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LAIRE/1115: Demo der Fotojournalisten in London gegen Repressionen (SB)


Die Überwacher wollen sich nicht überwachen lassen

Polizei benutzt Antiterrorgesetzgebung, um Fotojournalisten zu drangsalieren


Am Samstag demonstrierten am Londoner Trafalgar Square rund 2000 Fotojournalisten gegen die zunehmenden Repressionen, denen sie durch die britische Polizei ausgesetzt sind. Nach Paragraph 44 aus dem Jahr 2000 und Paragraph 76 aus dem Jahr 2008 der britischen Anti-Terrorgesetzgebung dürfen Polizeibeamte "verdächtige" Personen anhalten und durchsuchen. Vielen Fotojournalisten wurden bereits Filme oder Speicherkarten, auf denen sich mutmaßlich sicherheitsgefährdende Bilder befanden, abgenommen. Wer in Großbritannien Polizeibeamte oder Soldaten fotografiert oder sich auch nur für die Architektur der Londoner Innenstadt interessiert und Gebäude aufnimmt, muß damit rechnen, daß er von Polizisten angehalten und verhaftet wird. Theoretisch kann die betroffene Person bis zu zehn Jahre ins Gefängnis wandern, wenn sie dem Fotografierverbot zuwiderhandelt.

In Großbritannien, dem EU-weiten Vorreiter bei der Installation innovativer Überwachungstechnologien und Durchsetzung tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifender Kontrollmittel, öffnet sich somit eine breite Schere zwischen Vertretern des Staates, die aus vermeintlichen Sicherheitsgründen immer mehr Fotos und Filme von Personen machen, und Untertanen ihrer Majestät, denen dies aus Sicherheitsgründen unter Androhung einer langjährigen Haftstrafe verboten wird.

Es sei offensichtlich, daß professionelle Fotografen nur durchsucht werden, weil sie Fotografen sind, sagte der freie Fotojournalist Marc Vallee laut einem AFP-Bericht (23.1.2010). Er war einer der Verantwortlichen der Londoner Demonstration und hatte via Facebook und Twitter zu ihr aufgerufen.

Die Fotojournalisten lehnen allerdings nicht das Anti-Terror-Gesetz an sich ab, sondern bemängeln lediglich einen "Mißbrauch", da auch sie davon betroffen sind und in ihrer Arbeit behindert werden. Offensichtlich haben die Demonstrationsteilnehmer nicht erkannt, daß dem Begriff des "Terroristen" von jeher die Funktion zukommt, als Bezichtigungsmittel gegen Teile der Gesellschaft in Stellung gebracht zu werden.

Es bedarf keiner Kategorie "Terrorismus" zur Beschreibung jener Formen des bewaffneten Kampfes, wie sie heute beispielsweise von Insurgenten, Befreiungskämpfern und Glaubenskriegern praktiziert werden. Um aber in einer Zeit aufbrechender, bislang bedeckt gehaltener innergesellschaftlicher Konflikte einerseits und imperialistischer Eroberungen andererseits die Verfügungsgewalt weiterzuentwickeln, ist ideologischer Schmierstoff erforderlich. Der Bezichtigungsbegriff des Terrorismus erfüllt diese Funktion. Er liefert Vorwandslagen am Band, um den Staat gegenüber denen zu schützen, für die er sich nicht mehr zuständig sieht und die gegen ihn aufbegehren könnten.

Obgleich Fotojournalisten als Bestandteil der vierten Gewalt im Staate in der Regel nur in der propagandistischen Lesart ein Gegengewicht zu den drei staatlichen Gewalten bilden, kann es als Berufsunfall oder vielleicht sogar aus einem noch nicht vollständig erodierten Anspruch heraus geschehen, daß die Fotografen Bilder schießen und veröffentlichen, auf denen die Maske des Staates ein kleines bißchen gelüftet wird. Wobei hier ergänzend angemerkt werden muß, daß in den letzten Jahren vor allem durch den Einsatz von privaten Handykameras und Camcordern staatliche Übergriffe dokumentiert wurden. Ein bekanntes Beispiel ist ein 50jähriger Brite, der beim G20-Treffen im April vergangenen Jahres in London am Rande einer Demonstration, an der er nicht teilgenommen hatte, von Polizisten geschlagen wurde, kurz darauf zusammenbrach und auf dem Weg ins Krankenhaus starb. Ohne diese Bilder wären die Polizeibeamten mit ihrer ursprünglichen Version der Ereignisse, daß sie von dem Mann angegriffen wurden, durchgekommen.

Die Fotojournalisten dürfen sich mit ihrem demonstrativen Appell an die Regierung durch das Europäische Gericht für Menschenrechte bestätigt sehen, hatte es doch vor wenigen Wochen das Anhalten und Durchsuchen von Journalisten und Demonstranten durch die britische Polizei für unrechtmäßig erklärt, da dies keinen ausreichenden Beschränkungen unterworfen sei. Inzwischen haben die britischen Polizisten Anweisungen erhalten, daß sie nicht so rigoros gegen Personen, die fotografieren, vorgehen sollen. Die Terrorismusgesetze werden dadurch kein bißchen zurückgenommen.

24. Januar 2010