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LAIRE/1328: Hambi und Oktoberfest - gleiches Unrecht für alle ... (SB)



Die nordrhein-westfälische Polizei hat den Hambacher Forst zu einem "gefährlichen Ort" erklärt und abgesperrt. Hundertschaften der Polizei sichern das Gebiet, dürfen Identitäten überprüfen und Gegenstände konfiszieren. Bürgerliche Grundrechte werden unter Berufung auf höheres Recht eingeschränkt. Anlaß des riesigen Aufmarschs exekutiver Gewaltorgane: Baumhäuser. Und Menschen, die darin leben.

Einige hundert Kilometer weiter südlich macht die bayerische Landesregierung regelrecht Werbung für ein Gefahrengebiet, das jedoch nicht als solches ausgewiesen wurde: die Theresienwiese in München, auf der traditionell das Oktoberfest stattfindet.

Die Wiesn-Gewalttaten laut Polizeibericht München allein am 25. September 2018 (Die vorangestellten Zahlen geben nicht die Uhrzeit wieder, sondern sind die laufenden Nummern der Presseberichte) [1]:

Aus dem Wiesn-Report:

1409. Räuberische Erpressung nach Oktoberfestbesuch

1410. Kontrollen im Umfeld der Wiesn

1411. Sexuelle Belästigung auf der Wiesn

1412. Taschendiebfahnder aus der Schweiz und Frankfurt verbuchen Fahndungserfolge

1413. Mann greift Oktoberfestbesucherin unter den Rock und schlägt ihr einen Maßkrug ins Gesicht

1414. Vergewaltigung auf dem Festgelände

1415. Versuchter sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Frau

Vom 22. September bis 7. Oktober geht das Münchner Oktoberfest. Die Eröffnung fand mit "Landesvater" Söder statt. Daß dort teils schwere Straftaten stattfinden, ja, durch die äußeren Umstände geradezu herbeigeführt werden, sowohl was den Charakter der Veranstaltung betrifft als auch den hektoliterweisen Ausschank alkoholischer Getränke, die den Zweck haben und offensichtlich auch erfüllen, bei Menschen eine Enthemmung auszulösen, fällt offenbar nicht ins Gewicht. Obgleich doch nach bisher 184 Oktoberfesten kein Zweifel daran besteht, daß in diesem Gebiet Straftaten begangen werden. Die Politik nimmt dies wissentlich in Kauf. Rund 600 Polizisten, finanziert von Steuergeldern, sichern die "Gaudi". Zudem sorgen mehrere hundert Bundesbeamte für den Schutz des Bahnhofs und anderer Infrastruktureinrichtungen. Auch aus dem Ausland sind Sicherheitskräfte angereist, weil sich am Oktoberfest nicht nur heimische bierzeltbetreibende, sondern eben auch ausländische Langfinger bereichern wollen.

Wie fest etabliert anscheinend Straftaten auf dem Oktoberfest sind, läßt sich nicht zuletzt an einem Bericht der Münchner Abendzeitung ablesen, die die Charakteristika verschiedener Bierzelte beschreibt. So wird man über das "Armbrustschützenzelt" dergestalt informiert: "Die Eskalationsgefahr ist hier vergleichsweise gering. Vergleichsweise! Es ist immer noch eines der großen Zelte, am Abend stehen auch hier die Leute auf den Bänken." Ähnliche Beschreibungen erhielten auch andere Abfüllstationen auf der Wiesn [2].

Gegen die Besetzerinnen und Besetzer des Hambacher Forsts wird unter anderem der Vorwurf erhoben, sie hätten Sicherheitskräfte mit Exkrementen beworfen. Gerne wird dazu angemerkt, daß so etwas sicherlich nicht der Sache dient. Gar als "unmenschlich" bezeichnet die Gewerkschaft der Polizei die Kotausschüttung [3].

Wenn das unmenschlich ist, wie wäre dann die Flut an Ausscheidungen zu nennen - Urin, Kot und Erbrochenes -, mit denen jedes Jahr die Anwohner rund um die Theresienwiese traktiert werden und die von ihnen als "Tretminen" bezeichnet werden? Demgegenüber dürften die "fliegenden Toiletten" des Hambacher Forst ein Fliegenschiß sein, auch wenn es nachvollziehbar ist, daß so etwas den Einsatzkräften stinkt.

Allerdings haben die Behörden in München eine ganz andere Art von "Gefahrengebiet" rund um die Theresienwiese ausgewiesen. Als "kleiner Trost" für die Bewohner bestimmter Straßen, so das Referat für Arbeit und Wirtschaft, wurde auch in diesem Jahr wieder eine Reinigungshotline eingerichtet. Noch am Tag des Anrufs (bis 10.00 Uhr) macht "ein mobiles Reinigungsteam mit Fahrzeug und Hochdruckreiniger" die Verschmutzung weg. Motto: "Bei Anruf sauber!" Gereinigt werden private Auffahrten, Hauseingänge, Gärten, aber keine öffentlichen Wege. Dort lauern die Tretminen weiterhin an jeder Ecke. [4].

In der hier präsentierten Gegenüberstellung des behördlichen Vorgehens bei der Waldbesetzung im Hambacher Forst einerseits und dem Massenbesäufnis beim Oktoberfest andererseits eine Ungerechtigkeit auszumachen, hieße allerdings, Gerechtigkeit und Recht gleichzusetzen (was sie nicht sind) und die wesentliche Funktion von Recht mißzuverstehen.

Am Beispiel der Waldbesetzerinnen und -besetzer wird die staatliche Übergriffigkeit auf jene, die den Eigentumsanspruch in Frage stellen, deutlich. Unter dem Vorwand der Brandschutzsicherung wird die bestehende Eigentumsordnung qua staatlicher Gewalt durchgesetzt. Mildernde Umstände, wie sie üblicherweise Menschen zugestanden werden, die eine Straftat unter Alkoholeinfluß verüben, werden hier nicht berücksichtigt. Vom Gerechtigkeitsempfinden her betrachten viele Bürgerinnen und Bürger die Bewahrung des Restwalds am Rande des Braunkohletagebaus Hambach als ein positives Anliegen. Nicht zuletzt weil es sich auf die konkrete Umsetzung dessen bezieht, was in der Wissenschaft seit Jahren gepredigt wird: Um die globale Erwärmung zu vermeiden oder zumindest einigermaßen zu begrenzen, müssen 80 bis 90 Prozent der bekannten Ressourcen an fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas) im Boden bleiben. Warum also nicht mit dem Auslaufmodell Braunkohle im Rheinland vorangehen?

Sofern sich keine unvorhergesehenen Zwischenfälle ereignen wird auch das diesjährige Oktoberfest von den Veranstaltern durchgezogen, welche Straftaten auch immer dort begangen werden. Die Räumung des besetzten Walds im Rheinland wird ebenfalls durchgezogen, welche Straftaten auch immer dort nicht begangen wurden.


Fußnoten:

[1] https://www.polizei.bayern.de/muenchen/news/presse/faelle/index.html/284533

[2] tinyurl.com/y9g736nb

[3] https://www.derwesten.de/region/hambacher-forst-kot-id215385539.html

[4] https://www.muenchen.de/veranstaltungen/oktoberfest/oktoberfestnews/2017/reinigungshotline-service-fuer-anwohner.html

26. September 2018


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