Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1262: Thailand am Vorabend eines Bürgerkriegs? Beredtes Schweigen des Westens (SB)


Dem Ausnahmezustand droht die Verhängung des Kriegsrechts zu folgen

Warum die Demokratiebewegung Thailands Neuwahlen fordert, wird angesichts des drohenden Bürgerkriegs kaum thematisiert


In Bangkok, der Hauptstadt Thailands, stehen die Zeichen auf Sturm. Die innenpolitisch hochangespannte Lage könnte eine weitere Zuspitzung erfahren, sprich unter Umständen sogar in einen Bürgerkrieg einmünden, sollte die Regierung von ihrer harten Linie nicht abweichen. Die Forderungen der oppositionellen Demokratiebewegung der sogenannten "Rothemden", bei denen es sich vielfach um Anhänger des 2006 durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten Thaksin Shinawatra [1] handeln soll, nach einem Rücktritt des gegenwärtigen Amtsinhabers Abhisit Vejjajiva, einer Auflösung des Parlaments und der Ausschreibung alsbaldiger Neuwahlen sind in ihrem Kern politisch moderat, weshalb es weder angezeigt noch in Hinsicht auf welche Indizien auch immer begründet ist, in ihnen Staatsfeinde oder sozialistische Umstürzler zu sehen. Die "Rothemden" wollen mit ihren in Bangkok am 12. März eingeleiteten Protesten nichts anderes als die Wiederherstellung eines parlamentarisch-demokratischen Zustandes erreichen, der durch den Sturz Thaksins und die Etablierung quasi-diktatorischer Verhältnisse verletzt und in den seitdem vergangenen Jahren keineswegs "geheilt" wurde, auch wenn pro forma eingesetzte Zivilregierungen vor allem auch in Hinsicht auf das westliche Ausland eine demokratische Fassade errichtet haben.

Die Erfüllung dieser Forderungen durch die Regierung von Ministerpräsident Abhisit wäre kein Bruch mit der politischen Ordnung des Landes, sondern eine erste und nahezu zwingende Maßnahme, um den nach wie vor vorgehaltenen Anspruch, eine parlamentarische und verfassungsgemäße Demokratie zu sein, gegenüber der thailändischen Bevölkerung glaubwürdig zu untermauern. Daß es sich bei den "Rothemden" um keine marginalisierte gesellschaftliche Gruppierung handelt, sondern um eine Oppositionsbewegung, die das Potential in sich trägt, sofort echte Wahlen zu gewinnen, so es denn (endlich) welche gäbe, kann schon aus der Tatsache geschlußfolgert werden, daß es Polizei und Militär ungeachtet ihrer haushohen "militärischen" Überlegenheit bislang nicht gelungen ist, eine Demokratiebewegung einzudämmen, unter Kontrolle zu bringen oder gar aufzulösen, die in ihrer Entschlossenheit an der Schwelle zu einem Volksaufstand steht.

Erste Versuche, mit repressiven Mitteln dem Spuk ein Ende zu bereiten, hatten am 10. April zu mindestens 25 Toten und weit über 800 verletzten Menschen geführt und die Spannungen nur noch weiter angeheizt, da anschließend aus Sicht der Opposition die Bereitschaft zu Gesprächen mit der Regierung unter den Nullpunkt gesunken ist. Verhandlungen zwischen den "Mördern" und den Freunden der Opfer sind unmöglich, erklärte denn auch Jatuporn Prompan, einer der Anführer der Rothemden. Vor knapp zwei Wochen hatten die thailändischen Sicherheitskräfte unter der politischen Verantwortung von Vize-Regierungschef Suthep Thaugsuban bei Straßenschlachten gegen die Oppositionellen scharfe Munition eingesetzt. Nach bislang unbestätigten Vorwürfen der Demonstranten soll die Armee dabei Scharfschützen eingesetzt haben, die von Balkonen und Dächern aus in die protestierende Menge gefeuert hätten. Da zwei Schwerverletzte inzwischen ihren Verletzungen erlegen sind, stieg die Zahl der Todesopfer vom 10. April auf 25.

Am 14. April hatte Oberst Sansern Kaewkamnerd, Sprecher des Notstandskomitees, eingeräumt, was auf in der Zwischenzeit veröffentlichten Vidoaufnahmen ohnehin zu sehen war, nämlich daß Soldaten mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen haben. Der Armeesprecher suchte dies durch die Behauptung abzuschwächen, daß die Soldaten auf Demonstranten nur direkt geschossen hätten, um Feuerschutz zu geben, damit verletzte Kameraden aus dem Kampfgebiet geborgen werden konnten. Desweiteren bemühte der Armeesprecher eine ominöse "dritte Kraft", die für die tödlichen Zwischenfälle mitverantwortlich gewesen sei. Am selben Tag gab Jatuporn Prompan bekannt, daß die Protestbewegung ihre bis dahin gehaltene Demonstrationsmeile an der Phan-Fa-Brücke aufgeben würde, um alle ihre Kräfte an der Ratchaprasong-Kreuzung im Geschäftsviertel Bangkoks zu konzentrieren.

Die eineinhalb Wochen zuvor begonnene Blockade des Geschäftsviertels solle, wie Nattawut Saikuar, ein weiterer Anführer der Protestbewegung, erklärt hatte, die "letzte Etappe" im Kampf gegen Abhisit werden. Der politische Druck auf die Regierung ist durch die Besetzung der Einkaufsmeile weitaus größer als zuvor, als sich die Proteste auf die Altstadt konzentriert hatten, zumal die Geschäftswelt mit erheblichen Einnahmeverlusten zu kämpfen hat allein deshalb, weil die Geschäfte teils geschlossen werden mußten, teils vergeblich auf Kundschaft warteten. Am vergangenen Freitag unternahm die Regierung einen weiteren Versuch, der Opposition durch die Verhaftung ihrer Führungspersönlichkeiten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch aus Regierungssicht erwies sich die beabsichtigte Festnahme von sechs per Haftbefehl gesuchten Anführern als Fiasko, gelang ihnen doch, allem Anschein nach vorab gewarnt, die Flucht vor dem anrückenden Spezialkommando der Polizei.

So konnte im thailändischen Fernsehen verfolgt werden, wie einer von ihnen sich an der Außenwand eines Bangkoker Hotels unter dem Jubel von Hunderten Anhängern abseilen konnte. Im Namen der verfolgten Anführer stellte Nattawut Saikuar am 17. April klar, daß sich insgesamt 24 von ihnen am 15. Mai der Polizei stellen und bis dahin die Protestbewegung weiter unterstützen würden. Zu diesem Zeitpunkt wird nach Einschätzung des Rothemden-Anführers Präsident Abhisit nicht mehr im Amt sein. Einem bewaffneten Volksaufstand spricht Nattawut keineswegs das Wort, fürchtet er doch vielmehr einen weiteren Angriff des Militärs. "Ich bin sicher, daß der Befehl zur Auflösung der Proteste bald kommen wird", stellte er fest. Der ursprüngliche Plan der Oppositionsbewegung, am Dienstag dieser Woche im Finanzviertel Silom eine Großdemonstration durchzuführen und die Proteste auf diesen zentralen Teil der Hauptstadt auszuweiten, wurde fallengelassen, nachdem das Militär die Zone regelrecht verbarrikadiert hatte.

Nach der mißlungenen Festnahmeaktion hatte Präsident Abhisit am vergangenen Freitag Armeechef Anupong Paojinda damit beauftragt, sich "um die derzeitige Situation" in der Hauptstadt zu kümmern. Sollte es in Kürze, wie von den Oppositionellen befürchtet, zu einem Angriff der Armee auf die Protestbewegung kommen, droht ein noch weitaus größeres Blutbad als am 10. April. Wie Militärsprecher Sansern Kaewkamnerd bereits am 16. April wissen ließ, seien die Sicherheitskräfte darauf vorbereitet, wenn von "Terroristen" auf sie geschossen werde. Damit ist die Rechtfertigung etwaiger und im Falle einer solchen Eskalation unabwendbarer weiterer Todesopfer bereits eingeleitet worden, behauptet die Armee doch schon jetzt, die Verantwortung für die Toten vom 10. April läge bei "Terroristen", die, aus den Reihen der Demonstranten heraus, die Soldaten angegriffen hätten.

Desweiteren hatte der Armeesprecher erklärt, daß Polizei und Militär unter allen Umständen versuchen würden, Verluste an Menschenleben zu verhindern. Wenn dies nicht gelingen sollte, sollten die Verluste im Rahmen bleiben, so die zynische Androhung des Sprechers. In diesem Zusammenhang wird seitens der Regierung auch gerne behauptet, die Regierungsgegner hätte umfangreiche Waffenmengen erbeutet und würden diese bei nächster Gelegenheit, etwa der geplanten Großdemonstration, auch einsetzen. Gerüchteweise ist von 500 israelischen Tavor-TAR-21-Sturmgewehren die Rede, obwohl die Armee anfänglich lediglich den Verlust von 25 Gewehren gemeldet hatte. Die Demonstranten hielten dem entgegen, daß einige erbeutete M16-Gewehre über die Polizei an die Armee zurückgegeben worden seien.

An der Ratchaprasong-Kreuzung, dem Zentrum der Protestbewegung, verbarrikadieren sich die Demonstranten inzwischen hinter Autoreifen und Wällen aus Bambusstöcken. Einer der Anführer, Nattawut Saikar, wies den Vorwurf der Regierung, die Demonstranten würden Waffen horten, entschieden zurück: "Jeder mit gesundem Menschenverstand erkennt, dass wir mit einem Bambusstock nicht gegen Sturmgewehre kämpfen können. Wir sind keine Terroristen." Da die internationale Gemeinschaft sich in Stillschweigen hüllt und nicht einmal die Frage thematisiert, warum eine so breite Volksbewegung in Thailand so entschieden auf Neuwahlen drängt, muß in der Tat mit dem Schlimmsten gerechnet werden, da zu vermuten ist, daß sich die Regierung Abhisit der heimlichen Unterstützung westlicher Staaten sicher sein kann.

Anmerkung

[1] Siehe auch im Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> MEINUNG (15.4.2010):
DILJA/1259: Drohender Bürgerkrieg? Demokratiebewegung Thailands stellt die Machtfrage (SB)

22. April 2010