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DILJA/1255: Bundeswehrtote im Afghanistan bereiten dem Drohnenkrieg den Boden (SB)


Folgt nun die Eröffnung eines "Drohnen"-Krieges durch die Bundeswehr?

Nach tödlichem schweren Gefecht mit afghanischen Aufständischen behält die Bundesregierung ihren Kriegskurs unbeirrt bei


Einem angeblich vertraulichen und gleichwohl ins Internet lancierten Memorandum des US-Geheimdienstes CIA [1] zufolge besteht in Washington große Sorge darüber, daß die europäischen Verbündeten ihre militärische Unterstützung des Afghanistan-Krieges einschränken oder vollständig einstellen könnten. Namentlich Deutschland und Frankreich, mithin der dritt- und viertgrößte Truppensteller, sind demnach ins Fadenkreuz US-amerikanischer Überlegungen und geheimdienstlicher Planungen geraten, die darauf abzielen, die verbündeten Regierungen dahingehend zu beraten und zu ermuntern, die mangelnde Unterstützung ihrer Bevölkerungen, die Umfragen zufolge mit bis zu 80 Prozent die Beteiligung ihrer Länder am Afghanistankrieg ablehnen, nicht länger einfach zur auszusitzen und zu ignorieren, sondern aktiv etwas für dessen Akzeptanz zu unternehmen.

Das Beispiel der Niederlande vor Augen, wo die Frage nach der Fortsetzung der Beteiligung am Afghanistankrieg im Februar die Regierungskoalition zerbrechen ließ, haben die CIA-Analysten eines "CIA Red Cell" genannten Spezialteams demnach auch Deutschland und Frankreich als weitere Gefahrenherde einer unter Umständen drohenden Truppenschwächung ausgemacht und vor ähnlichen innenpolitischen Entwicklungen gewarnt. "Die Gleichgültigkeit könnte sich in aktive Gegnerschaft verwandeln, wenn die Kämpfe im Frühjahr und im Sommer zu einer Erhöhung der Todeszahlen bei den Soldaten oder den afghanischen Zivilisten führen", heißt es in dem noch vor dem jüngsten schweren Zwischenfall, bei dem in einem stundenlangen Gefecht mit afghanischen Aufständischen drei Bundeswehr-Soldaten getötet und acht zum Teil schwer verletzt wurden, erstellten CIA-Papier.

Zwar sieht es derzeit nach einer innenpolitischen Krise oder auch nur massivem Druck, wie es nach dem von der Bundeswehr im vergangenen Herbst nahe Kundus verübten Massaker der Fall gewesen ist, nicht aus, doch könnte sich dies alsbald ändern insbesondere dann, wenn es in der Folge intensivierter Kampfhandlungen zu weiteren Todesopfern unter den eigenen Soldaten kommen würde. So wurde auch in dem CIA-Memo darauf abgestellt, daß der Kundus-Vorfall gezeigt habe, wie schnell politischer Druck auf die Merkel-Regierung entstehen könne. Mit "maßgeschneiderten Informationen", die einen "Rückschlag begrenzen" könnten, ließe sich, so glauben die CIA-Analysten, wie ihrem Papier zu entnehmen ist, einer Entwicklung wie in den Niederlanden in Deutschland und Frankreich gegensteuern, sollte es in diesem Jahr im Afghanistan-Krieg zu einem "blutigen Sommer" kommen.

Die US-Streitkräfte, nachdem eine erste, im Februar unter Beteiligung von 15.000 alliierten Soldaten durchgeführte Militäroperation ("Muschtarak") in Mardscha, einer Stadt in der südafghanischen Provinz Helmand, noch immer als Erfolg gilt, obwohl die "Taliban" die Kontrolle über die Region still und heimlich bereits zurückerobert haben sollen [3], wollen ab Juni in der ebenfalls als Taliban-Hochburg geltenden Nachbarregion Kandahar eine noch weitaus größere Offensive durchführen. Ein "blutiger Sommer" ist demnach, sollten die US-Amerikaner von ihren Angriffsplänen nicht Abstand nehmen, mit großer Sicherheit vorherzusagen. Da die deutsche Bundeswehr, wie Militärminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Ostersonntag ungeachtet der zwei Tage zuvor ums Leben gekommenen drei Bundeswehr- sowie der sechs von der Bundeswehr getöteten afghanischen Soldaten auf einer Pressekonferenz erklärte, den Afghanistan-Einsatz fortsetzen wird, muß nach dem derzeitigen Stand auch mit weiteren und womöglich in der Anzahl noch erheblich ansteigenden Todesopfern unter Bundeswehrangehörigen gerechnet werden.

Wohlwissend, daß dies die Achillesferse ist, die die noch immer vorherrschende Gleichgültigkeit der den Krieg mehrheitlich zwar ablehnenden, aber doch tatenlos hinnehmenden deutschen Bevölkerung gefährden und abrupt beenden könnte, scheint die Bundesregierung ihrerseits längst einen "Plan B" entwickelt zu haben, um dieses Problem zu lösen. Wenn die einzige, wirklich ernstzunehmende Gefahr für die Hinnahme der Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg neben zivilen Opfern unter der afghanischen Bevölkerung vor allem auch die zu Tode gekommenen eigenen Soldaten sind, müßte die Kriegführung selbst dementsprechend modifiziert werden. Eine militärtechnologische "Lösung" dieses Problems steht längst bereit. So bereitet sich die Bundeswehr in Afghanistan auf den verstärkten Einsatz unbemannter Flugkörper ("Drohnen") vor.

Wie der deutsche Hersteller, der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern, wissen ließ [4], verfügt die Bundeswehr bereit seit 2007 über 60 unbemannte Flugkörper ("Unmanned Aerial Vehicle", UAV). Diese Drohnen dienen der "Entdeckung, Identifizierung und genauen Lokalisierung" möglicher Angriffsziele, doch die eigentliche militärisch höchst bedeutsame Funktion dieser Waffensysteme besteht in der Option, sie selbst zu Kampfdrohnen aufzurüsten, das heißt sie mit Raketen oder auch Bomben zu bestücken. Im Militärjargon wird dies "aufwuchsfähig" genannt, und da alle UAV vorgeblich für Spionage- und Aufklärungsdrohnen "aufwuchsfähig" gestaltet wurden, darf angenommen werden, daß ihr eigentlicher Verwendungszweck in der direkten unbemannten Kriegführung besteht, die Zielerfassung und -zerstörung unmittelbar vor Ort ohne Gefährdung eigenen Soldatenlebens ermöglicht. Nach eigenen Angaben steht bei der Bundeswehr diese "neue Ära" in der Luftkriegführung bevor. In einer Erklärung der Bundesregierung vom 26. März 2009 [5] wurde die bei der Bundeswehr bereits seit längerem im Einsatz stehende kombinierte Aufklärungs- und Kampfdrohne als "Wirkmittel zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen" (WABEP) bezeichnet:

Das nicht mehrfach verwendbare Wirksystem zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen (WABEP) ist kein UAV, sondern ein Wirkmittel (Munition), das dem 'Schützen' ermöglicht, bis kurz vor dem Einschlag das Ziel zu beobachten, nachzurichten und notfalls den Angriff abzubrechen.

Da die von Israel wie auch den USA vorrangig in Pakistan eingesetzten Kampfdrohnen bereits häufig Zivilpersonen getötet haben, was diesen Waffensystemen den schlechten, aber zutreffenden Ruf von Killermaschinen eingebracht hat, dürfte dieser Definitionsversuch der Bundesregierung dem Zweck geschuldet sein, aus einem militärischen Elefanten eine Mücke zu machen. Ob nun Wirkmittel, bewaffneter Aufklärer oder Kampfflugzeug ist aus Sicht der Betroffenen dieser technisierten Tötungsgewalt vollkommen unerheblich und lediglich auf der Seite des "Operators", der fernab des tödlichen Geschehens wie in einem Computerspiel seine Befehle gibt, von marginalem Belang. Die ohnehin kaum vorhandene gesellschaftliche Akzeptanz dieses Krieges macht einen umso größeren und umfangreicheren Propagandaaufwand erforderlich, je grausamer die hochmoderne Waffentechnologie gegen die afghanische Bevölkerung bzw. den von den westlichen Angreifern von dieser per Definitionsversuch abgegrenzten Besatzungswiderstand zum Einsatz gebracht wird, und so muß an der Heimatfront jeder Buchstabe genutzt werden, um diesen Krieg kleinzureden bzw. zu -schreiben.

Noch im laufenden Jahr soll die Bundeswehr eine Riesendrohne eines US-amerikanischen Herstellers erhalten, den "Euro Hawk", der in seiner Größenordnung bereits an einen herkömmlichen Kampfjet heranreicht. Zum Ersteinsatz in Afghanistan kam vor wenigen Wochen bereits die erste Kampfdrohne des Typs "Heron 1". Bei ihr handelt es sich um ein zusammen von dem deutschen Drohnenhersteller Rheinmetall und dem israelischen Rüstungskonzern "Israeli Aerospace Industries" (IAI) entwickeltes System. In Israel werden derzeit auch Bundeswehrsoldaten in der Handhabung dieser Drohne geschult. "Heron 1" soll in Afghanistan "zunächst" nur für Aufklärungszwecke eingesetzt werden, doch da sich die Bundeswehr ihren Einsatz auch als Kampfdrohne ausdrücklich vorbehält, scheint es nur eine Frage der Zeit oder des Eintreffens bestimmter Voraussetzungen zu sein, bis von diesem Quantensprung in der Kriegführung auch Gebrauch gemacht werden wird. Im Jargon der Rüstungsunternehmen werden die Anwendungsmöglichkeiten der mit dem israelischen Partner IAI entwickelten Kampfdrohne folgendermaßen umrissen [6]:

Die Kampfdrohne wird nach erfolgreicher Zielidentifikation durch das Aufklärungssystem eingesetzt, und gemeinsame Bodenstationen sorgen auf der Basis von Aufklärungsbildern/-videos für den kontrollierten Einsatz gegen gepanzerte und ungepanzerte Ziele.

Unter "ungepanzerte Ziele" dürften wohl auch Menschen zu subsumieren sein, weshalb, wenn erst auch die Bundeswehr den Schritt zum Großeinsatz unbemannter Luftangriffssysteme vollauf vollzogen hat, mit einer enormen Brutalisierung dieses Krieges seitens des deutschen Kontingents gerechnet werden muß. Die derzeitigen militär-logistischen Probleme, nämlich daß es die mit Tretminen und Sprengfallen "verseuchten" Straßen und Geländeabschnitte den Besatzungssoldaten nahezu unmöglich machen, die von ihnen beanspruchten Territorien faktisch auch zu kontrollieren, weil ihnen schlichtweg die Bewegungsmöglichkeiten am Boden fehlen, scheinen damit lösbar zu werden.

Die erste Testmaschine "Heron-1" hat am 18. März ihren Jungfernflug nach Afghanistan nach Angaben der deutschen Luftwaffe mit Erfolg absolviert. Nach der Landung im Stützpunkt Masar-e-Scharif kollidierte sie allerdings auf dem Weg zu ihrer Abstellposition mit einer Transall-Transportmaschine. Laut Spiegel [7] soll die "Heron-1", die wie auch zwei weitere Drohnen desselben Typs von der Luftwaffe über Rheinmetall von dem israelischen Hersteller für 110 Millionen Euro geleast wurden, bei dieser Kollision irreparabel beschädigt worden sein.

Die "neue Ära" im Luftkrieg, dessen Einsatzschwellen nahezu auf null reduziert werden können, so erst einmal die punktgenaue Zielvernichtung durch unbemannte Systeme in der Praxis realisiert und erprobt wäre, wird durch solche Rückschläge nicht aufzuhalten sein. Die Rechnung allerdings, daß die Beteiligung Deutschlands am Afghanistan-Krieg allein dadurch unter enormen innenpolitischen Druck geraten könnte, wenn ihm immer mehr "unserer Jungs" zum Opfer fallen, beruht auf unzutreffenden Voraussetzungen, wie das Kundus-Massaker im vergangenen Herbst gezeigt hat, das Merkmale der "neuen Ära" aufwies.

Der Bundeswehr-Verantwortliche vor Ort vermied den direkten Feindkontakt und forderte stattdessen Luftangriffe durch die amerikanischen Verbündeten an, die auf diese Order hin ein Massaker anrichteten, dem nach Angaben der NATO bis zu 142 Menschen zum Opfer fielen. Die drei in dem schweren Gefecht mit Aufständischen am Karfreitag getöteten Bundeswehrsoldaten womöglich dafür zu instrumentalisieren, den Übergang zu einem Drohnenkrieg vorzubereiten und gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, könnte sich aus Sicht der Bundesregierung als ein verhängnisvoller Irrtum erweisen, weil ein Krieg, dessen vorgebliche Gründe von der deutschen Bevölkerung mehrheitlich ohnehin weder geglaubt noch akzeptiert werden, auf völlige Ablehnung und massivste Proteste stoßen, sollten mehr und mehr wehrlose Menschen am Hindukusch auf solche Weise abgeschlachtet werden.

Anmerkungen:

[1] http://file.wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf

[2] CIA-Paper zur Beeinflussung der europäischen Öffentlichkeit, von Florian Rötzer, telepolis, 27.03.2010,
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32346/1.html

[3] Wahrnehmungsproblem Afghanistan. Mardscha als neues altes "Königreich der Taliban" zeigt, wie schwierig die Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist, von Thomas Pany, telepolis, 05.04.2010

[4] Die Ära der Drohnen (I), german-foreign-policy, 23.03.2010

[5] Bundestags-Drucksache 16/12481, 26.03.2009

[6] Wabep - Wirkmittel zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen; www.rheinmetall-defence.net

[7] http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,686859,00.html

7. April 2010