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LAIRE/1334: KI - Kontrollzuwachs, kein Freiheitsgewinn ... (SB)



Die Bundesregierung hat angekündigt, daß sie die Erforschung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) mit drei Milliarden Euro bis 2025 fördern wird. "KI Made in Germany" bzw. "Artificial Intelligence (AI) Made in Germany" soll zu einem Markenzeichen ausgebaut werden. Da klar ist, daß mit der Digitalisierung und dem Einzug der KI in nahezu alle Bereiche des Alltags weitreichende gesellschaftliche Veränderungen einhergehen, hat die Regierung im Sommer dieses Jahres eine Datenethikkommission einberufen. Außerdem wurde im Juni dieses Jahres die Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz des Bundestages und im August der Digitalrat gegründet.

Die Datenethiker dürften in Zukunft wohl die zweifelhaften Begründungen für den Widerspruch liefern, warum Künstliche Intelligenz zwar theoretisch ganz vielen Leuten ganz viel Arbeit abnehmen könnte, aber trotzdem der Arbeitsdruck auf die Menschen und die Arbeitsverdichtung nicht gelockert wird. Der technologische Fortschritt läuft nicht darauf hinaus, Menschen zu entlasten, so daß sie Zeit haben, sich mit Fragen zu befassen, die nicht auf eine Optimierung der Reproduktion ihrer Arbeitskraft abzielen.

Auch wenn mit KI ausgestattete Rechner den Sachbearbeiter in der Innenbehörde, die Personalmanagerin in der Klinikkette, den Fließbandarbeiter beim Autohersteller, usw. vollständig ersetzen und sich KI selber programmiert und damit auch die Softwareentwicklerin ihren Lohnjob verliert, werden sich diese "entlasteten" Menschen nicht treffen und beraten, was sie fortan Tolles unternehmen könnten. Sie und Millionen andere Menschen allein in Deutschland, deren Arbeitsplätze innerhalb der nächsten Jahre überflüssig werden, werden keineswegs aus dem Klammergriff der administrativen Verfügungsgewalt entlassen. Zwar zieht sich der Staat aus vielen vormaligen Versorgungsleistungen Schritt für Schritt zurück, doch an dieser Stelle wird er es nicht einmal im Ansatz zulassen, daß an seiner Existenzberechtigung gezweifelt wird und sich womöglich irgendein gegen ihn gerichtetes revolutionäres Potential aufbaut.

Allerdings könnte man sich vorstellen, daß auch der Staat durch eine KI ersetzbar wird. Kabinett, Ministerien, Parlament - so überflüssig wie ein Kropf! Wozu wochenlange Koalitionsverhandlungen, wenn zwei oder drei KI das Problem des Zusammengehens von Parteien in nicht einmal einer Sekunde verbindlich klären könnten? Kein KI-verwalteter Staat müßte wegen seines Ressourcennachschubs einen Krieg anzetteln oder ständig ein Kernwaffenarsenal mit zigfachen Overkillkapazitäten vorhalten. Das Problem der Erderwärmung wäre ebenfalls binnen kurzer Zeit gelöst. Und was gesundheitlich ruinöse, verschleißträchtige Arbeiten betrifft, so würden das die KI-gesteuerten Roboter übernehmen. Steht uns eine schöne heile Welt bevor?

Am Mittwoch und Donnerstag traf sich das Kabinett zu einer "Digitalklausur" im Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sprach von einer "integrierten Strategie", mit der dafür gesorgt werden solle, "dass wir diesen technologischen Wandel, auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, nicht nur technologisch und ökonomisch diskutieren, sondern auch in seinen Folgen auf menschliche Arbeit und die Gesellschaft" [1].

An eine lebensfreundliche Zukunft, in der die Menschen rundum versorgt sind und viel mehr Zeit zur freien Verfügung haben, dürfte heutzutage niemand so recht glauben. Das weitere Vordringen von Künstlicher Intelligenz in die unterschiedlichsten Produktionsabläufe erodiert Arbeitsplätze. Da geht es nicht um ein paar tausend Jobs aus der Kohleindustrie. Innerhalb der nächsten fünf Jahre könnten in Deutschland 3,4 Millionen Arbeitsplätze - mehr als jeder zehnte - wegfallen, warnt der Branchenverband Bitkom. Darüber hinaus sieht jedes vierte Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern seine betriebliche Existenz gefährdet [2].

Da sind gesellschaftliche Umbrüche im Gange, auf die die Politik reagieren wird. Es werden Formen der Beschäftigung entwickelt werden, für die es möglicherweise in der Geschichte keine Vorbilder gibt. Aber wollte man die Geschichte als Vorbild nehmen, um sich diesem weitgehend unausgeloteten Problem des massiven Arbeitsplätzeabbaus zu nähern, dann stehen zwei grobe Richtungen zur Auswahl. Entweder es werden Zonen oder Gebiete geschaffen, in denen die Menschen weitgehend sich selbst überlassen bleiben, ohne Versorgung durch den Staat, aber wiederum auch nicht so vernachlässigt, daß sie aus der vorherrschenden Ordnung entlassen wären und das System gefährden. Oder es werden Formen der Zwangsarbeit weiterentwickelt, wie sie heute schon im Sozialsystem mit Hartz IV und den Ein-Euro-Jobs angelegt sind.

Für die Erwartung einer anderen, nicht-dystopischen Gesellschaftsentwicklung fehlt es sowohl an geschichtlichen Vorbildern als auch aktuellen Anhaltspunkten. Denn richtet man einmal den Fokus auf die vorherrschende menschliche Interessenslage und betrachtet den Zustand der Erde, auf der 815 Millionen Menschen hungern, zusätzlich ein bis zwei Milliarden Menschen mangelernährt sind, befestigte Grenzanlagen zwischen den relativen Wohlstands- und den Verelendungsräumen errichtet werden und weit mehr als zehntausend Atomraketen gegeneinander in Stellung gebracht sind, dann sieht das nicht danach aus, als würde der technologische Fortschritt, der mit der Digitalisierung und Anwendung Künstlicher Intelligenz einhergeht, dem bestehenden Trend zur Ausgrenzung mißliebiger Minderheiten und Vernichtung großer Menschenmassen entgegenstehen und eine geradezu historische Kehrtwende einläuten.


Fußnoten:

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundesregierung-trifft-sich-zur-digitalklausur-1549894

[2] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/digitalisierung-wird-jeden-zehnten-die-arbeit-kosten-15428341.html

15. November 2018


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