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STREITSCHRIFT/023: Ein "Arbeiterführer" sieht rot (Hans Fricke)


Ein "Arbeiterführer" sieht rot

Von Hans Fricke, 11. Oktober 2009


Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), der seit der Abkehr der SPD von einer Politik der sozialen Gerechtigkeit sich als "Arbeiterführer" versucht, ist aus dem Häuschen. Unfassbar für ihn und seine Partei, dass Die Linke es wagt, im Entwurf ihres Programms für die Landtagswahl in NRW am 9. Mai 2010, dem neoliberalen Privatisierungswahn einen entschiedenen Kampf anzusagen und sogar die Enteignung der Energiekonzerne E.on und RWE zu fordern.

Das sei ein "Anschlag auf die freiheitliche Gesellschaft" und "Wer ein solches Programm beschließt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes" tönt es aufgeregt aus der CDU. Die Linke wolle den "Marsch in die totale Staatswirtschaft und stellt Prinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaates radikal in Frage", erklärt der FDP-Fraktionschef Gerhard Papke sichtlich erschüttert.

Geht es nicht ein paar Nummern kleiner? möchte man diese Verfechter der "reinen Lehre" des Kapitalismus fragen. Und was heißt: "nicht auf dem Boden des Grundgesetzes", wenn eine Partei die Courage hat, dafür zu kämpfen, dass Artikel dieses Grundgesetzes von herausragender Bedeutung endlich Grundlage praktischer Politik werden?

Sechzig Jahre lang erleben die Bürger der Alt-BRD und fast zwei Jahrzehnte auch die ehemaligen DDR-Bürger, wie Kapitaleigner Artikel 14 (2) des Grundgesetzes: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen", mit Duldung des von Herrn Papke beschworenen "freiheitlichen Verfassungsstaates" mit Füßen treten, und wie führende Politiker von Adenauer bis Merkel, Heuss bis Westerwelle und Schumacher bis Müntefering der Bevölkerung einzureden versuchen, Konzerne und Banken seien mit Ermahnungen und über freiwillige Selbstverpflichtungen zu bewegen, gemäß Artikel 14 (2) GG zu handeln. Dass es sich dabei um nichts anderes als um Bauernfängerei und um Bemühungen der Politik handelt, das Volk ruhig zu halten, beweist die Tatsache, dass alle Appelle zur Mäßigung und alle "freiwilligen Selbstverpflichtungen" zu einem gnadenlosen und menschenfeindlichen Raubtierkapitalismus und zur größten Krise seit 80 Jahren mit negativen Auswirkungen auf den Lebensstandard von Generationen geführt haben.

Höchste Zeit also für einen radikalen Kurswechsel, wie ihn die NRW-Linke in ihrem Landeswahlprogramm fordert. Höchste Zeit auch, solchen Riesen-Konzernen wie E.on und RWE ihre gewaltige wirtschaftliche Macht, die sie mit überhöhten Monopolpreisen missbrauchen, und mit der sie die Förderung erneuerbarer Energien behindern, aus ihren gierigen Händen zu nehmen und eine zukunftsträchtige und verbraucherfreundliche Energieversorgung zu gewährleisten.

Seit Jahren versuchen die Rüttgers und Papkes, der Bevölkerung wider besseres Wissens einzureden, die Privatisierung aller Bereiche der Daseinsfürsorge sei in ihrem Interesse. In Wahrheit wurde und wird weiter öffentliches Eigentum verscherbelt oder zerschlagen; den privaten Unternehmen wurden die Türen zu Schulen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen geöffnet. Auf der Strecke bleiben die Rechte und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Qualität der Versorgung. Jedermann weiß inzwischen aus eigener Erfahrung, dass alle bisherigen Privatisierungen für den Kunden bzw. Verbraucher nur eines brachten: höhere Kosten und Gebühren.

Deshalb fordert Die Linke zu Recht eine generelle Abkehr von der Politik "Privat vor Staat". Energie- und Wasserversorgung, Gesundheits- und Bildungswesen, sozialer Wohnungsbau und Abfallwirtschaft, öffentlicher Personenverkehr und kulturelle Einrichtungen sollen uns allen gehören.

Doch nicht allein das ruft bei den Sachwaltern des Neoliberalismus panikartige Reaktionen hervor, sondern vor allem die Tatsache, dass Die Linke als einzige Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland einen radikalen Politikwechsel fordert und ihre Politik bei den Menschen mehr und mehr Verständnis und Unterstützung findet. So hat die Partei seit der Kommunalwahl 2008 450 Neu-Mitglieder, allein in der vorigen Woche 187.

Selbstbewusst erklärt sie in der Präambel ihres Landeswahlprogramms:

Wir bestimmen unsere politischen Ziele für die Landtagswahl im Mai 2010 aus dem Anspruch, die gesellschaftlichen Verhältnisse in NRW ändern zu wollen. Unsere linke Alternative ist der demokratische Sozialismus. Wir verstehen darunter eine Gesellschaft, welche die Ausbeutung von Mensch und Natur überwindet, indem sie den Einsatz der natürlichen Ressourcen sowie die Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums rational, sozial gerecht, nachhaltig und demokratisch regelt. Nur so kann die freie Entfaltung jeder und jedes einzelnen zur Bedingung der freien Entfaltung aller werden. Wir fordern einen sofortigen Politikwechsel, der in der Verteilung des Vermögens, im Ausbau der Demokratie, bei der Herstellung gleicher Chancen und Rechte für alle und beim sozialen und ökologischen Umbau zum Schutz der Umwelt und des Klimas eine völlig neue Richtung einschlägt.

Dass Jürgen Rüttgers gegen solche der breiten Masse unseres Volkes dienende Forderungen wütend zu Felde zieht und es an Unterstellungen gegenüber der Linkspartei nicht mangeln lässt, führt seine Bemühungen, sich das Image eines "Arbeiterführers" geben zu wollen, ad absurdum. Und dass Nordrhein-Westfalens CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst mit Blick auf den Entwurf des Landeswahlprogramms der NRW-Linken im Kölner Stadtanzeiger vom 8.10.2009 sogar ganz undemokratisch droht:

Die NRW-Linkspartei darf nicht in die Regierung, sondern muss weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden

rundet das Bild von einer nordrhein-westfälischen "Arbeiterführerschaft" und ihrer CDU-Gefolgschaft ab.

Die üblen Attacken gegen den Entwurf des Landeswahlprogramms der NRW-Linken zeigen neben einer engen Interessengemeinschaft von E.on, RWE und nordrhein-westfälischer CDU folgendes:

1. Im Vertrauen darauf, das die Mehrzahl der Bundesbürger das grundgesetzliche Verpflichtungsgebot von Eigentum, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen sowie die Zulässigkeit von Enteignungen zum Wohl der Allgemeinheit (Art. 14 GG) nicht kennt, versuchen CDU und FDP die begründete legitime Anwendung dieses Artikel, für grundgesetzwidrig und damit als eine Sache des Verfassungsschutzes zu erklären.

2. Beide Parteien, die auf jede Systemkritik, mit ihren Standardargumenten "Demokratie", "Freiheitlich-demokratische Grundordnung" und "Rechtsstaatlichkeit" reagieren, sind offensichtlich nicht bereit, Erklärungen namhafter Wissenschaftler zur Kenntnis zu nehmen, wie:

- Etwas sei faul in der BRD. Das tatsächliche Funktionieren des Staates werde sorgfältig verdeckt, die treibenden Kräfte, Motive und Absprachen sowie die Hintergründe und ursächlichen Zusammenhänge der Politik blieben den Bürgern verborgen. Die Demokratie in der BRD sei notwendigerweise fiktiv (laut Lexika: eingebildet, erdichtet, angenommen). Das Volk habe seine Entscheidungsbefugnisse an Berufspolitiker abgetreten. Die Willensbildung verlaufe daher von oben nach unten statt in umgekehrter Richtung. (Hans-Herbert von Arnim, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, in seinem 440 Seiten starken Werk "Das System - Die Machenschaften der Macht

- "Die Gesellschaft vergibt sich das Wichtigste, was sie hat, nämlich das Recht. Die Demokratie lebt vom Recht. Das Recht hat Stärke zu beweisen, das ist das, was unser Staat und unsere Gesellschaft hat und vorzuweisen hat. Und das wird aufgegeben. Wir wandeln uns von einer Rechtsgesellschaft in eine Sicherungsgesellschaft, und das geht über den Apparat der Militarisierung, und das ist das Bedrohliche (...) Der Rechtsstaat ist mittendrin in der Auflösung, weil es eine Herstellung von Sicherheit in dem Maße, wie es der Politik vorschwebt, nicht gibt (...) Das ist ein Wahnsinn, der die Politik im Grunde beherrscht; die Politik sucht nach Mitteln, um zu zeigen, was sie kann, und dabei vernichtet sie den Rechtsstaat, und das ist im Grunde das Verbrechen (...)
(Professor Peter-Alexis Albrecht, Strafrechtler an der Universität Frankfurt, im ZDF-Magazin frontal am 8. Mai 2007)

Nach fünf Jahren Merkel-Regierung und im Hinblick auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse festigt sich der Eindruck, dass dieses Land, dessen immer wieder kaschierte Gebrechen bis zur "Stunde Null" zurückreichen, nicht mehr regierbar und keine Regierung mehr regierungsfähig ist.

Je lauter das Eigenlob und die Durchhalteparolen der Bundesregierung sind, umso mehr wird deutlich, dass die BRD in Perspektivlosigkeit versinkt. Die Zeit für eine handlungswillige und handlungsfähige Regierung ist überreif. Eine tiefgreifende Umorientierung ist unvermeidlich, weil alle Organisationen und Institutionen der BRD ausgelaugt und durch Unfähigkeit und Korruption ihrer Besetzung kompromittiert sind.

Die Zeit der Parteienwirtschaft ist vorbei. Landauf, landab breitet sich wachsende Zukunftsangst, Resignation und Politikverdrossenheit aus. Doch es gibt überall auch Anzeichen dafür, dass sehr viele Menschen einen neuen Anfang unter anderen Vorzeichen wünschen."

Der Entwurf des Programms der Linkspartei zu den Landtagswahlen in NRW. gehört zu diesen nicht mehr zu übersehenden Anzeichen. Je früher die Regierenden in Bund und Ländern das begreifen, umso besser für unser Land und seine Menschen.


Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg", 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8


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Quelle:
© 2009 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2009