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DILJA/1120: Sri Lanka - Das "humanitäre Gewissen der Welt" macht nicht grundlos Pause (SB)


Ein zweites "Gaza" im Norden Sri Lankas

Die humanitäre Katastrophe der tamilischen Bevölkerung im Dienste westlicher Hegemonialbestrebungen


In einer am Donnerstag in New York verbreiteten Erklärung verlieh UN-Generalsekretär Ban Ki-moon seiner, wie er es nannte, "extremen Sorge" über das Schicksal der in der Kriegs- bzw. Todeszone im Norden Sri Lankas eingeschlossenen Zivilisten Ausdruck. Der Konflikt zwischen der srilankischen Regierung, die zu keinerlei Verhandlungen bereit ist und den Krieg gegen die tamilische Befreiungsbewegung LTTE (die Befreiungstiger von Tamil Eelam) ausschließlich militärisch lösen will, und der tamilischen Minderheit des Inselstaates müsse, so forderte Ban, dringend und ohne den Tod weiterer Zivilisten beendet werden. Dieser fromme Wunsch ist keineswegs, so wie es den Anschein haben könnte, dem Überleben der rund 150.000 Tamilen geschuldet, die sich, von der srilankischen Armee eingekesselt, in dem durch deren Großoffensive inzwischen auf nur noch rund 50 Quadratkilometer großen, zusammengeschrumpften Terrain in einer humanitären Notlage befinden, ohne daß die sogenannte Weltöffentlichkeit davon in nennenswerter Weise auch nur Notiz nehmen würde.

Der UN-Generalsekretär verband seinen Appell mit Forderungen, die in etwa vergleichbarer Weise an beide Kriegsparteien gerichtet wurden, wodurch der Eindruck erweckt werden sollte, hier wäre eine Zivilbevölkerung von etwa einhundertfünfzigtausend Menschen zwischen die Fronten eines Bürgerkrieges geraten, deren Akteure gleichermaßen auf sie abzielen bzw. bei ihren Kampfhandlungen deren Tod billigend in Kauf nehmen würden. So forderte Ban die Armee Sri Lankas wie auch die tamilische Rebellenorganisation gleichermaßen auf, die Gefechte auszusetzen, um Unbeteiligten die Flucht aus dem Kampfgebiet und Hilfsorganisationen den Zugang zu den Hilfsbedürftigen zu ermöglichen. Dabei ist höchst fraglich, ob und inwiefern die LTTE überhaupt in der Lage sein könnte, die Kampfhandlungen - und sei es, um einen humanitären Korridor zu ermöglichen - auszusetzen. Die Zahl ihrer bewaffneten Kräfte, die sich in einem in Hinsicht auf ihre politischen Ziele, nämlich die Errichtung eines unabhängigen Tamilenstaates im Nordosten der Insel, aussichtslosen Kampf um das eigene Überleben befinden, wird von seiten der srilankischen Armee auf etwa 2.000 geschätzt.

Einem vertraulichen, auf Zahlenangaben der Vereinten Nationen beruhenden EU-Bericht, der dpa vorliegen soll, zufolge wurden allein in der Zeit zwischen dem 20. Januar und dem 5. Februar über tausend Zivilisten bei Gefechten im Kriegsgebiet Sri Lankas getötet und weitere dreitausend verletzt. Bei diesen zivilen Opfern handelt es sich um tamilische, nicht um singhalesische Bürger Sri Lankas, und es sind ausschließlich Tamilen, die, da die Regierung nur höchst sporadisch Konvois mit Hilfsgütern in die Kriegs- oder vielmehr Todeszone einfahren läßt, einer humanitären Katastrophe ausgesetzt sind. Als am 29. Januar der Staatspräsident Sri Lankas, Mahinda Rajapakse, den LTTE-Kämpfern ein 48stündiges Ultimatum stellte, in dem die Waffen schweigen sollten, um es den Zivilisten zu ermöglichen, das von den Befreiungstigern kontrollierte Gebiet zu verlassen und sich in die Gewalt der Regierungstruppen zu begeben, mußten die Flüchtenden erleben, daß von seiten der Armee weiter geschossen und das Gebiet bombardiert wurde.

Als die Armee am 2. Januar die "politische" Hauptstadt der Tamilenbewegung, Kilinochchi, und am 25. Januar ihr militärisches Zentrum, Mullaithivu, einnahm, wechselten jeweils nur wenige hundert tamilische Zivilisten in das von der Armee beherrschte Gebiet über. Der von Rebellenseite erhobene Vorwurf, die Armee würde ohne Rücksicht auf Unbeteiligte das Gebiet angreifen, läßt sich von unabhängiger Seite ebensowenig bestätigen oder widerlegen wie der Vorhalt der Armee, die Rebellenorganisation würde die tamilischen Zivilisten gegen ihren Willen als menschliche Schutzschilde mißbrauchen. Dieser Vorwurf wurde von den Tamilentigern bestritten. Ihr Politchef B. Nadesan bezeichnete diese Behauptung als reine Propaganda und erkläre, die LTTE nehme weder zivile Geiseln noch würde sie Menschen als Schutzschilde benutzen. In dieser Frage steht zwar, wie es scheint, Aussage gegen Aussage, Behauptung gegen Behauptung und Beschuldigung gegen Beschuldigung; der Gesamtkontext dieses höchst asymmetrischen Krieges einer bewaffneten Aufstandsbewegung, die wie nie zuvor in dem inzwischen 25jährigen Bürgerkrieg militärisch in die Defensive gedrängt wurde, und einer regulären und gutausgerüsteten Armee wie der srilankischen, läßt es jedoch angeraten sein, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß dieser Krieg eine internationale Kompomente aufweist, die seine Beendigung sowie eine politische Lösung extrem erschwert.

Die Haltung der sogenannten internationalen Gemeinschaft, für die der jüngste Appell des UN-Generalsekretärs, der von der LTTE verlangte, ihre Waffen und Kämpfer aus dem Gebiet, in dem sich die Zivilisten aufhalten, zu entfernen und die Rekrutierung von Kindern zu beenden, während Colombo lediglich aufgefordert wurde, die Ursachen des Konfliktes zu lösen, ein typisches Beispiel lieferte, ist keineswegs die eines neutralen Vermittlers. Das Schweigen der Weltgemeinschaft und ihrer offiziell mit der Bewahrung des Friedens beauftragten UN-Gremien erteilen, wenn auch indirekt, diesem Krieg, bei dem Staatspräsident Rajapakse stets betont, daß es um die "Ausrottung des Terrorismus" gehe, ihren Segen. Es geht in diesem Krieg längst nicht mehr um Gebietsgewinne oder -verluste der einen oder anderen Seite oder die ihm zugrundeliegende, auf der jahrzehntelangen Diskriminierung und Unterdrückung der tamilischen Bevölkerung beruhende politische Forderung der Tamilen nach Eigenstaatlichkeit.

Die Regierung Sri Lankas befindet sich aufgrund der militärischen Kräfteverhältnisse in der Lage, ihren Gegnern die Bedingungen diktieren zu wollen - und die bestehen nun einmal in der völligen Kapitulation bzw. militärischen Vernichtung. Von seiten der tamilischen Kämpfer ist zu keinem Zeitpunkt eine solche Weigerung, mit der Gegenseite überhaupt Gespräche zu führen, geäußert worden, und so forderte Nadesan erst vor kurzem wieder einen unter internationaler Vermittlung eingeleiteten Waffenstillstand, um auf dieser Basis politische Verhandlungen zur Lösung dieses ethnisch-sozialen Konfliktes zu führen. Würde dieses Angebot ernstgenommen werden, könnte sofort die lebensbedrohliche Situation der rund 150.000 in der Todeszone eingesperrten Menschen aufgehoben und mit allen nur erdenklichen Mitteln ihre humanitäre Versorgung sichergestellt werden.

Allein, weder die Regierung Sri Lankas noch die maßgeblichen Staaten der westlichen Interessengemeinschaft gehen auf dieses Anerbieten ein, und so steht zu befürchten, daß in dem vermeintlichen Bürgerkrieg Sri Lankas die Durchsetzung westlicher Hegemonialinteressen eine weitaus größere Rolle spielt, als dies gemeinhin angenommen oder auch nur in Betracht gezogen wird. Die humanitäre Notlage von über 150.000 Menschen könnte dabei sogar in besonders perfider Weise als strategisches Faustpfand eingesetzt werden, weil sie zur Vorwandslage für die Stationierung ausländischer Truppen mißbraucht zu werden droht. Damit hat es folgende Bewandnis: Wie die srilankische Sunday Times erstmals am 22. Februar berichtete, soll es eine von der US-Armee geführte Militäroperation im Nordosten Sri Lankas geben, bei der es angeblich um die Evakuierung der Zivilisten gehen soll.

Während die srilankische Armee ihre Offensive fortsetzt (und weder von den Vereinten Nationen, den USA oder der EU aufgefordert wird, die Angriffe auf bzw. die Einkesselung der tamilischen Befreiungsorganisation abzubrechen), soll die dadurch erst entstandene humanitäre Katastrophe als Vorwandslage herhalten, um ausländische Truppen auf dem Inselstaat zu stationieren. Diese sollen, angeblich mit einer humanitären Mission, nämlich dem Schutz der zwischen den Fronten stehenden und gefährdeten Zivilbevölkerung betraut, die unmittelbaren Folgen eines Krieges minimieren helfen, den die Regierung Sri Lankas wohl kaum ohne - und sei es eine klammheimliche - Rückendeckung der größten westlichen Staaten durchführen würde. Eine Evakuierung zigtausender durch Krieg und eine extreme Mangelversorgung gefährdeter Menschen wäre ungleich unaufwendiger durchzuführen, würde sich die Regierung Sri Lankas, wie von der LTTE vorgeschlagen, zu einem Waffenstillstand und politischen Verhandlungen bereitfinden.

Somit steht zu befürchten, daß die Implementierung westlicher, und das heißt US-amerikanischer Streitkräfte auf diesem für Washington globalstrategisch keineswegs unbedeutenden Inselstaat im Indischen Ozean, neben den Interessen der singhalesisch-buddhistischen Regierungsmacht Sri Lankas an einer unanfechtbaren Alleinherrschaft im Lande der eigentliche Zweck dieses militärisch von seiten der Armee in die Eskalation getriebenen Konfliktes sein könnte. So will die Sunday Times auch in Erfahrung gebracht haben, daß die Regierung Sri Lankas diese angeblich humanitäre Operation auch gegen den Widerstand der LTTE erlauben würde. Eine Expeditionsbrigade der US-Marine unter dem Kommando des US Pacific Command soll mit der Vorbereitung der Mission bereits beauftragt worden sein, doch auch die Air Force sowie die Navy der US-Streitkräfte sollen beteiligt werden. Hochrangige US-Militärs sind der Zeitung zufolge bereits im Februar in Colombo eingetroffen, um die Operation vorzubereiten. Der Außenminister Sri Lankas, Rohitha Bogollagama, soll erklärt haben, er sei über die von den USA angeführte, beabsichtigte "humanitäre Task-Force" informiert.

In die geostrategischen Überlegungen Washingtons mag wohl hineingespielt haben, daß ein militärischer Stützpunkt auf Sri Lanka und damit inmitten des südasiatischen Raumes zur Kontrolle dieser Region ebenso nützlich sein würde wie in Hinsicht auf die vom neuen US-Präsidenten Barack Obama zum Kriegsgebiet der Zukunft Nr. 1 erklärte Region in und um Afghanistan und Pakistan. Unweit des jetzigen Kriegsgebietes im Nordosten der Insel, genauer gesagt in der südlich der Todeszone gelegenen Ostküstenstadt Trincomalee, befindet sich ein Tiefseehafen, der Begehrlichkeiten des US-Militärs geweckt haben dürfte. Sollte es in absehbarer Zeit zu der angekündigten, vorgeblichen Nothilfe-Maßnahme westlicher Truppen unter Führung der USA - neben Frankreich soll auch der US-Verbündete im südostasiatischen Raum, Indien, seine Hilfe bei der Evakuierung angeboten haben - kommen, wäre leicht plausibel zu machen, warum weder der "extrem besorgte" UN-Generalsekretär noch ein anderer Repräsentant der sogenannten internationalen Gemeinschaft die kategorische Forderung an die Regierung Sri Lankas erhoben hat, einem bedingungslosen Waffenstillstand zur Beendigung der humanitären Katastrophe zuzustimmen.

6. März 2009