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DILJA/1110: Bolivarische Republik Venezuela - Vorbild in direkter Demokratie (SB)


An der Demokratie-Bewegung in Venezuela könnten sich westeuropäische Staaten ein Beispiel nehmen

Referendum über die Aufhebung von Einschränkungen des passiven Wahlrechts angenommen


Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen - frei nach dieser Allerweltsweisheit müssen es sich westliche Staaten gefallen lassen, bei ihrer gleichermaßen vorschnell, faktenwidrig und stereotyp vorgebrachten Diffamierung des venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez als einen linkspopulistischen Diktator in umgekehrter Richtung genauer unter die Lupe genommen zu werden. In dem am Sonntag in Venezuela abgehaltenen Referendum ging es darum, ob die 16,7 Millionen wahlberechtigten Venezolaner und Venezolanerinnen mit einer Änderung von fünf Artikeln der Verfassung von 1999 einverstanden sind oder nicht. Die Frage lautete:

"Stimmen Sie der von der Nationalversammlung ausgearbeiteten Änderung der Artikel 169, 162, 174, 192 und 230 der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela zu, um die politischen Rechte des Volkes zu erweitern und zu ermöglichen, dass sich alle Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in einem vom Volk gewählten Amt als Kandidat oder Kandidatin für dasselbe Amt und für die in der Verfassung festgelegte Amtszeit bewerben können, wobei seine oder ihre mögliche Wahl ausschließlich vom Votum des Volkes abhängt?" [1]

In der westlichen Welt wurde wahrheitswidrig der Eindruck zu erwecken versucht, als wolle der seit nunmehr zehn Jahren regierende Präsident Venezuelas durch diese Verfassungsänderung "ewig" regieren oder die parlamentarische Kontrolle seiner Regierung aushebeln. Dabei haben Chávez wie auch andere Regierungsmitglieder wiederholt klargestellt, das Ergebnis des Referendums in jedem Fall, also auch bei einem "Nein" der Wähler, zu akzeptieren, während von seiten der Opposition eine solche Zusicherung ausblieb. Am vergangenen Samstag sollen nach Angaben des privaten Informationsportals Cadena Global Oppositionelle auf einer Großkundgebung in der Hauptstadt Caracas sogar das Militär zur Unterstützung gegen die von Regierungsseite angestrebte Verfassungsänderung aufgerufen haben. Antonio Ledezma, Oberbürgermeister von Caracas, wollte dies jedoch nicht als Aufruf zum Putsch verstanden wissen. "Akzeptieren sie diesen Angriff auf die Verfassung nicht", soll er die Armee in Hinsicht auf das Referendum gebeten haben, was einem Aufruf zum Putsch schon sehr nahe kommt, zumal der Oppositionspolitiker dann noch erklärt haben soll: "wir bitten darum, dass die Armee weder Putsche gegen die Verfassung zulässt noch gegen die Demokratie" [2].

In der westlichen Öffentlichkeit wurde das Demokratieverständnis dieser Oppositionellen keineswegs einer kritischen Würdigung unterzogen. Ohnehin ist nicht nachzuvollziehen, warum man in westlichen Staaten einen Demokratieverstoß in Venezuela in Hinsicht auf ein Referendum vermutet oder behauptet, mit dem ein Demokratiehindernis beseitigt wird, das in den allermeisten EU-Staaten ohnehin nicht besteht. Die Wiederwählbarkeit eines Amtsträgers auf nur eine weitere Periode zu beschränken, sieht auch das deutsche Grundgesetz nicht vor. Wenn nun die Aufhebung solcher Einschränkungen des passiven Wahlrechts - und zwar auf allen Ebenen, also keineswegs nur in Hinsicht auf das Präsidentenamt - von westlichen Ländern für undemokratisch erklärt wird, wäre es zwingend logisch, daß diese dann auch für ihre eigenen Staaten die Einführung solcher Regelungen in die Verfassung verlangen würden.

Daran jedoch wird selbstverständlich nicht gedacht, und so offenbart sich die ausschließlich "politisch" motivierte und verfassungsrechtlich lediglich aufpolierte Kampagne gegen die Bolivarische Republik Venezuela als plumper Versuch der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Dieser ist unter anderem auch deshalb plump zu nennen, weil die EU-Staaten unlängst ein denkbar schlechtes Beispiel für ihr eigenes Demokratieverständnis gegeben haben. Nachdem die EU-Verfassung, die sie sich oder vielmehr der von ihnen in Brüssel gebildeten Administration geben wollten, am Einspruch der Bevölkerungen in gleich zwei EU-Staaten (in Frankreich und in den Niederlanden) gescheitert war, akzeptierten sie dieses Votum nicht, sondern unternahmen mit dem sogenannten EU-Reformvertrag einen zweiten Anlauf, der am Veto der irischen Bevölkerungsmehrheit scheiterte. Da ein "Nein" im Vokabular der EU-Oberen nicht zu existieren scheint, setzten sie daraufhin alle Hebel in Bewegung, um die irische Regierung dazu zu bringen, das Referendum zu wiederholen - was, da der Wahlvorgang an sich keineswegs zu beanstanden war, wohl aber aus ihrer Sicht das Ergebnis, eine massive Verletzung demokratischer Werte darstellt.

Von den Kritikern der Regierung Chávez wurde gegen das am 15. Februar abgehaltene und von den Regierungsanhängern klar mit 54,36% Ja- gegen 45,63% Nein-Stimmen gewonnene Referendum gleichwohl das Argument vorgebracht, sie ließe über dieselbe Sache noch einmal abstimmen. Tatsächlich war ein Ende 2007 abgehaltenes Referendum, das eine umfangreiche Verfassungsreform beinhaltete, mit der nicht nur fünf, sondern 69 Artikel geändert werden sollten, knapp gescheitert. Blanca Eckout, die als Medienaktivistin die Mobilisierungskampagne der Regierung damals wie heute maßgeblich unterstützt hat, führt zur Erklärung für das damalige Scheitern an, daß nicht genug Zeit gewesen wäre, um den Menschen alle Vorhaben zu erklären, weshalb auch viele Regierungsanhänger verunsichert gewesen wären. In der Sache besteht jedoch ein erheblicher Unterschied zwischen dem jetzigen Referendum und dem von 2007.

Wie Dr. Iván Rincón, Botschafter Venezuelas beim Vatikan und ehemaliger Vorsitzender Richter des Obersten Gerichtshofs Venezuelas, auf einer Informationsveranstaltung im Generalkonsulat in Frankfurt am 6. Februar erklärt hatte, sollte damals tatsächlich nur der Präsident und nicht, wie jetzt, alle Mandatsträger unbegrenzt kandidieren dürfen. Im übrigen sei in dem jetzigen Referendum lediglich eine in der Verfassung strikt von einer Verfassungsreform getrennte Verfassungsänderung angenommen worden, so Rincón, der die diesbezüglichen Vorwürfe der Opposition zudem mit dem Argument entkräftete, daß es vor der Amtszeit von Präsident Chávez bereits mehrere Verfassungsänderungen gegeben habe, über die das Volk jedoch nicht habe abstimmen können.

An dem Urnengang in Venezuela haben sich nach Angaben des Nationalen Wahlrates (CNE) 1.200 venezolanische Wahlbeobachter und 65.000 Helfer der Wahlbehörde beteiligt. Internationale Gäste waren vom CNE eingeladen worden, den Ablauf direkt im Land zu verfolgen. Unter ihnen befanden sich auch Abgeordnete des Europaparlaments und Wissenschaftler. Auf Einladung oppositioneller Kräfte Venezuelas hatte sich der spanische EU-Abgeordnete Luis Herrero im Land aufgehalten. Der Politiker der postfrankistischen "Volkspartei" (PP) war allerdings bereits am Freitag des Landes verwiesen worden. Die Wahlbehörde CNE hatte die Regierung zu diesem Schritt aufgerufen, nachdem Herrero die gebotene Neutralitätspflicht verletzt hatte, indem er den amtierenden Präsidenten einen "Diktator" nannte und Manipulationen am Wahlvorgang vorhersagte.

Auf die EU, so diese sich auch weiterhin nicht von Herreros Anwürfen gegen die demokratisch gewählte Regierung eines anderen Landes distanziert, wirft dieser Vorfall selbstverständlich ein schlechtes Licht. Um die Glaubwürdigkeit des alten Europas, das sich gern als Hüterin über Freiheit und Demokratie mit weltweitem Gültigkeits- und Alleinvertretungsanspruch aufspielt, ist es ohnehin nicht gut bestellt. Denn so scharf mit allen propagandistischen Mitteln gegen Venezuela und damit ein Land, in dem wichtige Entscheidungen zusätzlich zu den allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen dem Volk direkt vorgelegt werden, geschossen wird, obwohl eine reale Basis für die vorgebrachten Vorwürfe fehlt, so betriebsblind zeigen sich die EU-Oberen gegenüber einem Nachbarland Venezuelas, das im Unterschied zu diesem jedoch als einziger Statthalterstaat der USA und eben auch der EU in Lateinamerika gelten kann.

Die Rede ist selbstverständlich von Kolumbien, einem Land, in dem es um die demokratische Legitimität des amtierenden Präsidenten gar nicht gut bestellt ist. Der Oberste Gerichtshof Kolumbiens in Bogotá hatte der Regierung des rechtskonvervativen Präsidenten Alvaro Uribe schon im vergangenen Jahr die Legitimät abgesprochen, weil mindestens ein Fünftel der Abgeordneten des Regierungslagers von paramilitärischen Todesschwadronen unterstützt werden. Desweiteren hatte sich das Oberste Gericht Kolumbiens offen dagegen ausgesprochen, daß Uribe 2010 erneut kandidieren will - was die Verfassung Kolumbiens verbietet. Der neokonservative US-Thinktank Cato Institute unterstützt diesen offenen Verfassungsbruch und erklärte, die unbegrenzte Wiederwahl Uribes sei ein "demokratisches Recht".

Im Gegensatz zu Chávez will sein kolumbianischer Amtskollege, der sich ebenfalls in seiner zweiten Amtszeit befindet, wohl nicht unbedingt die Verfassung ändern lassen. Wegen seiner unklaren Haltung in dieser Frage zog sich Uribe bereits den Unmut mehrerer Abgeordneter des Regierungslagers zu, die am 29. Januar in einem Gespräch mit ihm Klarheit über seine politische Zukunft forderten. Uribe, der erklärte Liebling des Westens und nunmehr die einzige Bastion, von der aus die USA auch militärisch "Präsenz" auf einem Kontinent zeigen können, den sie noch immer für ihren "Hinterhof" halten, scheint sich sicher sein zu können, daß in seinem Fall jegliche Kritik aus Washington und Brüssel angesichts etwaiger Demokratieverstöße ausbleiben wird - und all dies entlarvt die gleichermaßen sattsam bekannten und inhaltlich unbegründeten Vorwürfe an die Adresse des venezolanischen Präsidenten als plumpestes Manöver, eine Regierung zu diskreditieren, die sich die Durchsetzung des Sozialismus auf die Fahnen geschrieben und auf diesem Wege in den zurückliegenden zehn Jahren nicht zu leugnende Ergebnisse erzielt hat.

[1] zitiert aus: Venezuela-Referendum live, 15.02.2009, Amerika21.de, http://www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/feb/referendum-15f/

[2] zitiert aus: Mit allen Mitteln gegen Verfassungsänderung? Großdemonstrationen vor Referendum in Venezuela. Opposition: Armee soll sich über Entscheidung des Verfassungsgerichtes hinweg setzen, von Maxim Graubner, 08.02.2009, Amerika21.de, http://www.amerika21.de/ nachrichten/inhalt/2009/feb/mit-allen-mitteln-gegen-verfassungsanderung/

16. Februar 2009