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DILJA/1157: Internierungslager Sri Lankas demaskieren jede Menschenrechtsrhetorik (SB)


Hunderttausende tamilische Kriegsgefangene der srilankischen Armee schutzlos ausgeliefert

Das internationale System humanitärer Schutzversprechen durch die Existenz der Internierungslager entlarvt


Als UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am 23. Mai als erster westlicher Beobachter eines der Internierungslager der srilankischen Armee für tamilische Kriegsüberlebende besuchen durfte, erklärte er anschließend, "nirgendwo schlimmere Szenen gesehen" zu haben. Für die betroffenen Internierten ist diese Äußerung des höchsten Funktionärs der Vereinten Nationen ebenso folgenlos geblieben wie Bans vorherige Appelle und an die Regierung Sri Lankas gerichteten Forderungen, internationalen Helfern doch endlich Zugang zu den Flüchtlingen zu gewähren. Das internationalisierte System eines angeblich gewährten humanitären Schutzes wurde und wird am Beispiel dieses Bürgerkriegs durch UN-Repräsentanten wie auch führende Politiker westlicher Staaten als ein Instrumentarium zur Durchsetzung hegemonialer Eigeninteressen bloßgestellt, das unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung gebracht wird und unter anderen eben nicht.

Vor zehn Jahren mußte der damals schon institutionell eingebundene und damit auch inhaltlich diskredierte internationale Kampf gegen Folter und gewaltsame Repressionen aller Art unter dem Label "Menschenrechte" dafür herhalten, einen Krieg zu legitimieren, der gänzlich anderen als den damit vorgetäuschten Zielen diente. Unter dem Vorwand, die von serbischen bzw. jugoslawischen Sicherheitskräften an Kosovo-Albanern in der serbischen Provinz Kosovo verübten Menschenrechtsverbrechen verhindern zu wollen, wurde seitens der NATO gegen das UN-Mitglied Jugoslawien ein Bombenkrieg geführt, in dem erstmals in der neueren Kriegsgeschichte das Fehlen eines UN-Mandats mit dem bloßen Anspruch, ihn "humanitär" rechtfertigen zu können, schein-kompensiert. Das in der Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bedacht festgelegte Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse eines Staates wurde 1999 endgültig über Bord geworfen durch das Postulat eines angeblich höheren, weil humanitären Wertes.

Die völlige Beliebigkeit der Anwendung dieses oder eben auch jenes Prinzips seitens der sogenannten internationalen Gemeinschaft offenbart nicht etwa einen Mangel an politischer Moral oder Logik, sondern bestätigt, was ohnehin auf der Hand liegt: Die Postulierung und anschließende Inanspruchnahme oder auch Nicht-Inanspruchnahme global gültiger Prinzipien dient der Durchsetzung spezifischer Interessen derjenigen, die über die Definitionshoheit sowie die gewaltsamen und administrativen Durchsetzungsmittel verfügen. Hätten führende Staaten der Welt ein Eigeninteresse daran gehabt, die militärische Offensive der Regierung Sri Lankas, mit der diese im August 2006 unter Bruch des Waffenstillstandsabkommen von 2002 begonnen hatte, den seit 1983 mit Waffengewalt geführten Befreiungskampf der schon lange zuvor unterdrückten tamilischen Minderheit des Landes gewaltsam zu beenden, hätten sie sich des gleichen Instrumentariums offener wie indirekter Mittel bedienen können wie im Krieg gegen Jugoslawien.

Tatsächlich jedoch machten die Vereinten Nationen nicht nur keinen Gebrauch von ihren Sanktionsmöglichkeiten, um die Regierung Sri Lankas zur Einhaltung minimaler Forderungen wie etwa der, internationalen Hilfsorganisationen Zugang zu den Internierungslagern zu gewähren; sie deckten durch entsprechende Erklärungen sogar die Internierungspolitik Colombos. Die Widersprüche und Ungereimheiten, die dabei nahezu zwangsläufig produziert werden, offenbaren das "falsche Spiel", das die Vereinten Nationen bzw. die sie dominierenden westlichen Staaten mit der tamilischen Bevölkerung Sri Lankas treiben. So hatten bereits am 18. Mai unmittelbar nach dem von der Armee Sri Lankas beendeten Bürgerkrieg die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel in einer gemeinsam verfaßten Erklärung eine Untersuchung über die begangenen Völkerrechtsverstöße gefordert sowie an Colombo appelliert, ausländischen Hilfsorganisationen vollen Zugang zu dem Konfliktgebiet zu gewähren und mit den Vereinten Nationen bei der Bewältigung der humanitären Krise zu kooperieren.

Nichts von alldem ist seither geschehen, ohne daß die EU-Außenminister nennenswerte Anstrengungen unternommen hätten, die Regierung Sri Lankas zum Einlenken zu bewegen. Die deutsche Bundesregierung hatte zwei Tage nach Kriegsende ihre Bereitschaft erklärt, die Unterbringung der rund 300.000 tamilischen Flüchtlinge in Lagern der srilankischen Armee mit fünf Millionen Euro finanziell zu unterstützten unter der Bedingung, daß den Hilfsorganisationen ungehinderter Zugang gewährt werde. Doch eben dies geschah nicht, was zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß gibt, weil es für Armee und Regierung Sri Lankas offensichtlich zwingende Gründe gibt zu verhindern, daß die tamilischen Kriegsüberlebenden ausländischen Helfern erzählen können, was mit ihnen geschah und noch immer geschieht. Da nicht nur internationalen Helfern, sondern auch der Presse der Zugang zu den Lagern ebenso verweigert wird wie zuvor zu der Kriegszone, in der in den letzten Kriegstagen und -wochen ein regelrechtes Blutbad an tamilischen Zivilisten stattgefunden hat, liegt die Deutungshoheit über das Geschehen allein bei der Regierung Sri Lankas und den mit ihr verbündeten internationalen Staaten.

Der Kampf um "Wahrheiten" wird in diesem Krieg an der medialen Front unter aktiver Beteiligung auch der Vereinten Nationen geführt. Nach tamilischen Angaben hat die srilankische Armee in der letzten Kriegsphase das nur noch ein Quadratkilometer große Kampfgebiet unter Artilleriefeuer genommen, obwohl sich in ihm tamilische Zivilisten befanden, deren Zahl die Vereinten Nationen auf 50.000 schätzten. Auch das einzige Behelfskrankenhaus wurde angegriffen. Nach Kriegsende, am 20. Mai, forderte Selvarasa Pathmanathan, bei der LTTE zuständig für internationale Beziehungen, die Weltgemeinschaft zu einem raschem Eingreifen auf, damit es nicht zu "weiteren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gegen Tamilen in Sri Lanka komme.

Erschütternde Berichte über die Lage tamilischer Zivilisten gab es schon in den ersten Tagen nach der Beendigung der Kämpfe. So schilderte die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" gegenüber dpa, daß täglich etwa 10.000 Menschen aus dem ehemaligen Kampfgebiet in den Nachbarbezirk Vavunija kämen und daß viele von ihnen Schuß- und Splitterwunden hätten. Das Deutsche Rote Kreuz berichtete über die katastrophale Lage der unterernährten und traumatisierten Flüchtlinge. Caritas International forderte Colombo auf, den Organisationen Zutritt zu den Lagern zu verschaffen, in denen 250.000 Tamilen unterbracht werden. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind diese Lager überfüllt und die Menschen nicht ausreichend versorgt.

Die Generalsekretärin von Amnesty International, Khan, forderte die Weltgemeinschaft zudem auf, Druck auf die Regierung Sri Lankas auszuüben, um eine unabhängige Untersuchung über die Kämpfe in den zurückliegenden Wochen durchzusetzen. Doch all dies sind fruchtlose Appelle und Forderungen. Die Regierung Sri Lankas stellt sich auf den Standpunkt, die rund 300.000 eingepferchten Tamilen erst wieder freizulassen, wenn sie die unter ihnen womöglich versteckten Kämpfer ausfindig gemacht habe. Längst kursieren Gerüchte, daß es in den Lagern zu gewaltsamen Übergriffen und Vergewaltigungen durch die srilankische Armee kommt, der die tamilischen Flüchtlinge wehrlos ausgesetzt sind. Für die Vereinten Nationen wäre es ein Leichtes, der Regierung Sri Lankas Sanktionen anzudrohen und gegebenfalls auch zu verhängen, um hunderttausenden Menschen durch die Präsenz internationaler Organisationen in den Lagern einen notdürftigsten Schutz zu gewähren.

Doch davon kann keine Rede sein. Es mehren sich sogar Anzeichen, denen zufolge die Vereinten Nationen die Zahl der durch die Angriffe der srilankischen Armee getöteten Zivilisten niedriger angegeben haben, als sie es tatsächlich waren. So hatten die britische Times und die französische Zeitung Le Monde Ende Mai berichtet, daß in den letzten Kriegswochen über 20.000 Zivilisten durch die Armee getötet wurden. Unter Berufung auf UN-Quellen gaben sie an, daß die Zahl getöteter Zivilisten Ende April bei 7000 gelegen habe und daß danach bis zum Ende der Kämpfe am 19. Mai täglich eintausend Menschen getötet worden seien. Nach Angaben der Frankfurter Rundschau vom 4. Juni habe UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, um die Regierung in Colombo "nicht zu verärgern", die Opferzahlen stark nach unten korrigiert. Bans Kabinettchef Vijay Nambiar habe, nachdem er von Delegierten vor Ort darüber informiert worden sei, daß mindestens 20.000 Menschen umgekommen sind, von einem "Blutbad" gesprochen, was die Regierung "verärgert" habe.

Ban Ki Moon wies den Vorwurf, die Opferzahlen manipuliert zu haben, umgehend zurück. Hätte er dies bestätigt, wäre das internationale System humanitärer Hilfs- und Schutzversprechen, wie es nicht unwesentlich in Gestalt der Vereinten Nationen manifestiert wurde, erheblich diskreditiert gewesen. Die Regierung in Colombo befindet sich allem Anschein nach in einer solch gestärkten Position, daß sie es sich sogar herausnehmen zu können glaubt, alle Kritiker an ihrer Kriegs- und Internierungspolitik zu verunglimpfen. Während in der Hauptstadt Siegesparaden durchgeführt wurden, auf denen die Regierung ihre militärische Stärke durch Paraden mit Panzern und Raketenwerfern demonstrierte, wurde verlautbart, es sei den "Terroristen" der LTTE gelungen, andere Staaten dazu zu bringen, "Druck" auf Sri Lanka auszuüben.

Dies ist nicht zuletzt auf diejenigen westlichen Staaten gemünzt, die im UN-Menschenrechtsrat das System humanitärer Schutzversprechen, das sich stets zu Kriegs- und Interventionszwecken in Stellung bringen läßt, durch die Forderung nach einer Untersuchung der von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen davor bewahren wollten, jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren. Bekanntlich ist dieser Versuch gescheitert, der UN-Menschenrechtsrat nahm eine von Sri Lanka als einem Nichtteilnehmerstaat selbst vorgelegte (!) Resolution an, in der der Sieg der srilankischen Armee ausdrücklich gelobt und der Regierung das Recht zugestanden wird, selbst zu bestimmen, ob und wann Helfern Zugang zu den Lagern gewährt wird. In ihnen müssen auf unabsehbare Zeit hunderttausende Tamilen unter katastrophalsten Bedingungen - es fehlt an Wasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung, die hygienischen Verhältnisse sind mangelhaft - und ihrer Freiheit beraubt leben.

Am 3. Juni erklärte der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse, es sei jetzt an der Zeit, die "Herzen der Tamilen" zu gewinnen. "Sie sollten ohne Angst und Mißtrauen leben können", erklärte er. Worte dieser Art sind an die Adresse der internationalen Partner Sri Lankas gerichtet, da diese ein profundes Interesse an der Aufrechterhaltung eines humanitären Anscheins - wie brüchig auch immer - haben müssen. In den stacheldrahtumzäunten und vom Militär schwer bewachten Internierungslagern werden unterdessen die Verhöre fortgesetzt, durch die "abgetauchte Rebellen" identifiziert werden sollen. Da jegliche internationale Kontrolle und Überwachung der Verhältnisse in diesen Lagern fehlt bzw. systematisch unter Beteiligung der Vereinten Nationen wie auch der höchst schweigsamen westlichen Staaten unterbunden wurde, hat die Armee in diesen Verhören vollkommen freie (Folter-) Hand.

8. Juni 2009