat er gesagt? Egal was es war, es war immer ein Amüsement.

Die Frage ist: wollen wir wirklich, dass der mächtigste Mann der Welt ein Unterhalter ist? Oder ein anmaßender Egomane? Oder ein vollkommen egozentrischer Narzist? Ein Mann, der nichts weiß und glaubt, dass er alle Probleme lösen kann?

Dies ist eine gefährliche Welt. Ab heute wird sie noch viel gefährlicher sein.


DENKEN WIR einen Augenblick lang über den Roten Knopf nach.

Es gibt rund um die Welt mehrere Rote Knöpfe und mehrere Finger von Führern (unseren eingeschlossen), die ständig darüber schweben. Wenn ich an Trumps Finger denke, werde ich nervös.

Einige der schrecklichsten Kriege in der Geschichte wurden von Einfaltspinseln begonnen. Denken wir nur an den Ersten Weltkrieg mit seinen Millionen Toten, er wurde von einem Niemand, einem serbischen Fanatiker ausgelöst.

Der Zweite Weltkrieg mit seinen Dutzenden Millionen Toten wurde von Adolf Hitler begonnen, einer ganz primitiven Person. Als er die Grenze nach Polen überschritt, dachte er gewiss im Traum nicht an einen Weltkrieg. Bis zum letzten Augenblick glaubte er nicht, dass Großbritannien, ein "arisches" Land, das er bewunderte, ihm den Krieg erklären würde.

Präsident Trump scheint nichts über Geschichte zu wissen. Und auch nichts über vieles andere, außer über Immobilien und wie man zu viel Geld kommt. Er scheint auch auf den Rat anderen nicht zu hören, wenn er eine Entscheidung trifft. Wow.

Vor etwa 45 Jahren las ich ein Buch namens "Being there" (deutsch: Willkommen Mr. Chance) von dem polnisch-amerkanischen Schriftsteller Jerzy Kosinsky. Es handelt von einem geistig behinderten Gärtner, dessen reicher Arbeitgeber gestorben war und ihn allein zurückgelassen hatte. Sein ganzes Wissen war auf Gärtnern und Fernsehen beschränkt.

Durch einen Zufall wurde er in die Politik verwickelt. Seine einfachen Antworten auf alle Fragen wurden als Worte tiefer Weisheit aufgefasst. Zum Beispiel: Du musst die Wurzeln gießen, wenn du süße Früchte haben willst.

Er kletterte die politische Leiter hoch bis an die Spitze und wurde ein Berater des Präsidenten. Ich erinnere mich nicht mehr, ob er tatsächlich Präsident wurde. Trump wurde es.


SELTSAMERWEISE erinnere ich mich an einen deutschen Film, den ich sah, als ich 9 Jahre alt war. Es war kein bedeutender Film. Doch an diesen erinnere ich mich noch nach 84 Jahren.

Es ging um einen jungen Mann aus einer sehr guten Familie, der sich in die Tochter eines gewöhnlichen Schreiners verliebte. Seine Familie weigert sich strikt, ihm zu erlauben, die Tochter eines so bescheidenen Handwerkers zu heiraten.

Am Abend sitzt der alte Schreiner in seiner Kneipe und entdeckt eine Fliege in seinem Bier. Er schlägt mit seiner großen Faust auf den Tisch und schreit: "Diese Schweinerei muss aufhören!"

Einen Moment lang herrscht Stille. Dann kommen "Bravo!"-Rufe aus allen Richtungen.

Der Verehrer seiner Tochter ergreift die Gelegenheit. Er gründet eine Partei, schließt Bündnisse, stellt den alten Mann als Wahlkandidaten auf und schließlich - es war noch immer die Weimarer Republik - wird er zum Präsidenten gewählt.

Jetzt ist die Familie des jungen Freiers glücklich, so dass man ihn das Mädchen heiraten lässt, aber ihr Vater lehnt dies hartnäckig ab. "Wie kommst du dazu, die Tochter des Präsidenten zu heiraten?"

Aus Rache tauscht der Freier, der auch die Reden des Präsidenten schreibt, ein paar Seiten aus der Mitte einer Rede des alten Mannes aus, die dieser im Reichstag hält. Und so verkündet der alte Mann: "Ich bin ein totaler Versager, ich bin ein kompletter Idiot..."

Ich kann mich nicht mehr an das Ende erinnern.

Wer ist der junge Mann, der Trumps Wahlkampagne leitete? Natürlich sein jüdischer Schwiegersohn Jared Kushner.

Kushner ist wie Trump ein Immobilien-Händler. Wie Trump wurde er reich geboren und widmete sein Leben dem Ziel, noch reicher zu werden. Jetzt ist er Trumps wichtigster politischer Berater.

Kushner ist auch ein begeisterter Zionist. Das bedeutet, dass es ihm nicht im Traume einfiele, nach Israel auszuwandern und dort zu leben, stattdessen aber unterstützt er die fanatischsten Elemente in diesem Land.

Es scheint eine Regel zu sein, dass, je weiter ein Jude von den Schlachtfeldern Israels entfernt ist, er ein umso fanatischerer Zionist ist. Dieser Jared ist sehr weit entfernt.

Einer seiner Ratschläge scheint gewesen zu sein, einen anderen reichen Juden, David Friedman, zum Botschafter der USA in Israel zu ernennen. Diese Person ist ein so fanatischer rechter Zionist, dass er finanziell in die Siedlung Beth-El ("Haus Gottes") involviert ist, eine der Siedlungen in der West Bank, die am weitesten rechts ist. Einige würden sie faschistisch nennen.

Eine diplomatische Kuriosität: der israelische Botschafter in den USA Ron Dermer und der US-Botschafter in Israel sind beide ultra-rechte, in den USA geborene jüdische Zionisten. Wenn sie die Plätze tauschten, würde das keiner merken.


LASSEN SIE mich die Leser daran erinnern, was für Siedlungen das sind.

Als die israelische Armee 1967 die Westbank, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen eroberte, waren diese Gebiete so bevölkert wie viele Gegenden in Deutschland. Ein großer Teil des Landes gehörte Bauern und abwesenden Landbesitzern, der Rest war "Regierungsland".

Zur Zeit der Osmanen waren die Landreserven der Dörfer und Städte auf den Namen des Sultans eingetragen. Dessen Erbe war der britische Hochkommissar, dessen Erbe war wiederum der jordanische König und dessen Erbe ist jetzt der Befehlshaber der israelischen Besatzungsarmee.

Jetzt kommen die israelischen Siedler und nehmen dieses Land weg, das private wie das, das der "Regierung" gehört, und errichten darauf ihre Wohnstätten. Sie bezahlen niemandem etwas dafür. Das ist reinster Diebstahl.

Jetzt kommen Amerikaner wie Friedman, Kushner und andere und ermutigen die Siedler, sogar noch mehr zu rauben; und sie bieten ihnen sogar Geld, um ihnen dabei zu helfen.

Die Geschichte lehrt uns, dass solche Dinge nicht ewig dauern. Früher oder später endet dergleichen in einem Blutbad. Aber an jenem Tag werden Friedman, Kushner und Trump weit weg sein.



WARUM SCHREIBE ich jetzt über Trump?

Erstens weil es ein historischer Tag ist. Ich mag solche historischen Tage nicht. Ich erinnere mich an solch einen Tag, als junge Männer mit Fackeln in der Hand durch Berlin marschierten.

Aber es gibt noch einen anderen Grund: ich will jetzt nicht über Israel schreiben.

Wir befinden uns inmitten des größten Skandals der israelischen Geschichte. Gegen den Ministerpräsidenten und den Besitzer der Zeitung mit der größten Massenverbreitung wird wegen Bestechung ermittelt und ebenso gegen ausländische Magnaten, die Benjamin Netanjahu seit Jahren mit den teuersten Zigarren der Welt und seine Frau mit dem teuersten Rosé Champagner der Welt versorgt haben. (Eben das Wort "rosé" erhöht den Wert der Angelegenheit für den Klatsch.)

Nein, ich werde jetzt nicht darüber schreiben. Tut mir leid.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 21.01.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2017

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