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STANDPUNKT/730: "Frieden, Freiheit und Wohlstand" (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 8. Februar 2018
german-foreign-policy.com

"Frieden, Freiheit und Wohlstand"


BERLIN - Eine Fülle an Propagandafloskeln, die Ankündigung umfangreicher Aufrüstungsmaßnahmen und die Forderung nach einer auch militärisch eigenständigen Weltpolitik der EU durchziehen die Passagen des neuen Koalitionsvertrags zur deutschen Außenpolitik. Wie es in dem Dokument heißt, werde die Große Koalition in ihrem Haushalt "dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der NATO folgen". Der erwähnte "Zielkorridor" sieht vor, dass alle NATO-Staaten ihre nationalen Wehretats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausweiten. Während der Koalitionsvertrag irreführende Aussagen etwa zu künftigen deutschen Rüstungsexporten trifft, fordert er eine stärkere Unabhängigkeit der EU von den Vereinigten Staaten; die Union müsse "international eigenständiger und handlungsfähiger werden" - auch militärisch. Allerdings müssten Brüssels bewaffnete Interventionen "dem Prinzip eines Vorrangs des Politischen vor dem Militärischen folgen". Entschädigungen für die Nachfahren der Opfer früherer Phasen der Berliner Expansion weist der Koalitionsvertrag implizit zurück.

Propagandafloskeln

Stark geprägt ist der neue Koalitionsvertrag, auf den sich CDU/CSU und SPD gestern geeinigt haben, von einer großen Fülle an Propagandafloskeln, die unter anderem die Passagen zu "Europa" (gemeint ist die EU) prägen. So heißt es, die EU sei "ein historisch einzigartiges Friedens- und Erfolgsprojekt", das "Wohlstand mit Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit" verbinde. "Kern" der "europäischen Vision" sei es, "Frieden nach außen und Sicherheit und Wohlstand nach innen zu schaffen". "Ein starkes und geeintes Europa" sei "der beste Garant für eine gute Zukunft", und zwar "in Frieden, Freiheit und Wohlstand". "Frieden nach außen" äußert sich dabei in einer stetig wachsenden Zahl an Militäreinsätzen der EU und ihrer Mitgliedstaaten in immer mehr Ländern; der "Wohlstand nach innen" lässt sich zum Beispiel aktuellen Statistiken der EU-Behörde Eurostat entnehmen. Demnach waren im Jahr 2016 in der Union 117,5 Millionen Menschen - 23,4 Prozent der Bevölkerung - von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Damit hat die EU die Armut beinahe eines Viertels ihrer Einwohner in den letzten zehn Jahren nicht verringert.[1]

Konventionelles Wettrüsten

Zu den Absurditäten des neuen Koalitionsvertrags zählen wiederkehrende Verbalbekenntnisse zur Abrüstung bei gleichzeitiger Ankündigung neuer Aufrüstungsmaßnahmen. So heißt es, man wolle nicht nur ein "nukleares", sondern auch "ein neues konventionelles ... Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden". Anschließend kündigen CDU/CSU und SPD an, mit ihrer Haushaltspolitik "dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der NATO [zu] folgen"; der NATO-"Zielkorridor" sieht vor, die nationalen Wehretats der Mitgliedstaaten bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Die neuen Mittel sollen ausdrücklich zur Aufrüstung der Bundeswehr mit modernster Technologie genutzt werden. Explizit kündigt die künftige Koalition die "Entwicklung der Euro-Drohne" sowie die Schaffung von "konzeptionellen Grundlagen" für Einsätze von Killerdrohnen an. Dabei hält sie es offenkundig für notwendig, wörtlich hervorzuheben: "Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen."

Autonome Funktionalitäten

Fragen werfen gleich mehrere rüstungspolitische Aussagen des Papiers auf - weil sie der aktuellen Praxis der Bundeswehr und der deutschen Rüstungsindustrie direkt widersprechen. So heißt es im Koalitionsvertrag: "Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten." In der Bundeswehr wird dagegen schon längst über die Nutzung autonomer Waffensysteme debattiert. Kampfroboter und Drohnen böten die Möglichkeit, heißt es etwa in einem Thesenpapier aus dem Deutschen Heer, "automatisierte, teilautonome oder autonome [!] Funktionalitäten" mit bemannten Waffensystemen zu kombinieren (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Darüber hinaus erklärt die neue Große Koalition, man werde "ab sofort keine [Rüstungs-]Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind". Wäre die Aussage ernst gemeint, dann beträfe sie nicht nur Lieferungen an drei der größten Kunden deutscher Waffenschmieden (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten), sondern auch die Vereinigten Staaten, die Saudi-Arabien nicht nur Informationen für Bombardements zur Verfügung gestellt, sondern immer wieder auch militärische Unterstützung geleistet haben.

Transatlantisch und europäisch

Eine explizite Bestätigung erfährt im neuen Koalitionsvertrag das Bemühen der vergangenen Großen Koalition, auf globaler Ebene so weit wie möglich unabhängig von den Vereinigten Staaten zu werden. Das schließt ein Festhalten am transatlantischen Bündnis für konkrete Konflikte, etwa für den Machtkampf gegen Russland oder für bevorstehende Auseinandersetzungen mit China, ein. "Wir wollen transatlantisch bleiben und europäischer werden", heißt es im Koalitionsvertrag. "Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen" [3], heißt es weiter: Die EU solle "international eigenständiger und handlungsfähiger werden". Dazu sei "eine entschlossene und substanzielle Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik aus einem Guss" unverzichtbar. Die künftige Koalition lässt keinen Zweifel daran, dass dazu die EU-Militärpolitik ("PESCO", german-foreign-policy.com berichtete [4]) "gestärkt werden" müsse; nicht zuletzt setze man sich "für ein angemessen ausgestattetes Hauptquartier der EU zur Führung der zivilen und militärischen Missionen ein". Allerdings müssten künftige bewaffnete Interventionen der EU noch "dem Prinzip eines Vorrangs des Politischen vor dem Militärischen folgen".

"Chinesische Machtprojektionen"

Kursorisch nimmt der Koalitionsvertrag, dem Anspruch der Berliner Weltpolitik folgend, fast sämtliche Kontinente in den Blick. So heißt es, man teile "strategische Interessen" mit Lateinamerika. Mit Blick auf den deutschen Einflussverlust auf dem afrikanischen Kontinent gegenüber China heißt es weiter: "Wir unterstützen einen Marshall-Plan für Afrika". Gemeint sind Vorhaben Berlins, die vor allem darauf abzielen, deutsche Investitionen in den Ländern Afrikas zu fördern.[5] Während die Interessen der deutschen Wirtschaft auch an Geschäften mit China Berücksichtigung finden, deuten sich zugleich heftige politische Spannungen an: So spricht die neue Große Koalition von "vielfältigen chinesischen Macht- und Einflussprojektionen" und warnt vor "Risiken", die etwa "die Seidenstraßen-Initiative Chinas" mit sich bringe.

Kultur statt Sühne

Lediglich implizit bezieht das Dokument Stellung zu den immer zahlreicheren ausländischen Gerichtsverfahren, mit denen die Nachkommen von Opfern früherer Phasen der deutschen Expansion Entschädigung für schwerste deutsche Massenverbrechen zu erlangen suchen. Gänzlich ausgespart sind entsprechende Bemühungen griechischer und italienischer Opfer von NS-Massakern - dies, obwohl die italienische Justiz inzwischen fest von einer Entschädigungspflicht der Bundesrepublik ausgeht.[6] Den Versuchen der Herero und der Nama, für den deutschen Genozid an ihren Vorfahren eine Entschädigung zu erstreiten, erteilt der Koalitionsvertrag indirekt eine Absage. So heißt es, die künftige Bundesregierung wolle "die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika verstärken und einen stärkeren Kulturaustausch befördern" - "insbesondere durch die Aufarbeitung des Kolonialismus sowie den Aufbau von Museen und Kultureinrichtungen in Afrika." Gedenkstätten zur Erinnerung an deutsche Kolonialverbrechen gibt es in mehreren Ländern Afrikas schon lange; Mangel herrscht hingegen an Entschädigungen, die Berlin den Nachfahren der Opfer systematisch vorenthält - zugunsten einer unverbindlichen, kostensparenden "Erinnerungskultur" (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Letzteres wird sich, nimmt man die Kolonialismus-Passage des Koalitionsvertrags zum Maßstab, auch in Zukunft nicht ändern.


Anmerkungen:

[1] 17. Oktober: Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut.
eurostat Pressemitteilung 155/2017. 16.10.2017.

[2] S. dazu Automatisierte Aggression.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7505/

[3] S. dazu Das Ende einer Ära.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7307/

[4] S. dazu Der Start der Militärunion.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7475/

[5] S. dazu Einflusskampf um Afrika.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7345/

[6] S. dazu Die Reparationsfrage.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7387/

[7] S. dazu Billiges Erinnern
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7178/
und Deutschlands koloniale Arroganz.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7515/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2018

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