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DILJA/1131: Kein Trinkwasser in Gaza - für das Weltwasserforum kein Thema (SB)


Appell-Kultur in Hochpotenz - das Weltwasserforum wünscht sich eine bessere Welt mit Trinkwasser für alle Menschen

Der blockadebedingte Trinkwassermangel im Gazastreifen ist keinen Appell wert


Vom 16. bis 22. März fand in Istanbul unter Beteiligung von rund 27.000 Politikern, Fachleuten und Aktivisten das Weltwasserforum statt - angeblich, um sich dem Problem zu widmen, wie Millionen Menschen weltweit "besser" mit sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen versorgt werden könnten. Die Delegierten aus über einhundert Ländern, die während der siebentägigen Konferenz in der türkischen Hauptstadt eine nicht unerhebliche Menge an Wasser und sonstigen Mangelwaren des täglichen Überlebens verbraucht haben, riefen in ihrem Schlußdokument dazu auf, "mehr" Menschen Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Versorgung zu verschaffen. Ein solches, auf einem derartigen Aufwand beruhendes Ergebnis kann nur bestätigen, was schon zuvor abseh- und vorhersagbar war; nämlich daß eine Appell-Kultur, die in ihrem Kern keinerlei Streitbarkeit freisetzt oder auch nur zu konfrontativen Fragestellungen führt, ausschließlich den Zweck erfüllen soll, das qualvolle Sterben und Siechtum von mit Wasser und allem übrigen mangelversorgten Menschen durch absichtlich immer wieder geschürte Hoffnungen auf Besserung zu begleiten.

An dieser Tatsache ändert auch das Alternativ-Schlußdokument nichts, das von einer Gruppe von 20 Staaten, die mit dem Wortlaut der offiziellen Abschlußerklärung nicht einverstanden waren, verfaßt wurde. Diese Gruppe, zu der Staaten wie Spanien, die Schweiz, Bangladesch und Südafrika gehören, verabschiedete ein eigenes Dokument, in dem im Gegensatz zum offiziellen Papier ein Grundrecht auf Wasser ausdrücklich anerkannt wurde. In dieser Frage hatten sich die Konferenzteilnehmer in Istanbul nicht einigen können, obwohl sich beide Standpunkte nur graduell unterscheiden und auch diejenigen, die ein Recht auf Trinkwasser gewährt sehen wollen, nur umso glaubwürdiger eine Appell-Kultur in Anspruch nehmen, die nicht im mindesten geeignet ist, zur Lösung oder Inangriffnahme des wohl prekärsten Überlebensproblems auch nur das Geringste beizutragen.

Das Weltwasserforum tritt in dreijährigem Abstand zusammen, um das durch seine eigene bloße Existenz gegebene Versprechen, es würde sich ein Gremium sachkompetenter Experten und umsetzungsfähiger Politiker dieses Menschheitsproblems annehmen, immer wieder aufs Neue mit neuen Absichtserklärungen zu befüttern. Die Forderung, ein Menschenrecht auf Wasser zu etablieren, wurde schon 2006 beim Weltwasserforum in Mexiko erhoben. Sie konnte jedoch ebensowenig wie bei der jetzigen Großkonferenz in Istanbul durchgesetzt werden, so daß der Eindruck genährt wird, es müßten sich weltweit nur noch sehr viel mehr Menschen für die Gewährung eines solchen Rechts einsetzen, um eine tatsächliche Verbesserung erwirken zu können. Eine solche Perspektive enthält und bestätigt die Grundannahme, daß ein solches Recht, selbst wenn es vor welcher Instanz auch immer juristisch einklagbar wäre, den für Millionen Menschen schon heute lebensbedrohlichen und tödlichen Wassermangel beheben könnte.

In Istanbul wurden anläßlich des Weltwassertages, eines offiziellen UN-Feiertages am 22. März, gemeinsame Anstrengungen zur Lösung der Konflikte um Wasser, für dessen bessere Nutzung und Verteilung sowie gegen Überschwemmungen und Dürren beschworen. Da die internationale Raubordnung, die das Überleben des kleineren Teils der Menschheitsbevölkerung zu Lasten der überwiegenden Mehrheit sichert, mit keiner Silbe erwähnt und schon gar nicht als eklatanter Hinderungsgrund für geringfügigste Reformen benannt wurde, kann das Weltwasserforum nur Bestandteil des Problems und nicht der Lösung sein. Die erneuerten Rundum-Appelle für eine bessere Welt suggerieren, daß der weltweite Wassermangel, durch den bereits Millionen Menschen mittelbar und unmittelbar ums Leben kommen bzw. extrem gefährdet sind, wäre eine Art Naturphänomen, dem insbesondere auch der reiche Norden überaus wohlwollend, wenn auch hilflos, gegenüberstünde.

Die Bereitschaft, gegenüber diesem Problem eine streitbare Position zu entwickeln, war auf der Istanbuler Konferenz nicht etwa nur an den Rand gedrängt, sondern gar nicht vorhanden. Das ergibt sich aus dem Konzept der gesellschaftlichen Kräfte und internationalen Akteure, die solch ein Event veranstalten und Medienarbeit betreiben mit dem Ziel, ein reibungsloses Krisenmanagement im Interesse derjenigen zu gewährleisten, die sich die Verfügung über Wasser wie auch sämtliche übrigen Sourcen längst angeeignet haben und diese mit Zähnen und Klauen zu verteidigen im Begriff stehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß diese Protagonisten weltweit administrativer Bestrebungen, immer mehr Menschen von dem Zugang zu Trinkwasser und Nahrungsmitteln auszugrenzen, ohne daß diese gegen das ihnen zugedachte Schicksal aufbegehren könnten, in ihrer Abschlußerklärung kein Wort über die Situation im Gazastreifen verloren haben.

Das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes hatte das Weltwasserforum zum Anlaß genommen, auf die Not der Menschen in Krisengebieten wie Somalia, Sri Lanka, Irak und dem Gazastreifen hinzuweisen. Nach Informationen des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) sind zehn Prozent der anderthalb Millionen Menschen zählenden Bevölkerung des Gazastreifens nicht ausreichend mit Wasser versorgt. 50.000 Palästinenser haben überhaupt keinen Zugang zu Wasser, unter ihnen befinden sich mit 28.000 in etwa so viele Kinder, wie Delegierte am Weltwasserforum in Istanbul teilgenommen haben. Rund einhunderttausend Palästinenser, 56.000 von ihnen Kinder, können nur einmal in der Woche Wasser bekommen.

Durch den jüngsten Krieg der israelischen Armee sowie die noch immer anhaltende Blockadepolitik Israels hat sich die Not im Gazastreifen noch verschärft. Da die Wasserversorgungssysteme durch den Krieg beschädigt wurden, jedoch nur ein Bruchteil der erforderlichen Ersatzteile und Materialen in den Gazastreifen eingeführt werden kann und noch dazu aufgrund der vielen Stromausfälle Notstromaggregate und Kläranlagen nicht voll funktionsfähig sind, müssen ungeklärte Abwässer in die See gepumpt werden, von wo aus sie ins Grund- und Trinkwasser sickern und dieses kontaminieren. Die Qualität des Trinkwassers ist mittlerweile so schlecht, daß es für Menschen nicht mehr geeignet ist. Jüngste Untersuchungen ergeben, daß 45 von 248 Trinkwasserproben kontaminiert waren. Da die israelische Regierung, wie das OCHA bestätigte, nach wie vor nur 127 LKW täglich für die Versorgung von eineinhalb Millionen Menschen die Grenzen in den Gazastreifen passieren läßt, wird sich an diesem schleichenden Mord durch Trinkwassermangel und -kontamination nichts ändern.

Das Weltwasserforum allerdings ist nicht im mindesten daran interessiert, seine Stimme für die Interessen der Palästinenser im Gazastreifen und anderer notleidender Menschen und Völker in einer anderen Weise als deren administrative Entsorgung befördernd zu erheben - andernfalls wäre ein Konflikt mit Israel und anderen Staaten und Interessengruppen, die aus den vorherrschenden Verfügungsverhältnissen ihren Nutzen zulasten anderer Menschen und verarmter Regionen zu ziehen imstande sind, längst entbrannt.

23. März 2009