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LAIRE/1301: Auf die Schlepper eindreschen, um weiter ungestört die Ernte einfahren zu können (SB)


Fluchttod im Mittelmeer


Fast täglich ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer, bei einzelnen Vorfällen inzwischen fast an die tausend. All die vielen Krokodilstränen, die Politikerinnen und Politiker ob der "andauernden Tragödie", so Innenminister Thomas de Maizière (CDU) [1], vor den Toren der Europäischen Union vergießen, vereinigen sich in der hiesigen Medienlandschaft zu einem breiten Strom, auf dem es sich offenbar wunderbar surfen läßt. Schlepper zu bekämpfen soll das Flüchtlingsproblem lösen, lautet dabei eines der beliebtesten Manöver, um von den eigenen, nicht minder ausbeuterischen Interessen abzulenken. Das Feindbild des Schleppers impliziert, daß dieser aktiv auf die Menschen zugeht und sie zur Flucht animiert und nicht umgekehrt, daß die Menschen, die flüchten wollen, nach einem Schlepper suchen.

Außerdem müßte man annehmen, daß die Schlepper nicht nur im unmittelbaren Küstenbereich, sondern in ganz Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten um Menschen werben. Die "Opfer" würden dann den Anwerbern auf den Leim gehen, ihr ganzes Erspartes und oftmals das ihrer Familie oder Sippschaft ausgeben, um auf irgendwelchen Seelenverkäufern bei der Fahrt übers Mittelmeer ihr Leben zu riskieren. Das ist natürlich absurd. Das dringendste Problem sind nicht die Schlepper, die Geschäfte mit der Not anderer Menschen machen, das Problem sind diejenigen, die Geschäfte machen und damit Menschen in so eine große Not stoßen, daß sie flüchten müssen!

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) schlägt nun einen Zusammenschluß "aller europäischen Polizei- und Grenzbehörden" vor, die "mit aller verfügbaren Kraft den Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden aufnehmen" müssen, "die mit dem Elend von Menschen Geschäfte machen". Innenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert, kündigt an und erklärt: "Wir dürfen und werden es nicht dulden, dass diese Verbrecher aus bloßer Profitgier massenhaft Menschenleben opfern." [1]

Wenn nicht aus bloßer Profitgier, aus welchen anderen Gründen wäre es denn zulässig, massenhaft Menschenleben zu opfern?

Gabriel und de Maizière sprechen hier nicht über die Banken und ihr ruchloses Zinssystem, das Schuldner wie Griechenland zwingt, eine viel höhere Summe zurückzuzahlen, als es ursprünglich an Krediten erhalten hat, und das auch deshalb reihenweise Menschen über die Klinge springen lassen muß, denen die notwendige medizinische Versorgung aus "troikanischen" Spardiktatgründen vorenthalten wird.

Nicht die Schlepper haben in den letzten Jahrzehnten ein krasses Wohlstandsgefälle zwischen Afrika und Europa geschaffen, das zu verteidigen den Bau von sechs Meter hohen, mit Stacheldraht bewehrten Doppelzäunen "erfordert". Es sind nicht die Schlepper, die ihre milliardenschweren Militärmaschinerien in Gang setzen und Staatspräsidenten stürzen, denen sie bedenkenlos Giftgas zur Vernichtung der eigenen Bevölkerung geliefert und bis kurz vor dem Umsturz - mit entblößten Zahnreihen und nach oben verspannten Mundwinkeln, gemeinhin als Lächeln gedeutet -, die Hand zum erfolgreichen Geschäftsabschluß gereicht haben. Nicht die Schlepper haben beim arabischen Frühling die Aufstände gegen repressive Regierungen okkupiert und für eigene Zwecke instrumentalisiert, um emanzipatorische Bewegungen, durch die auch die eigene Herrschaft in Frage gestellt werden könnte, im Keim zu ersticken.

Ja, gewiß, Schlepper verhökern Plätze auf maroden Booten, auf denen sie fluchtbereite Menschen gefährlich eng zusammenpferchen. Dieses Geschäftsmodell kann jedoch nur funktionieren, solange es einen dermaßen hohen Bedarf an Fluchtplätzen gibt. Schlepper sind gewissermaßen wie die Menschen, die permanent einem Heerzug hinterherwandern und von dessen Raubzug profitieren, indem sie sich an dem bereichern, was die Soldaten zurücklassen müssen, und den geschwächten Kriegsopfern den letzten Heller aus der Tasche klauben. In diesem Fall bereichern sie sich an der Hinterlassenschaft eines globalen Kriegs, der von der EU und ihren Verbündeten gegen die Länder des Südens zum Zwecke der Wahrung der eigenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Hegemonie geführt wird.

Würde man die hier angedeuteten gesellschaftlichen Widersprüche aufheben, wäre die Welt noch immer nicht akzeptabel, wenngleich deutlich besser. Es ist aber typisch, daß nun, nachdem die Menschen zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken, vehement auf die Schlepper eingedroschen wird, als gäbe es ohne sie kein Flüchtlingsproblem. Die Flucht beginnt jedoch nicht erst am Mittelmeer, sondern schon weit davor und würde auch nicht, wie von Innenminister de Maizière vorgeschlagen, durch den Bau von Auffanglagern oder -zentren in den nordafrikanischen Ländern verhindert.

Der Innenexperte und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thomas Strobl, bezeichnete im "Tagesspiegel" [1] die "Schlepperbanden" gar als "die wahren Verbrecher", die bekämpft werden müßten, und sagte, es sei "empörend mitanzusehen, wie mit dem Menschenhandel auf Kosten der Ärmsten auf diesem Globus skrupellos Milliardengeschäfte gemacht werden". Ja, Herr Strobl, daß es die "Ärmsten auf diesem Globus" gibt, ist natürlich Schicksal oder von Gott gegeben, was aufs gleiche hinausläuft. Die Milliardäre dieser Welt haben sich selbstverständlich ganz und gar nicht an den Armen bereichert, sondern ihr Vermögen ehrlich verdient, also irgendwie aus dem Nichts heraus geschaffen und dann nur noch bienenfleißig angehäuft ...

Würde man den "Schleuserbanden" das Handwerk legen, hätte man unliebsame Profiteure vom eigenen Raubzug aus dem Feld geschlagen, nicht aber die Fluchtgründe aus der Welt geschafft.


Fußnote:

[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingskatastrophe-im-mittelmeer-moeglicherweise-mehr-als-900-tote-eu-krisengipfel-geplant/11657084.html

20. April 2015


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