Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1316: Kein Krieg ohne Nachschub - Besatzungsstreitkräfte Afghanistans in Nöten (SB)


Die Hauptnachschubroute für den Krieg in Afghanistan ist unterbrochen

Die pakistanische Regierung kündigt den westlichen Staaten die Gefolgschaft auf


Soldaten ohne Munition und Klopapier, Panzer und Kampfhubschrauber ohne Treibstoff - ein solcher militärischer Alptraum droht wahr zu werden im Afghanistankrieg der NATO und ihrer Verbündeten, den diese unter den Labels ISAF und OEF seit nunmehr fast einem Jahrzehnt führen, ohne den vorgeblichen oder tatsächlichen Kriegszielen auch nur einen Schritt nähergekommen zu sein. An den ursprünglichen Anlaß oder vielmehr Vorwand, die Festsetzung des für die Ereignisse vom 11. September 2001 in den fernen USA als Hauptverantwortlichen aufgebauten Menschheitsschurken Osama Bin Laden, möchte wohl niemand in den Schaltzentralen und Planungsstäben dieses Krieges heute noch gern erinnert werden, ist er doch kaum noch imstande, als Rechtfertigungskonstrukt für einen solchen Besatzungskrieg herzuhalten. Der tatsächliche Kriegsgrund, nämlich die Besetzung und Kontrolle dieses strategisch höchst wichtigen und wertvollen Landes, dürfte an Relevanz nichts verloren haben, was zumindest erklären könnte, warum dieser offensichtlich für die westlichen Streitkräfte nicht gewinnbare Krieg nicht durch die eine oder andere Exit-Strategie beendet wird.

Der Widerstand afghanischer Milizen und Aufständischer, mögen sie westlicherseits auch noch so sehr als "Taliban" diskreditiert werden, hält nicht nur seit Jahren an, sondern gewinnt kontinuierlich an Effizienz und Schlagkraft. Dies bedeutet keineswegs, daß die militärtechnologisch hoffnungslos unterlegenen Einheimischen in einem offenen Kampf gegen eine Militärmaschinerie, die sich mehr und mehr aufs ausschließlich technisch vollzogene Töten verlegt und die ihren berüchtigten Drohnenkrieg längst auf das benachbarte Pakistan und damit einen der eigenen Verbündeten ausgeweitet hat, eine echte Chance hätten, den von ihnen erwünschten Abzug der ausländischen Streitkräfte zu erzwingen. Ihre Kriegführung ist eine gänzlich andere und steht ganz in der Tradition eines an Guerillakriegen orientierten Besatzungswiderstands und zielt auf die Achillessehne der NATO-Streitkräfte, nämlich ihre Nachschubwege und -transportmittel.

Diese ohnehin seit langem kritische Situation hat sich in jüngster Zeit extrem verschärft, wofür allerdings die US-Streitkräfte selbst in erster Linie verantwortlich sind. Bei einer Militäroffensive der NATO am 24./25. September sollen in Pakistan bis zu 60 Menschen getötet worden sein. Gegen diese Luft-Operation der NATO legte die Regierung in Islamabad offiziell Protest ein und behielt sich für weitere Grenz- und Luftraumverletzungen dieser Art eine Reaktion vor. Abdul Basit, ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums, erklärte zudem, daß dieser NATO-Angriff gegen das ISAF-Mandat verstoßen habe, da dieses an der afghanischen Grenze ende. Dem kann schwerlich widersprochen werden, was die NATO-Streitkräfte allerdings nicht daran hinderte, ihre auf pakistanisches Territorium ausgeweiteten Operationen und Angriffe fortzusetzen.

Am 27. September wurden im pakistanischen Grenzgebiet abermals fünf Menschen durch die Angriffe zweier NATO-Kampfhubschrauber getötet. Einen Tag später untersagte die Regierung in Islamabad den westlichen Staaten, das pakistanische Territorium noch länger für ihre Logistik zu benutzen. Die pakistanischen Grenztruppen wurden angewiesen, alle Lieferungen für die ausländischen Truppen in Afghanistan im eigenen Territorium zu stoppen. Vergeblich hatte sich die pakistanische Regierung zuvor um eine offizielle Entschuldigung der NATO für den letzten tödlichen Angriff bemüht, durch den drei Angehörige der pakistanischen Grenztruppen getötet worden waren. Dies hat sich bereits als ein besonders verhängnisvoller und auch menschlich-politisch kaum nachvollziehbarer Fehler der US-Truppen herausgestellt, bieten doch die Transportzüge, die nun angesichts der Grenzblockaden auf "feindlichem" Gebiet ausharren müssen, vorzügliche Angriffsziele für die afghanischen Aufständischen, die sich in ihrer Kriegsstrategie ohnehin auf Angriffe gegen die Nachschubrouten festgelegt haben.

Die Hauptnachschubroute über den Grenzposten Torkham wurde infolge der Entscheidung der pakistanischen Regierung seit dem 30. September gesperrt. Da über diesen Weg rund die Hälfte des gesamten Nachschubs transportiert wurde, liegt auf der Hand, daß die Besatzungsstreitkräfte in kürzester Zeit vor den ernstesten Logistikproblemen der gesamten Kriegszeit stehen müssen. Auf die festsitzenden NATO-Transportlaster wurden in den wenigen, seitdem vergangenen Tag sehr viele Angriffe durchgeführt. 80 Transportfahrzeuge sollen auf diese Weise schon zerstört bzw. in Brand geschossen worden sein. Die Erklärung des Pentagon-Sprechers Geoff Morrell vom Dienstag, der Treibstoffnachschub für den Afghanistankrieg sei nicht beeinträchtigt, gleicht in diesem Zusammenhang dem buchstäblichen Pfeifen im Walde.

Daß sich die USA noch immer nicht zu einer förmlichen Entschuldigung gegenüber der pakistanischen Regierung durchringen können und nicht einmal bereit sind, den Familien der Getöteten eine Wiedergutmachung zu zahlen, läßt sich wohl nur mit der Arroganz eines Kriegsherrn erklären, der nicht einmal den eigenen Verbündeten gegenüber bereit ist, etwas anderes als bedingungslose Unterwerfung einzufordern.

7. Oktober 2010