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DILJA/1229: Es gibt kein "wir" - Kopenhagener Klimagipfel entlarvt sich selbst (SB)


Der Kopenhagener Gipfel suggeriert ein "wir", das es unter den Bedingungen kapitalistischer Verwertung nicht geben kann

Wut und Enttäuschung über sein Scheitern können den Weg ebnen für eine Politisierung drängender Menschheitsfragen


Nach zwei Jahren intensiver Vorbereitungszeit endete der Kopenhagener Klimagipfel, an dem die 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonferenz sowie die 189 Mitglieder des Kyoto-Protokolls teilnahmen, mit weniger als gar nichts. Wut und Enttäuschung herrschen unter etlichen Beteiligten, aber auch vielen Nichtregierungsorganisationen vor, die sich von dem Gipfel verbindliche Beschlüsse erhofft hatten, mit deren Umsetzung die drängenden Menschheitsprobleme, so sie unter den Begriff Klimakatastrophe und deren Auswirkungen subsumiert werden können, wenn nicht zu lösen, so doch zumindest in ihrer weiteren Negativzuspitzung abzuschwächen seien. Doch wie niedrig die Meßlatte auch immer angelegt worden sein mochte, um dem Treffen von über 120 Staats- und Regierungschefs in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen irgendwie etwas Positives abzugewinnen - es traf nicht ein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor ihrer Abreise im Bundestag eingeräumt, daß man sich ein Scheitern der Verhandlungen eigentlich nicht leisten könne. "Wenn wir jetzt nicht die notwendigen Weichenstellungen vornehmen, riskieren wir dramatische Schäden", so die Kanzlerin. Und tatsächlich riskieren "wir" nun "dramatische Schäden", wurde doch das Gipfeltreffen beendet, ohne daß sich die Regierungsvertreter auch nur auf eine - wie geringfügig auch immer ausformulierte - verbindliche Erklärung hätten einigen können. Die Gipfelverantwortlichen lieferten zudem noch ein Schauspiel ab, welches das zutiefst undemokratische Verhältnis zwischen den reichen Industriestaaten und der übrigen, von ihnen weitgehend dominierten Staatenwelt kaleidoskopartig in Szene setzte. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion präsentierte ein Zusammenschluß von etlichen EU-Staaten, den USA und Rußland, der sich als "friends of the chair" (Freunde des Vorsitzenden) bezeichnete, ein vermeintliches Abschlußdokument, das außer ihnen niemand kannte und über das auf dem Gipfel überhaupt nicht diskutiert worden war.

Mit einem Tag Verspätung - eigentlich sollte der Gipfel schon am vergangenen Freitag beendet werden - wurde am Samstag früh die Zurkenntnisnahme eines als "Kopenhagener Erklärung" bezeichneten Papiers verkündet, das in kleiner Runde in der Nacht zuvor von nur 28 Teilnehmerstaaten ausgehandelt und von der überwiegenden Mehrheit schon allein deshalb abgelehnt worden war. Die Schilderung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez in dessen am vergangenen Mittwoch auf dem Gipfel gehaltener Rede über das Auftauchen eines "Geheimdokuments", wie er es nannte, ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich [1]:

Ich war gerade erst angekommen und wir waren dabei uns hinzusetzen, als wir die Präsidentin der vorherigen Sitzung, die Ministerin, sagen hörten, dass da ein Dokument aufgetaucht sei, aber eins, das keiner kennt. Ich habe nach dem Dokument gefragt, wir haben es noch nicht vorliegen, ich glaube niemand hier weiß etwas von diesem Top-Secret-Dokument. Nun ist das gewiss nicht demokratisch, die bolivianische Genossin hat es gesagt, es bezieht nicht alle mit ein, also, meine Damen und Herren: Ist das vielleicht nicht genau die Realität dieser Welt? Befinden wir uns etwa in einer demokratischen Welt? Bezieht denn etwa das weltweite System alle mit ein? Können wir denn überhaupt irgendetwas Demokratisches vom gegenwärtigen weltweiten System erwarten? Was wir auf diesem Planeten erleben, ist doch eine imperiale Diktatur und so fahren wir von diesem Platz aus zu fort öffentlich zu bekunden: Nieder mit der imperialen Diktatur! Es leben die Völker und die Demokratie und die Gleichheit auf diesem Planeten!

Nur sehr wenige Worte des venezolanischen Präsidenten, der wie auch sein bolivianischer Amtskollege Evo Morales als Vertreter der "Bolivarischen Allianz für Amerika" (ALBA), einem Zusammenschluß der linksgerichteten Staaten Lateinamerikas, nach Kopenhagen gereist war, wurden von der hiesigen Presse, wenn überhaupt, aufgegriffen. So wurde durchaus kolportiert, Chávez habe Aufsehen erregt, indem er "Nieder mit der imperialistischen Diktatur" in den Saal gebrüllt habe; der politische Kontext hingegen wurde in aller Regel vollständig ausgeblendet. Die dänische Polizei, aber auch die Konferenzleitung hatte sich noch einiges mehr einfallen lassen, um die beiden ALBA-Staatschefs daran zu hindern, ihre Standpunkte auf der Konferenz wie auch gegenüber der kritischen Öffentlichkeit uneingeschränkt darzulegen.

Schon bei seiner Ankunft wurde Chávez, was für den Empfang eines Staatschefs eine absolut unübliche Prozedur darstellte, auf dem Flughafen 45 Minuten lang mit einer Gepäckkontrolle, wie es hieß, aufgehalten. Mittwochabend verhinderte die Kopenhagener Polizei, indem sie die Wagenkolonne mit dem venezolanischen Präsidenten aufhielt, dessen mit Gewerkschaftern und sozialen Organisation verabredetes Treffen. Auf dem Klimagipfel selbst bot sich keine Handhabe, ihm das ihm wie allen anderen Staatschefs zustehende dreiminütige Rederecht zu entziehen. Anhand seiner Ausführungen, die hier stichprobenartig wiedergegeben werden, zeichnete sich ab, warum die die Klimakonferenz kontrollierenden Kräfte nicht gerne hören, was dieser Teilnehmer zu sagen hat, und es auch nicht gerne sehen, wenn die von Chávez angesprochenen Argumente und Ideen eine weitere Verbreitung finden würden:

Und das, was wir hier sehen, spiegelt genau dies wieder: den Ausschluss. Es gibt eine Gruppe von Ländern, die sich für überlegen halten, gegenüber uns, die wir aus dem Süden sind, uns, die wir aus der Dritten Welt sind, die wir unterentwickelt sind, oder wie unser großer Freund Eduardo Galeano sagt: Wir sind die abgewickelten, die überfahrenen Länder, als ob uns ein Zug der Geschichte überfahren hätte. Wir sind also nicht gerade erstaunt, nicht verwundert darüber, dass es keine Demokratie gibt auf der Welt und so sehen wir uns einmal mehr einer offensichtlichen weltweiten imperialen Diktatur gegenüber.

Unter anderem hört man zwei besonders mächtige Parolen. Die eine: Ändert nicht das Klima, ändert das System. Und die nehme ich für uns in Anspruch: Lasst uns nicht das Klima ändern! Lasst uns das System ändern! Und als Schlussfolgerung daraus fangen wir an, den Planeten zu retten. Der Kapitalismus, das Modell der zerstörerischen Entwicklung, ist dabei das Leben zunichte zu machen, er droht die Gattung Mensch endgültig zu vernichten.

Kapitalismuskritische Töne dieser Art sind das pure Gift aus der Sicht derjenigen, die sich berufen fühlen, dieses Verwertungssystem auf Biegen und Brechen und unter fortgesetzter Ignoranz aller noch so gut begründeter Argumente zu verteidigen - und sei es mit rabiaten, undemokratischen Methoden bis hin zum Einsatz repressiver Gewalt. Mit letzterem mußten die annähernd einhunderttausend Demonstranten und Aktivisten, die in die dänische Hauptstadt gekommen waren, um ihren Protest zu artikulieren, aufs Unangenehmste Bekanntschaft machen. So wurden von der dänischen Polizei in den zwei Gipfelwochen über 1.800 Menschen präventiv verhaftet, ohne daß es in Kopenhagen zu Krawallen oder ähnlichem gekommen wäre, das sich als - wenn auch nachträgliche - Rechtfertigung willkürlicher Inhaftierungen hätte anführen lassen. Die Festgenommenen wurden auf demütigende Weise behandelt; sie mußten teils in der Kälte auf dem Boden sitzend stundenlang ausharren oder wurden in Käfige gesperrt. Polizisten patrouillierten mit Hunden zwischen den Gefangenen und setzten Pfefferspray ein.

Nicht einmal akkreditierte Gipfelteilnehmer blieben von den Repressalien verschont. Der Umgang mit der (kritischen) Öffentlichkeit außerhalb der Konferenzräume stellte ein sinnfälliges Äquivalent dar zu der Schmierenkomödie, die in deren Innenräumen aufgeführt wurde und die als ein - wenn auch gescheitertes - Täuschungsmanöver bezeichnet werden kann. Gegenstand der Täuschung bzw. des Täuschungsversuchs waren keineswegs die Klimafragen oder die zur Beseitigung bzw. Verhinderung der Klimakatastrophe in die Diskussion eingeführten Lösungsvorschläge und -konzepte. Gegenstand der Täuschung war einzig und allein die Behauptung, es säßen alle Staaten der Erde, ergo auch alle Bewohner des Planeten, "in einem Boot" und würden, in würdiger Vertretung durch die von ihnen gewählten politischen Repräsentanten, nun händeringend einen Weg aus der Krise suchen.

Am Freitag versuchte die Tagungsleitung, eine von den ALBA-Vertretern anberaumte Pressekonferenz vorzeitig zu beenden. Der Anweisung der Organisatoren, den Konferenzsaal zu räumen, widersetzten sich die lateinamerikanischen Staatschefs, woraufhin ihnen kurzerhand der Strom abgestellt wurde. Augenscheinlich ist den Vertretern der westlichen Führungsstaaten kein Winkelzug zu schäbig und kein diplomatisches Manöver zu dämlich, um die wenigen kritischen Stimmen, die sich aus den Reihen der Teilnehmer gegen ihre Vorherrschaft erheben, zum Schweigen zu bringen. Hugo Chávez ließ sich nicht beirren, die Pressekonferenz der ALBA-Staaten wurde zu Ende geführt. In seiner offiziellen Konferenzrede hatte der Venezolaner, wie wenn er diese Winkelzüge vorausgeahnt hätte, schon erklärt [1]:

Es gibt einige Länder, die dabei sind, Spielchen zu spielen, damit hier kein Dokument zustande kommt, weil sie genau kein Gesetz wollen. Sie wollen keine Vorschrift, weil die Inexistenz dieser Norm es ihnen erlaubt, ihre ausbeuterische Freiheit auszuspielen, ihre überwältigende Freiheit.

Der bolivianische Präsident Morales stellte ebenfalls klar, daß seiner Meinung nach der Kapitalismus überwunden werden müsse, bevor die drängenden Probleme der Menschheit in Angriff genommen werden können, verwies in seiner Rede allerdings auch darauf, daß diese Idee nicht neu ist. Zu diesem Zweck zitierte er Fidel Castro, der bereits beim Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro erklärt hatte [2]: "Der wahre Grund für den Klimawandel ist das kapitalistische System. Wenn wir die Erde retten wollen, müssen wir mit diesem Wirtschaftssystem Schluß machen." Widerlegt ist diese Einschätzung bis heute nicht, während die kapitalistische Verwertungsordnung sich vorhalten lassen muß, daß sie in den zurückliegenden Jahrzehnten Zeit und Gelegenheit genug gehabt habe, die von ihr mit stereotyper Wiederkehr gemachten Versprechen einzulösen. Da nichts dergleichen geschah und der jüngste Gipfel nicht einmal pro forma mit glaubwürdig anmutenden Versprechen abgeschlossen werden konnte, stellt dieses System sich selbst zur Disposition.

Anmerkungen

[1] Rede von Hugo Chávez in Kopenhagen (deutsch), XV. Internationale Konferenz der Organisation der Vereinten Nationen über den Klimawechsel, Kopenhagen, Königreich Dänemark, Mittwoch, 16. Dezember 2009, übersetzt von Klaus E. Lehmann, M. Daniljuk, amerika21.de, http://www.amerika21.de/hintergrund/2009/kopenhagen_203948_chavez/view, Download vom 20.12.2009 18.12.2009 / Titel / Seite 1Inhalt

[2] Schock in Kopenhagen, 18.12.2009, junge Welt, S. 1

21. Dezember 2009