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STANDPUNKT/865: Die Hintergründe der "Ereignisse" auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989 (Gerhard Feldbauer)


Es drohte ein Bürgerkrieg mit Millionen Toten

Zu den Hintergründen der "Ereignisse" auf dem Tiananmen-Platz in Peking vor 30 Jahren

von Gerhard Feldbauer, 2. Juni 2019


In Osteuropa bahnte sich im Frühsommer 1989 die Krise des Sozialismus an, die der Imperialismus nutzte, die Konterrevolution anzuheizen, die zum Sturz der sozialistischen Ordnungen führte. Auch in der Volksrepublik China fanden zu dieser Zeit in der Kommunistischen Partei Auseinandersetzungen über den weiteren Weg zum Sozialismus - ökonomische Reformen unter der Kontrolle und Führung der Partei - statt, gegen die sich eine liberale Fraktion wandte, die auf eine kapitalistische Restauration setzte. Generalsekretär Hu Yaobang, der die von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen unterstützt hatte und unter kritischen Intellektuellen und Studenten großes Ansehen genoss, sympathisierte mit den Studenten und wandte sich gegen ein energisches Vorgehen gegen ihre gesetzwidrigen Proteste. Er wurde als Parteichef abgesetzt, verblieb aber im Politbüro. An seine Stelle trat Zhao Ziyang. Nach dem Tod von Hu Yaobang im April 1989 veranstalteten Studenten der Pekinger Universität für ihn auf dem Tiananmen-Platz (Platz des himmlischen Friedens) große Feierlichkeiten, womit die Besetzung des Platzes begann.

Die agierenden Kräfte der Liberalen waren Studenten und Angehörige der Intelligenz, von denen nicht wenige während der Zeit der sogenannten "Großen Proletarischen Kulturrevolution" unter Mao Tse-tung in den 60er/70er Jahren als "Rechte Elemente" gemaßregelt und in Arbeitslager auf dem Lande verbannt worden waren, darunter auch Hu Yaobang. Andere Teilnehmer an den Protesten waren Intellektuelle, vor allem Hochschullehrer, die in den vorangegangenen Jahren zu Zehntausenden in den USA und Westeuropa studiert hatten. Laut Statistiken lernten 1989 allein in den USA "74 000 junge Chinesen". In der Bundesrepublik Deutschland waren es, Praktikanten eingeschlossen, 8000. Viele von ihnen waren, wie spätere Fälle bekannt machten, von den Geheimdiensten dieser Länder angeworben worden und verfolgten entsprechende Ziele. Selbst in der Umgebung des Politbüros waren Agenten postiert und übermittelten den Platz-Besetzern zum Beispiel Protokolle der "geheimen Sitzungen" der Parteiführung.

Die Kampagne gipfelte in Forderungen nach dem Sturz der Partei- und Staatsführung, um einer kapitalistischen Restauration, wie sie dann in den Ostblockstaaten einsetzte, den Weg zu bereiten. Es ging, räumte "Der Spiegel" vom 12. Juni 1989 ein, "um mehr als den Massenunmut", es ging darum, "ob China ein kommunistisches Land bleibt" oder "ob es pluralistisch werden" sollte. Symbolisiert wurde das durch die Aufstellung einer überlebensgroßen "Göttin der Demokratie", einer dilettantischen Nachbildung der New Yorker Freiheitsstatue, die auf dem von Studenten besetzten Tiananmen-Platz enthüllt wurde. Zur Leitfigur der Protestierenden wurde der auf sozialdemokratische Positionen gewechselte sowjetische Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow, der sich zu dieser Zeit zum Staatsbesuch in Peking befand. Ein Treffen im Parlament wollte er dazu nutzen, danach zu den Studenten auf dem Platz zu sprechen. Die Gastgeber verhinderten das, indem sie ihn durch den Hinterausgang hinausbugsierten.

Westliche Staaten drohten, Wirtschafts- und Handelssanktionen zu verhängen, wenn den "berechtigten Forderungen" der Studenten nicht entsprochen werde. Das Ganze wurde von einer Hetzkampagne in westlichen Medien begleitet, deren Pekinger Korrespondenten immer "rein zufällig" an den Orten von besonders spektakulären Provokationen auftauchten, über die sie dann berichteten. Insgesamt waren in Peking über 1000 ausländische Journalisten akkreditiert, von denen dazu die meisten am Werk waren.

Die Anführer der Revolte sprachen ständig davon, dass das Ausland auf ihrer Seite stehe und sie mit seiner Hilfe "siegen" würden. Vor diesem Hintergrund eskalierten die Ereignisse, die in den westlichen Medien als "Volksaufstand" gefeiert wurden. Es kam zu bewaffneten Aktionen, Armeepatrouillen wurden überfallen, Soldaten gelyncht, Waffen, darunter Flammenwerfer, erbeutet und eingesetzt. Siegessicher veröffentlichte DPA damals das Foto eines von den "Aufständischen" angegriffenen und in Brand gesetzten Panzers. Insgesamt wurden mehr als 100 Armeefahrzeuge zerstört oder verbrannt, Geschäfte gestürmt und Polizeiposten in Brand gesetzt, Dutzende Soldaten und Polizisten brutal ermordet und die Leichen an den Geländern der Straßenüberführungen aufgehängt. Das Ziel des Aufruhrs war die Ablehnung der Führung der Partei und der sozialen Ordnung sowie der Sturz der Volksrepublik China, so "Der Spiegel".

Als in der Parteiführung der Einsatz der bewaffneten Kräfte erörtert wurde, bezog Generalsekretär Zhao Ziyang eine versöhnlerische Haltung und lehnte die Verhängung des Ausnahmezustandes ab. Er wurde daraufhin am 19. Mai von Jian Zemin abgelöst. Am gleichen Tag verkündete Ministerpräsident Li Peng den Ausnahmezustand. Deng Xiaoping schätzte am 26. Mai 1989 vor dem Zentralkomitee ein, es handele sich um "einen konterevolutionären Putsch" unter Beteiligung der CIA und westlicher Staaten. Dennoch versuchte die Pekinger Führung noch über eine Woche, durch Dialoge und Verhandlungen eine friedliche Lösung zu erreichen. Die Regime-Gegner verschärften jedoch im Gegenteil ihre brutalen Provokationen. Das chinesische Fernsehen brachte Originalaufnahmen von einem Überfall auf Militärfahrzeuge, die in Brand gesetzt und geplündert wurden. Ein Soldat wurde getötet, der Leichnam angezündet und an einem Laternenmast aufgehängt. Vorangegangen war, dass bei dem Überfall ein an der Spitze der Kolonne fahrender Jeep der Militärpolizei attackiert wurde und dabei drei Radfahrer ums Leben kamen. Als die Versuche einer friedlichen Lösung scheiterten und die Studenten sich weigerten, den Tiananmen-Platz zu verlassen, erhielten Armee und Polizei auf der Grundlage eines mehrheitlich gefassten Beschlusses des Politbüros am 4. Juni den Befehl zur gewaltsamen Räumung. Es kam zu blutigen Zusammenstößen mit zahlreichen Toten, unter denen sich eine große Zahl Angehörige der bewaffneten Kräfte befanden.

Hätte die Pekinger Führung vor 30 Jahren der Konterrevolution nachgegeben, wäre nach Meinung von Chinakennern aus unterschiedlichen Lagern der Sozialismus in Frage gestellt worden, was zu einem verheerenden Bürgerkrieg mit Millionen Toten geführt und die Welt in unvorhersehbarer Weise destabilisiert hätte. Mit der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit und ihres eigenständigen Weges zu einer sozialistischen Gesellschaft hat die VR China auf dem Tiananmen-Platz gleichzeitig dieser brandgefährlichen Entwicklung auf internationaler Ebene Einhalt geboten. Auf dieser Grundlage ist sie heute bei Meinungsverschiedenheiten für Nordkorea ein Sicherheitsfaktor, Verbündeter bei der Verteidigung der Unabhängigkeit Kubas und Venezuelas sowie der Festigung des wirtschaftlichen Kurses von Staaten in Lateinamerika, Afrika wie Asien gegen die Unterwerfungsversuche der USA und EU-Staaten.

Wie vor 30 Jahren geht es heute in Peking darum, für den Erfolg dieses sozialistischen Modells die führende Rolle der KP Chinas zu sichern und zu festigen. Damit ist die Volksrepublik heute ein echter Hoffnungsträger, der den USA in ihrem Weltherrschaftsstreben einen Riegel vorschiebt und in der Perspektive, wie einst die Oktoberrevolution in Russland, ein objektiver Faktor der Beförderung eines weltweiten revolutionären Aufschwungs.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2019

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