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DILJA/1290: Demokratur in Thailand - Repression und verlängerter Ausnahmezustand (SB)


Quo vadis, Thailand?

Demokratie in der Warteschleife - Ausnahmezustand verlängert


Viele Menschen in Thailand halten den früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, der 2006 durch einen Militärputsch gestürzt und der Korruption bezichtigt wurde, noch bevor er, schuldig gesprochen, ins Exil ging, noch immer für den rechtmäßigen Regierungschef des Landes. Thailand ist ein Land mit massivsten innenpolitischen Spannungen, die mit dem Gezänk parlamentarischer Mehrheitsparteien, die letzten Endes wie in der Bundesrepublik Deutschland durch einen gemeinsamen Grundkonsens geeint sind und sich bestenfalls über taktische und strategische Fragen, wie angesichts einer zunehmenden Verarmung und damit einhergehend möglicherweise bevorstehenden Radikalisierung der Proteste der Status quo herrschender gesellschaftlicher Verhältnisse abgesichert werden kann, uneins sind, kaum zu vergleichen sind.

Dies liegt keineswegs daran, daß die "Rothemden", wie die überwiegend im Norden und Nordosten des Landes beheimateten Anhänger Thaksins im Gegensatz zu den regierungstreuen "Gelbhemden" genannt werden, tatsächlich einen antikapitalistischen Kurs verfolgen würden. Doch dessen bedarf es nicht, um, wie im Falle Thaksins deutlich wurde, einen gewählten Präsidenten zu Fall zu bringen, der durch eine konsequente Sozial- und Armutsbekämpfungspolitik die Unterstützung der ärmeren Bevölkerung gewonnen hatte. Der Konflikt, der Thailand in diesem Frühjahr an den Rand eines Bürgerkrieges brachte, wäre am leichtesten durch schnellstmögliche Neuwahlen beizulegen und zu kurieren, weil durch vorgezogene Parlamentswahlen der Kritik der Rothemden an dem irregulären Sturz "ihres" Präsidenten die Basis entzogen werden könnte, da sich, einen ungestörten Wahlprozeß vorausgesetzt, bei einem solchen Urnengang schnell zeigen würde, welcher Präsident über eine Mehrheit im Wahlvolk verfügt und welcher nicht.

Eben dies scheinen die derzeitigen Machthaber zu fürchten, was die Vermutung nahelegt, daß Abhisit Vejjejiva, der derzeit als Premierminister fungiert, mit einem Wahlsieg seines nach Kräften kriminalisierten politischen Gegners rechnet. Zudem ist es um die Reputation Abhisits keineswegs gut bestellt. Am vergangenen Dienstag hat die thailändische Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof in Bangkok einen 9.700 Seiten starken Bericht vorgelegt, um ihre Empfehlung, die Demokratische Partei Abhisits verbieten zu lassen, zu untermauern. Der Regierungspartei werden Verstöße gegen das Parteispendengesetz zur Last gelegt. Mit einer Entscheidung des Gerichts wird frühestens in einigen Monaten gerechnet, sie könnte neben der Auflösung der Partei auch das sofortige Ende der Präsidentschaft Abhisits zur Folge haben.

Augenscheinlich befindet sich die Justiz Thailands nicht oder nicht vollständig unter der Kontrolle Abhisits. Da das Land jedoch stark diktatorische Züge aufweist und einer Demokratie im Wartezustand gleichkommt, wäre es keine überraschende Wendung, würde einer solchen Gerichtsentscheidung das abermalige Eingreifen des Militärs zuvorkommen. Die Unruhen im Frühjahr dieses Jahres hatten sich an der Forderung der Oppositionellen nach einer Auflösung des Parlaments und baldigen Neuwahlen entzündet. Die "Rothemden" forderten keineswegs die direkte Wiedereinsetzung Thaksins, beharrten jedoch auf ihrer zentralen Forderung nach Neuwahlen, die einen echten Neuanfang des politischen und parlamentarischen Lebens ermöglicht hätten, weil durch ein frisches Wählervotum die Frage danach, wer denn nun der rechtmäßige Ministerpräsident sei, auf die denkbar demokratischste Weise hätte beantwortet werden können.

Da Abhisit sich weigerte, dieser Forderung nachzukommen, intensivierte die Opposition ihre Proteste, die alsbald gewaltsam niedergeschlagen wurden. Ab Mitte März kamen bei den Vorstößen der Sicherheitsorgane zur Niederschlagung der Proteste der "Vereinten Front für Demokratie gegen Diktatur" (UDD), die am 19. Mai mit der Erstürmung eines von den "Rothemden" besetzten Geschäftsviertels durch das Militär ihren gewaltsamen Höhepunkt gefunden hatte, insgesamt 90 Menschen ums Leben, rund 1800 wurden verletzt. Es waren dies die mit Abstand schwersten innenpolitischen und dabei höchst asymmetrischen Auseinandersetzungen seit langer Zeit, standen sich doch eine bestens ausgerüstete und organisierte Armee und eine Bürgerfront gegenüber, die zwar gewisse Formen der Militanz zur Selbstverteidigung ausbildete, jedoch nicht im mindesten sich anschickte, den Konflikt von sich aus zu "militarisieren".

Daß Bambus-Barrikaden keinen Panzer würden aufhalten können, hatte sich beim Vormarsch des Militärs am 19. Mai schnell gezeigt. Angesichts der militärischen Übermacht, um nicht zu sagen militärischen Ohnmacht der eigenen Seite, hatten sich die Anführer der Protestbewegung, um ein weiteres Blutvergießen zu verhindern, dem Militär ergeben und ihre Anhänger zur Aufgabe aufgerufen. Die Regierung Abhisit honorierte diesen, wenn auch fehlgeschlagenen Versuch der Anführer, zur Deeskalation beizutragen, allerdings nicht. Am 15. Juni wurde gegen elf von ihnen Anklage erhoben wegen der gewaltsamen Proteste gegen die Regierung. Ihnen wird "Terrorismus" vorgeworfen, wofür in Thailand die Todesstrafe verhängt werden kann. Kurz vor dem Marschbefehl gegen das "besetzte" Geschäftsviertel Bangkoks hatte Abhisit noch von Neuwahlen gesprochen, was allerdings für die Protestbewegung wenig glaubhaft war, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, daß Abhisit nur taktische Zusagen macht, die er nach der Auflösung der wochenlangen Protestbesetzung nicht mehr einhalten würde.

Einer möglichen Versöhnung mit Thaksin und seinen Anhängern arbeitete die Regierung Abhisit gezielt entgegen. Am 25. Mai war gegen den früheren Ministerpräsidenten Haftbefehl erlassen worden wegen des Vorwurfs, die "Rothemden" zu dem zwei Monate währenden Aufstand angestiftet zu haben. Die Regierung setzte eine Kommission zur Untersuchung der Vorfälle ein, die alles andere als unabhängig ist und von einem als regierungsnah geltenden Juristen, dem früheren Generalstaatsanwalt Khanit Na Nakhon geleitet wird. Dieser hatte nie ein Wort der Kritik über den Militärputsch von 2006 geäußert und gegen Thaksin Untersuchungen über in dessen Amtszeit fallende Todesfälle in dessen Kampf gegen den Drogenhandel geführt.

Die Repression wurde nach der Niederschlagung der Proteste massiv ausgeweitet. Der bereits im April für zunächst drei Monate verhängte Ausnahmezustand wurde Anfang Juli abermals verlängert. In Bangkok sowie 18 weiteren Provinzen herrscht somit weiterhin eine "Demokratur", also eine außer Kraft gesetzte Demokratie oder auch verkappte Diktatur. Die repressiven Optionen der Sicherheitskräfte sind extrem. Menschenansammlungen von mehr als fünf (!) Personen sind verboten, Festnahmen können bis zu einer Dauer von 30 Tagen ohne Haftbefehl getätigt werden und die Sicherheitskräfte sind geschützt vor Anklagen wegen Machtmißbrauch. Lediglich in fünf Provinzen wurde, obwohl im ganzen Land die Lage längst wieder ruhig ist, der Ausnahmezustand am 5. Juli aufgehoben. In Bangkok und den "Rothemden"-Gebieten im Norden und Nordosten, die insgesamt ein Viertel des gesamten Staatsgebiets ausmachen, herrscht für mindestens drei weitere Monate der Ausnahmezustand.

Massiv eingeschränkt sind auch Meinungs- und Pressefreiheit. So wurde das Verbot monarchiekritischer Äußerungen im Juni noch erheblich verschärft. Schon zuvor hatte jegliche Kritik am Monarchen, der Königsfamilie oder auch nur hochrangigen Beratern zu schwersten Sanktionen führen können. Im Juni starteten das Telekommunikations-, das Justiz- und das Kulturministerium eine gemeinsame Aktion, bei der 43.000 Webseiten geschlossen wurden - wegen monarchiekritischer Äußerungen. Daß damit die (Internet-) Öffentlichkeit getroffen wird, die den Kritikern der Regierung Abhisit zuzurechnen ist, liegt auf der Hand. Die Betroffenen müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wurde doch eigens zu diesem Zweck ein Team aus 50 Experten des Justiz- und weiteren 30 der beiden anderen Ministerien gebildet.

Am 8. Juli veröffentlichte die internationale Organisation "Reporter ohne Grenzen" ihren Bericht zu den Einschränkungen der Pressefreiheit nach den gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen. Demnach hätten beide Konfliktparteien gegen das Recht auf freie Berichterstattung verstoßen. "Reporter ohne Grenzen" erhob den Vorwurf, daß "die thailändische Armee und Sondereinsatzkräfte nicht mit der nötigen Zurückhaltung agiert [haben], um das Leben der zahlreichen Journalisten, die von vor Ort berichteten, zu schützen" [1]. Der Regierung wurde desweiteren vorgeworfen, den andauernden Ausnahmezustand zu mißbrauchen, um einen freien Informationsfluß zu behindern. Die Organisation empfahl am Schluß ihres Berichtes [1]: "Wir sind überzeugt, daß es keine Lösung der thailändischen Krise geben kann, ohne eine Rückkehr zu uneingeschränkter Meinungsfreiheit und ohne einen Kampf gegen Straflosigkeit."

Wenige Wochen zuvor hatte Amnesty International eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Unruhen sowie eine Aufhebung des Ausnahmezustands gefordert. Doch auch diese Mahnungen und Forderungen wurden von der Regierung Abhisit ignoriert. Diese ließ durch Chartchai Suthiklom, den Chef des Amtes für Haftanstalten, am 12. Juni mitteilen, daß die im Gefängnis einsitzenden Mitglieder der UDD - 257 an der Zahl - gemäß internationaler Maßstäbe gut behandelt werden würden. Eine solche Erklärung klänge weitaus glaubwürdiger, würde sie von seiten einer unabhängigen Gefangenenhilfsorganisation kommen, deren Mitarbeiter sich in den Haftanstalten ein eigenes Bild hätten machen und mit den politischen Gefangenen sprechen können.

Der amtierende Premierminister schiebt sein immer wieder in Aussicht gestelltes Versprechen, Neuwahlen abhalten zu lassen, unterdessen immer weiter in die Zukunft. Hatte er während der Auseinandersetzungen des Frühjahrs noch vage die Möglichkeit von Wahlen im November in Aussicht gestellt, erklärte er Anfang Juni, es könne unter bestimmten Voraussetzungen Anfang 2011 Neuwahlen geben. Zur Bedingung machte er Fortschritte im Versöhnungsprozeß und ein Kooperieren der Opposition, was aus seinem Munde nichts anderes bedeutet, als daß er die versprochenen Wahlen als Druck- und Erpressungsmittel einsetzen will, um ein Wiederaufleben der Protestbewegung zu unterbinden.

Am 2. Juli erklärte er im Fernsehen, er habe nicht vor, das Parlament vor Jahresende aufzulösen, da seine Regierung stabil genug sei für eine Politik, von der die gesamte Bevölkerung profitiere. Nach Versöhnung mit dem politischen Kontrahenten klingt dies gewiß nicht, wohl aber nach dessen Unterwerfung unter die eigene Linie. Zwei Tage später ließ Abhisit wissen, daß es nach seiner Einschätzung frühestens in einem Jahr, also im Sommer 2011, zu Neuwahlen kommen könnte, und zwar unter Einbeziehung der Öffentlichkeit und ohne Gewaltanwendung, was ganz nach der Erneuerung seiner Droh-Forderung klingt, derzufolge die Opposition nur dann auf die von ihr schon seit langem verlangten Neuwahlen hoffen kann, wenn sie sich selbst still verhält.

Aus der an Bedingungen geknüpften Zusage läßt sich indirekt auch die Ankündigung ablesen, im Falle abermals aufkommender massiver Proteste die Wahlen gänzlich zu streichen. Damit wäre der Schritt in eine Militärdiktatur, von der Thailand schon jetzt viele Züge aufweist, vollständig vollzogen, ohne daß dies, wie angesichts des beredten Schweigens der Weltgemeinschaft angesichts der aktuellen Lage unschwer vorherzusagen ist, zu nennenswerten internationalen Protesten, Maßnahmen oder gar Sanktionen führen wird.

Anmerkung

[1] Verstöße gegen Pressefreiheit bei Anti-Regierungsprotesten, TIP Zeitung für Thailand, 15.07.2010 09:54, Alter: 11 Stunden,
http://www.thailandtip.de/tip-zeitung/nachrichten/news/verstoesse-gegen-pressefreiheit-bei-anti-regierungsprotesten//back/2/

15. Juli 2010