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DILJA/1273: Angriff auf "Gaza Freedom Flottille" Anlaß zu neuem Internationalismus (SB)


Standpunktlose Erklärung des Weltsicherheitsrates zur Gaza-Krise

Der Überfall Israels auf eine humanitären Hilfskonvoi könnte zum als Katalysator eines neuen Internationalismus werden


Allem Anschein nach könnte sich der jüngste Überfall der israelischen Streitkräfte, diesmal auf einen Hilfskonvoi westlicher Organisationen, die mit einer kleinen Flottille die Gaza-Blockade durchbrechen wollten, nahtlos in die lange Reihe in Hinsicht auf ihre tödlichen Qualitäten absolut vergleichbare Militäroperationen einreihen lassen. Israel ist es gewohnt, etwaige Proteste sowie die sporadisch aufflammende Empörung auszusitzen, da es sich der Rückendeckung durch die mächtigsten Staaten der Welt stets sicher sein kann. Spätestens im Weltsicherheitsrat, sollten die vornehmlich aus der arabischen Welt oder von islamischen Staaten vorgebrachten Vorwürfe und Sanktionsforderungen bis hierher vorgebracht worden sein, werden aller Erfahrung nach die Israel bedingungslos zugeneigten ständigen Mitglieder USA oder auch Britannien von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. In Hinsicht auf die nun bereits seit über einem halben Jahrhundert andauernde Besetzung Palästinas, einhergehend mit der Vertreibung, Demütigung, Ghettoisierung und Drangsalierung des palästinensischen Volkes, stellt es eine Binsenweisheit dar, daß diese eng mit der sogenannten internationalen Nachkriegsordnung verknüpft ist.

Die Vereinten Nationen und innerhalb ihrer Gremien und Unterorganisationen insbesondere der Weltsicherheitsrat als das einzige Gremium, das in der in der UN-Charta manifestierten sogenannten Friedensordnung berechtigt ist, militärische Maßnahmen zum Schutze des Friedens zu legitimieren, sind aus der Tragödie der Palästinenser nicht wegzudenken, haben sie sich doch ungeachtet aller vorgeblichen Unterstützungshandlungen humanitärer Art als Steigbügelhalter einer kleinen Staatenelite erwiesen, die, basierend auf ihrem Status als Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, mit höchster Autorität die Geschicke der Welt und sämtlicher Länder und Völker zu bestimmen sich angemaßt haben. Sie gelten mangels jeglicher Alternative als Garanten eines Weltfriedens, wie er fadenscheiniger und verlogener kaum sein könnte, und haben in all den Jahrzehnten ihres Bestehens nie davor zurückgeschreckt, Israel in seiner Funktion als Statthalter westlicher Interessen in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens in Schutz zu nehmen selbst dann, wenn dies die offene Mißachtung von Resolutionen zur Folge hat, die der Weltsicherheitsrat selbst erlassen hat in seinem Bestreben, die Anliegen der Palästinenser nach einem eigenen Staat und einer Inanspruchnahme ihres völkerrechtlich legitimierten Selbstbestimmungsrechtes an sich zu binden und ihnen immer wieder Hoffnungen zu machen zum Ersatz der ihnen versagten Erfüllung ihrer nur zu berechtigten Ansprüche.

Nach den jüngsten Vorfällen, bei denen diesmal nicht Palästinenser, sondern Ausländer, vermutlich überwiegend türkischer Nationalität, ums Leben gekommen sind, wurde der Weltsicherheitsrat auf Betreiben der Palästinenser, der arabischen Staaten sowie der Türkei zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengerufen. Diese endete nach zwölfstündiger Verhandlung mit einer Erklärung, die voll und ganz dem Muster ihrer vielfachen Vorgängerinnen zu entsprechen scheint. In ihr wird der Tod der Zivilisten bedauert, ohne auch nur den geringsten Vorwurf gegenüber Israel zu erheben. Wie Claude Heller, der Botschafter Mexikos bei den Vereinten Nationen, als turnusgemäßer Präsident des Weltsicherheitsrates erklärte, wurde in der Erklärung desweiteren die sofortige Freilassung der von Israel inhaftierten Passagiere sowie die Freigabe der aufgebrachten Schiffe gefordert. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich auszumalen, daß diese Erklärung nicht im mindesten den Verlauf der Debatten im Weltsicherheitsrat widerzuspiegeln imstande ist.

Hier werden nahezu unversöhnliche Positionen aufeinandergestoßen sein, da die Repräsentanten einer ganzen Reihe der nichtständigen Mitglieder sicherlich nicht mit der politischen Linie einverstanden sind, die von den USA und den übrigen westlichen Vetomächten vorgegeben und durchgesetzt wird. Eine Resolution, die Israel klar und unmißverständlich wegen des Feuerüberfalls auf zivile Schiffe anklagt und verurteilt, ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen ebensowenig zu realisieren wie die Durchsetzung empfindlicher Sanktionen gegen Israel, um die von den Vereinten Nationen längst verbal verurteilte Blockadepolitik Tel Avivs gegenüber der eingepferchten palästinensischen Bevölkerung zu beenden.

Die westlichen Staaten laufen jedoch Gefahr, sich zunehmend zu isolieren und einer Entwicklung Vorschub zu leisten, die sich unter dem Schlagwort "neuer Internationalismus" subsumieren ließe und deren politische Brisanz in einer zunehmenden Süd-Süd-Kooperation liegt, die auf politischem, wirtschaftlichen und letzten Endes auch militärischem Gebiet die Vorherrschaft der westlichen Staaten nicht nur verbal aufkündigt, sondern faktisch entkräftet. Sollten sich die Staaten all jener Kontinente, die sich als ehemalige Kolonien westlicher Staaten am Katzentisch des Weltgeschehens wiederfanden, von der neoimperalen Weltordnung emanzipieren und auf gleicher Augenhöhe über Länder- und Kontinentsgrenzen hinweg Kooperationsgeflechte aufbauen, durch die namentlich die westlichen Vetomächte an Einfluß und Nährlösung verlieren, wäre eine Entwicklung vorstellbar, in deren Verlauf sich die Macht- und Gewaltverhältnisse so sehr zugunsten der Peripherie verschieben, daß die westlichen Staaten gut beraten wären, Israel nicht länger in seiner Palästinenserpolitik gewähren zu lassen.

2. Juni 2010