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LAIRE/1090: Verhaltenskontrolle als Folge der Vergesellschaftung (SB)


Einige flüchtige Auslassungen zum Verhalten von Staatenbildnern ...


Ameisen und Mitglieder anderer staatenbildender Insektengesellschaften erkennen die eigenen Leute am Geruch. Diese hoch entwickelte Eigenart ist dem Menschen nicht gegeben - zum Glück, möchte man bei manchen olfaktorischen Reizen meinen. Ansonsten eifern die Menschen auf die eine oder andere Weise insektoidem Verhalten nach. Soweit das von außen überhaupt beurteilt werden kann, brechen einzelne Insekten niemals aus einem vorgegebenen Verhaltensschema ihrer Art aus.

Insekten entwickeln sich anscheinend evolutionär nicht mehr weiter. Die menschliche Gesellschaft ist zwar noch nicht so weit, sie folgt jedoch den ähnlichen Pfaden. Abzulesen daran, daß parallel zur Bildung von Staaten und Superstaaten sich nach innen hin die Lebensverhältnisse und erlaubten Verhaltensweisen verengen.

So wurde mit dem Body-Mass-Index (BMI) eine grundlegende Normfestlegung des Körpers vorgenommen, der bei einer bestimmten Größe idealerweise ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten sollte. Wird dieser Wert übertroffen, gilt jemand als "über"gewichtig, was heute schon dazu führt, daß der- oder diejenige die Häme und Verachtung, ja, sogar den Abscheu der Umgebung auf sich zieht. Nachteile im Berufsleben und der medizinischen Behandlung sind erwiesen.

Offensichtlich vom Normierungseifer getrieben schlägt nun ein Forscher aus den Vereinigten Staaten vor, den etwas kompliziert zu berechnenden BMI durch eine neue Kenngröße zu ersetzen. George Fernandez, Professor für angewandte Statistik und Direktor des Center for Research Design and Analysis an der Universität von Nevada in Reno, möchte erreichen, daß sich die Maximum Weight Limit (WML) als Bewertungskriterium des Größe/Gewicht-Verhältnisses von Menschen durchsetzt. [1] Demnach darf ein 172,5 cm großer Mann 78,8 kg wiegen, eine Frau bei 150 cm Größe rund 54 kg. Die individuelle Berechnung geht nun wie folgt: Für jeden Inch (2,5 cm), den ein Mann über oder unter dem Wert liegt, muß er fünf "pound" (2,25 kg) dazurechnen oder abziehen (bei Frauen 4,5 "pound", also gut 2,0 kg).

Zu der allgemeinen Verbreitung und Anwendung von Größe/Gewicht-Indices kommt hinzu, daß in der menschlichen Gesellschaft Bewegungsnormen festgelegt werden. Auf diesem Gebiet spielt die Sicherheitstechnologie mit ihren biometrischen Erfassungssystemen den Vorreiter. Sie fungiert als Innovationsmotor für "Fortschritt". So sind Computersysteme im Einsatz, die auffälliges Bewegungsverhalten in U-Bahnen oder Bahnhöfen anzeigen, und diese Woche haben spanische Forscher ein "intelligentes" Verfahren vorgestellt, das abweichendes Verhalten von Fußgängern und Autofahrern erkennt. Die Methode könnte benutzt werden, um "inkorrektes Verhalten" zu bestrafen, berichtete "ScienceDaily" [2] über die Studie, die an der Universität von Kastilien in La Mancha entwickelt wurde.

Derzeit haben die Forscher ihr System an die Ampelphasen geknüpft, so daß es bei einer Verkehrsverletzung Alarm schlägt. Die Forscher wollen das Verfahren weiterentwickeln, so daß es auch in anderen Umgebungen, beispielsweise in Innenräumen oder bei einem Menschengedränge, angewendet werden kann - vielleicht als Ergänzung zur elektronischen Fußfessel, die jedes Zuhause zum Gefängnis macht?

Ein weiteres, höchst eigenes Kapitel der Verhaltenskontrolle bildet die innere Normierung. Dieses Faß ist jedoch so riesig, daß es hier nicht auch noch geöffnet werden soll. Selbstverständlich wirkt diese, nennen wir sie mal, endogene Form der Züchtigung durch die Schule oder andere gesellschaftliche Zwänge am zuverlässigsten.

Ob Ameisen einen Body-Mass-Index kennen oder jemals kannten, entzieht sich unserer Kenntnis. Bekannt ist, daß schon bei der Ei- und Brutpflege auf die Einhaltung von Normen geachtet wird. Sollte sich die WML gegenüber dem BMI als Bemessungskriterium durchsetzen, eine Ergänzung bilden oder wie eine Reihe früherer Bewertungskonzepte wieder in der Versenkung verschwinden, ist nicht entscheidend. Weitreichendere Bedeutung muß dem bloßen Versuch zugemessen werden, den körperlichen Abgleich an einem vorgegebenen Ideal zu vereinfachen, in der Erwartung, ihn darüber massenwirksam verbreiten zu können.

Evolutionär gesehen könnte das jener Phase entsprechen, als sich die Ameisen darüber verständigten, nur noch bestimmte Gerüche als ihnen zugehörig anzuerkennen und alle Träger fremder Gerüche bis auf die Schere zu bekämpfen. Nun werden Menschen heute (noch) nicht wegen ihres angeblich zu hohen Body-Mass-Index in finaler Konsequenz aus der Gesellschaft entfernt, doch wenn ihnen beispielsweise Medikamente vorenthalten werden (was potentiell allein schon dadurch vorkommen kann, daß die Betroffenen höhere Krankenversicherungsbeiträge als andere zahlen müssen), dann geht das in exakt diese Richtung.


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Anmerkungen:

[1] http://www.sciencedaily.com/releases/2009/09/090918181500.htm

[2] http://www.sciencedaily.com/releases/2009/09/090918100010.htm

23. September 2009