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DILJA/1233: US-Kriegführung auf der Arabischen Halbinsel - Jemen im Fadenkreuz (SB)


Eröffnung einer dritten Front unter dem Label "Antiterrorkrieg"

Cui bono? Nach Luftfahrtzwischenfall fordern US-Senatoren eine direkte Kriegsbeteiligung der USA in der Republik Jemen


Am 25. Dezember, also dem Ersten Weihnachtstag und somit inmitten der dem christlichen Abendland wichtigsten religiösen Feiertage, sorgte in Medien und Nachrichtenagenturen eine Schreckensmeldung für großes Aufsehen. Im Luftverkehr zwischen Britannien und den USA ist es demnach zu einem Zwischenfall gekommen, der leicht in eine Katastrophe hätte münden können. Wie am darauffolgenden Tag verlautbart wurde, soll ein Passagier, bei dem es sich um einen 23jährigen Nigerianer gehandelt haben soll, versucht haben, einen Airbus der Delta Airlines beim Landeanflug auf Detroit in die Luft zu sprengen. Zu einer Explosion oder gar einer Katastrophe kam es nicht, da der junge Passagier, nachdem er eine pudrige Substanz zum Brennen gebracht habe, von Mitreisenden überwältigt werden konnte. Per Feuerlöscher konnte der kleine Brand alsbald gelöscht werden, wobei Flugbegleiter und andere Passagiere sich bemühten, mit einer Decke die Flammen am Bein des mutmaßlichen Attentäters, der gleichwohl schwere Verbrennungen erlitt, zu ersticken.

Waren die USA nur knapp einem verheerenden Terroranschlag entgangen? Diesen Schluß legte die vorherrschende Berichterstattung in den internationalen Medien nahe. Unmittelbar nach der Landung sollen mitreisende Passagiere allerdings bezweifelt haben, daß es sich überhaupt um einen versuchten Terroranschlag gehandelt habe. Ein Augenzeuge erklärte gar, der Tatverdächtige habe überrascht und fassungslos gewirkt. Auch im weiteren Verlauf erwies sich die Nachrichten- und Informationslage als durchaus widersprüchlich. Der Verdächtige konnte alsbald identifiziert werden, sein voller Name wurde von der Presse veröffentlicht. Er soll am University College in London ein Ingenieursstudium absolviert haben, und vor allem soll er alsbald gestanden haben, im Auftrag von "Al Kaida" gehandelt zu haben. An dieser These wiederum sollen aus Behörden- wie Geheimdienstkreisen Zweifel laut geworden sein, da diese Experten ihn eher für einen Einzeltäter hielten.

Der Zwischenfall wurde von der US-Regierung zu einem Anschlagsversuch erklärt, auf den umgehend mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen im Flugverkehr reagiert wurde. Am 27. Dezember verdichtete sich die Nachrichtenlage hinsichtlich des Landes, in dem angeblich die Planungen für diesen wenn auch verfehlten Terroranschlag durchgeführt worden waren. Der US-amerikanische Fernsehsender ABC meldete, das fehlgeschlagene Attentat sei von Al-Kaida-Führern im Jemen geplant worden. Unter Berufung auf US-Regierungsbeamte hieß es desweiteren, der 23jährige Attentäter sei im Jemen für das Selbstmordkommando trainiert worden; auch sei die Bombe, die nur aufgrund eines Zünder-Versagens nicht detoniert sei, von Al-Kaida im Jemen hergestellt worden. Nach Angaben der US-Justizbehörden habe der 23jährige den hochexplosiven Sprengstoff Nitropenta/PETN bei sich gehabt.

Am selben Tag traten zwei US-Senatoren mit der Forderung nach einem direkten militärischen Eingreifen der US-Streitkräfte im Jemen an die Öffentlichkeit. Der früher demokratische und jetzt unabhängige Senator Joseph Lieberman, in Sachen Jemen schon als Scharfmacher bekannt, erklärte gegenüber dem als rechtslastig geltenden Sender Fox News, daß, wenn "wir" nicht vorbeugend handeln würden, "Jemen der Krieg von morgen" werde. Der demokratische Senator Arlen Spector rührte in derselben Sendung die Kriegstrommeln, indem er dazu aufforderte, über Militärschläge gegen den Jemen nachzudenken. Dabei ist dieser Gedanke keineswegs neu und wurde keineswegs erst nach dem Luftzwischenfall vom 25. Dezember öffentlich aufgeworfen. In einer Resolution, die der US-Senat bereits am 4. Dezember, also drei Wochen vor der mutmaßlichen Beinah-Katastrophe in Detroit, einstimmig verabschiedet hatte, wurde US-Präsident Obama aufgefordert, "alle geeigneten Maßnahmen" zu ergreifen, militärische selbstverständlich eingeschlossen, um der von der Situation im Jemen ausgehenden "Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA" zu begegnen.

Somit kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei dem Flugzeugzwischenfall vom 25. Dezember um einen nachgelieferten, womöglich unter geheimdienstlicher Beteiligung inszenierten Vorfall gehandelt haben könnte, durch den die möglicherweise bereits seit einem deutlich längeren Zeitraum beschlossene direkte Kriegsbeteiligung der USA gegenüber der Öffentlichkeit als keineswegs nur präventive Schutzmaßnahme dargestellt werden sollte. Die New York Times bezeichnete am 28. Dezember den Jemen als "dritte, weitgehend verdeckte Front" der US-Kriegführung und bezog sich dabei auf die Kriege im Irak sowie in Afghanistan. Damit lieferte die US-Zeitung Stichworte, die womöglich in diesem Zusammenhang und zu diesem Zeitpunkt im Interesse Washingtons besser unerwähnt geblieben wären.

Der Irak-Krieg gilt inzwischen, sozusagen offiziell, als ein Krieg, den der frühere US-Präsident Bush mit einer Lüge begonnen hatte. Die Gründe, die ehemals für die Ausweitung der US-Kriegführung auf Afghanistan herangezogen worden waren, sind auch nach so vielen Jahren noch so dünn, daß sie die These, daß auch dieser Krieg mit einem nur zu diesem Zweck aufgestellten Bedrohungsszenario begonnen werden konnte, nicht zu schwächen vermögen. Die Verdachtsmomente gegen Osama bin Laden, angeblich der Drahtzieher der für tausende Menschen tödlichen Ereignisse des 11. September 2001, reichen nach wie vor nicht einmal für die Erwirkung eines internationalen Haftbefehls gegen ihn aus. Diese Anmerkungen mögen genügen, um zu begründen, warum die jetzigen Anschuldigungen gegen den Jemen mit großer Vorsicht, um nicht zu sagen begründetem Mißtrauen zu behandeln sind. Konkrete Belege für die auf US-Regierungskreise zurückgehende Behauptung, Attentäter und Bombe seien von einer im Jemen agierenden Al-Kaida-Gruppe geschickt worden, gibt es nicht.

Die Behauptung, die "Situation" im Jemen sei eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA, steht somit auf tönernen Füßen. In umgekehrter Richtung allerdings kann sehr wohl von einer konkreten Gefahr und Bedrohung gesprochen werden, die die kriegsbereiten US-Streitkräfte für die seit 1990 auf der Arabischen Halbinsel bestehende Republik Jemen darstellen. Nach offiziell unbestätigten Berichten hat sich die US-Luftwaffe am 17. Dezember ABC zufolge am dortigen Bürgerkrieg bereits beteiligt und zwei Cruise Missiles auf Ziele im Jemen abgefeuert. Seit August vergangenen Jahres tobt im Jemen ein Krieg zwischen den regulären Streitkräften der im Süden des Landes verankerten Zentralregierung unter Präsident Ali Abdullah Saleh und den jemenitischen Huthis im Norden des Landes. Dabei handelt es sich um einen eigentlich schon seit 2004 schwelenden Konflikt, der in den zurückliegenden Jahren keineswegs zu umfangreichen Kampfhandlungen geführt hatte.

Am 11. August jedoch begannen die Regierungstruppen mit ihrer Operation "Verbrannte Erde" und dem erklärten Ziel, die Huthi-Terroristen, wie sie sie nannten und von denen behauptet wurde, sie würden einen Staatsstreich planen und eine schiitische Republik gründen wollen, "auszurotten, wo und wie auch immer". Die Offensive der Armee führte jedoch keineswegs zu dem beabsichtigten Ergebnis. Im Gegenteil nahm der Widerstand der Huthis, die der Religionsgemeinschaft der Zaiditen angehören, einer nur im Jemen existierenden Minderheitenströmung des schiitischen Islam, noch zu, da sich bislang unbeteiligte Gruppierungen den Kämpfen anschlossen, die aus Sicht der Huthis ausschließlich zu Verteidigungszwecken geführt werden. Durch den Krieg sind inzwischen Zehntausende Bewohner der unzugänglichen Bergregion im Norden des Jemen in Flüchtlingslager der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen gezwungen.

Die International Crisis Group, einer der einflußreichsten westlichen "Thinktanks", hatte bereits im September erklärt, daß die seit 2004 gegen die Zentralregierung in Sanaa kämpfende Huthi-Bewegung vor allem gegen deren Zusammenarbeit mit Washington kämpfe. Dies trug ihr den Stempel ein, antiamerikanische, antiisraelische und antisemitische Propaganda zu betreiben; keine zwei Wochen später folgte der Vorwurf, die Huthi würden vom Iran unterstützt werden, was deren Sprecher, Mohammed Abdulsalam, gegenüber der jungen Welt am 22. Dezember zurückwies. Inzwischen sind weite Teile des Nordjemen vom Bürgerkrieg erfaßt, die Kampfhandlungen sollen sogar schon bis in die Nähe der Hauptstadt ausgeweitet worden sein. Vermittlungsbemühungen Teherans wurden von der Regierung in Sanaa, die hingegen enge Kontakte zu Washington pflegt, abgelehnt.

Senator Lieberman, der unmittelbar nach dem als fehlgeschlagenen Anschlag gedeuteten Flugzeugzwischenfall über einen direkten Kriegsbeitritt der USA laut nachdachte, war bereits im August in Sanaa gewesen, um mit Präsident Saleh über die nur wenige Tage zuvor begonnene Operation "Verbrannte Erde" zu sprechen. Dies wird in den USA keineswegs auf Kritik gestoßen sein wie auch Präsident Obama seinen jemenitischen Amtskollegen nach den jüngsten Luftangriffen vom 17. Dezember angerufen und beglückwünscht haben soll. Als ein Bürgerkrieg im engeren Wortverständnis kann dieser Krieg daher kaum bezeichnet werden, da nicht abzusehen ist, wie weit die Einflußnahme Washingtons in der Vergangenheit bereits gegriffen hat und in der nahen Zukunft noch greifen wird und worin die strategischen Ziele bestehen mögen, die die USA allem Anschein nach dazu veranlaßt haben, nach dem Irak und Afghanistan auf der Arabischen Halbinsel in der Republik Jemen den nächsten Krieg zu entfesseln.

29. Dezember 2009