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LAIRE/1088: ISAF-Alltag in Afghanistan - Sturm auf eine Klinik (SB)


"Friedensbringer" bei ihrer Arbeit ...

US-geführte Koalitionstruppen überfallen in Afghanistan von schwedischer Hilfsorganisation betriebenes Krankenhaus


Zu einem Krieg gehört nicht nur das unmittelbare Töten von Gegnern, die Einnahme von Territorien und darin die Installierung einer willfährigen Verwaltung, sondern auch die Erfüllung von Funktionen in der Etappe, der Aufbau zuvor zerstörter Infrastruktureinrichtungen sowie die Sicherung eroberter Gebiete. Insofern ist die Bundeswehr nicht allmählich in den Krieg in Afghanistan hineingerutscht, sondern war als NATO-Verbündeter von Beginn des Aufmarsches der angloamerikanischen Streitkräfte im Rahmen der OEF-Mission am Krieg in Afghanistan beteiligt und trägt für alles, was später auch im Namen der ISAF (International Security Assistance Force) der Besatzungsmächte geschieht, Mitverantwortung.

Vor dem Hintergrund der Tötung von wahrscheinlich weit über einhundert afghanische Zivilisten und Kämpfer durch die Bombardierung von zwei zuvor entführten Tanklastwagen der ISAF ist ein anderer Vorfall, der zwar keine Opfer gefordert hat, doch das rücksichtslose Vorgehen der Besatzer treffend dokumentiert, weitgehend untergegangen.

Die Hilfsorganisation Swedish Committee for Afghanistan (SCA) teilte mit [1], daß am 2. September gegen 22.00 Uhr das von ihr betriebene Krankenhaus in Shaniz, afghanische Provinz Wardak, von Koalitionssoldaten der 10th Mountain Division der U.S. Army gestürmt wurde. Diese gaben keine Erklärungen ab, sondern durchkämmten sämtliche Räume, auch die der Frauen, brachen verschlossene Türen auf, fesselten vier Angestellte und zwei Besucher. Patienten, auch wenn sie im Bett lagen, und das Personal wurden gezwungen, die Räumlichkeiten vor der Durchsuchung zu verlassen. Die Aktion dauerte rund zwei Stunden. Beim Rückzug wurde den Krankenhausangestellten befohlen, daß sie jeden Patienten, der ein Aufständischer sein könnte, den Koalitionsstreitkräften melden müßten. Die würden dann darüber entscheiden, ob dem Krankenhaus gestattet werde, den Patienten zu behandeln. Anlaß der Razzia war die Suche nach einem mutmaßlichen Kommandanten der Aufständischen, der angeblich in dem Krankenhaus behandelt wird.

Es ist nicht das erste Mal, daß das SCA-Krankenhaus von Militärs heimgesucht wird. Am 13. Juli suchten dort private Sicherheitsleute einer unter Beschuß geratenen Eskorte Schutz, benahmen sich äußerst aggressiv gegenüber dem Personal und zerstörten Einrichtungen. Eine andere Klinik in Paktika war am 26. August von Koalitionstruppen überfallen worden, nachdem Gerüchte aufkamen, daß sich dort ein Kommandant der Aufständischen versteckt hält.

Üblicherweise streitet das US-Verteidigungsministerium solche Vorwürfe zunächst rigoros ab. In diesem Fall wurde die Darstellung der schwedischen Hilfsorganisation auf geschickte Weise so verfremdet, daß der Eindruck entsteht, der Vorfall hätte sich auch anders zutragen können. Die Nachrichtenagentur AP [2] gibt die Erklärung zweier anonymer Beamter des US-Verteidigungsministeriums wieder, die behaupten, daß die US-Soldaten mit der Erlaubnis der Krankenhausverwaltung und in Begleitung afghanischer Sicherheitspolizisten die Durchsuchung vorgenommen und auch keine Türen eingetreten haben. Nur das Schloß einer Tür habe aufgebrochen werden müssen, da den Soldaten gesagt worden sei, daß es dafür keinen Schlüssel gibt.

Mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen demonstrieren die Soldaten, daß die von der ISAF-Führung propagierte zivil-militärische Zusammenarbeit faktisch nichts anderes darstellt als die Unterordnung der Nichtregierungsorganisationen unter die Befehlsgewalt des Militärs. Darüber hinaus ist anzumerken, daß sich Ärzte verpflichtet haben, Menschen zu helfen, und nicht, sich zuvor das Okay eines Offiziers einzuholen. Wenn das Krankenhaus zum Spielball der Kämpfer beider Seiten wird, könnte eine Konsequenz darin bestehen, daß die Hilfsorganisation ihre Zelte in Afghanistan abbricht, wie von anderen entnervten, bedrohten und gefährdeten zivilen Organisationen bereits vollzogen.

In Deutschland tritt bei der bevorstehenden Bundestagswahl mit den Linken nur eine Partei an, die sich für einen sofortigen Abzug der deutschen Soldaten aus dem besetzten Afghanistan ausspricht. Die Vertreter der anderen Parteien nehmen mit ihrem Votum für die Fortsetzung des Kriegs die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Kauf. Das wird in der Regel damit begründet, daß ein Abzug viel schlimmere Konsequenzen besäße. Schlimmer für wen? Sicherlich nicht für die Dorfbewohner, die nachts zu den beiden Tankwagen geeilt waren, in der Hoffnung darauf, ein wenig Treibstoff in ihrem von Mangel beherrschten Land zu ergattern, und die von den selbsternannten Vertretern der vermeintlich überlegenen Gesellschaftsordnung in die ewigen Abgründe gebombt wurden.


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Anmerkungen:

[1] "International military violently entered SCA Hospital in Wardak", PRESS RELEASE, Kabul, September 6, 2009
http://www.swedishcommittee.org/archive/articles/press/2009/wpoIMF/

[2] "US officials deny Swedish hospital was 'stormed'" 9. September 2009
http://www.kansascity.com/437/story/1433728.html

10. September 2009